Gewaltige Überschwemmungen nach Zerstörung des Staudamms

Kiew und Moskau schieben sich vor Sicherheitsrat Schuld zu

Mittwoch, 07. Juni 2023 | 03:51 Uhr

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine haben sich Kiew und Moskau vor dem UN-Sicherheitsrat gegenseitig die Schuld zugewiesen. Der ukrainische UN-Botschafter Serhij Kislizia sprach am Dienstag bei einer kurzfristig einberufenen Dringlichkeitssitzung in New York von einem “Akt des ökologischen und technologischen Terrorismus”. Die Sprengung sei “ein weiteres Beispiel für den Völkermord Russlands an den Ukrainern.”

Der russische UN-Botschafter Wassili Nebensja erklärte hingegen, dass der Vorfall auf “vorsätzliche Sabotage Kiews” zurückzuführen und wie ein Kriegsverbrechen einzuordnen sei. Der Staudamm sei für ein “unvorstellbares Verbrechen” benutzt worden. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths betonte, dass sich das Ausmaß der Katastrophe erst in den kommenden Tagen zeigen werde. Der Dammbruch werde aber “gravierende und weitreichende Konsequenzen für Tausende Menschen in der Südukraine auf beiden Seiten der Front” haben.

Nach Angaben aus Kiew müssen Zehntausende Menschen vor dem Hochwasser in Sicherheit gebracht werden. Allein auf der von den Ukrainern kontrollierten rechten Seite des Flusses Dnipro müssten rund 17.000 Anrainer gerettet werden. Satellitenbilder von Maxar Technologies von Dienstagnachmittag zeigten laut Angaben des US-Unternehmens eine überflutete Fläche von mehr als 2.500 Quadratkilometern. In der Stadt Cherson rund 60 km flussabwärts stieg der Wasserspiegel um dreieinhalb Meter an.

Militärexperte Markus Reisner vermutet, dass die russischen Besatzer den Staudamm gesprengt haben, um so die geplante ukrainische Gegenoffensive zu behindern. “Die Anlandung amphibischer Kräfte ist nicht möglich”, sagte der Militäranalyst des Bundesheeres im ZDF Mittagsmagazin.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versicherte diesbezüglich, dass die Zerstörung des Dammes keine Auswirkungen auf die Gegenoffensive seines Landes zum Zurückdrängen der russischen Armee haben werde. “Die Explosion des Damms hat nicht die Fähigkeit der Ukraine beeinträchtigt, seine eigenen Gebiete von der Besatzung zu befreien”, erklärte der Staatschef im Onlinedienst Telegram. Höchste Militärs hätten ihm versichert, dass die ukrainische Armee in höchstem Maße bereit für die Gegenoffensive sei.

Wie die Internationalen Atomenergiebehörde am Abend mitteilte, hat das ukrainische Kernkraftwerk Saporischschja noch für mehrere Monate Kühlwasser. Der nahe gelegene Kühlteich sei gegenwärtig voll und die sechs Reaktoren heruntergefahren, teilte die IAEA mit. Es seien Maßnahmen zur Einsparung von Wasser eingeleitet worden. Allerdings sei eine bereits sehr schwierige Lage nun noch schwieriger geworden, hieß es weiters.

Die USA ließen durchblicken, dass sie noch immer nicht sicher seien, wer für die Staudamm-Zerstörung verantwortlich sei. Ein amerikanischer UNO-Vertreter hält eine Sabotage durch Kiew aber für unwahrscheinlich. “Warum sollte die Ukraine so etwas ihrem eigenen Territorium und ihren eigenen Menschen antun, ihr Land überschwemmen und Zehntausende dazu zwingen, ihre Häuser zu verlassen?”, meinte der stellvertretende Botschafter Robert Wood vor der Dringlichkeitssitzung. Wood sagte, er hoffe, in einigen Tagen mehr Informationen zu dem offensichtlichen Angriff auf den Damm zu haben.

Die 2014 von Russland annektierte Krim erhält Wasser aus dem Dnipro über einen Kanal. Wurde dieser nach 2014 zwischenzeitlich trockengelegt, so hat Russland nach der Besetzung des Kachowka-Staudamms auch den Kanal Richtung Krim für die Bewässerung der Halbinsel wieder geöffnet.

Von: APA/dpa/AFP/Reuters