Bozen – Der Mordprozess gegen Benno Neumair wird am heutigen Dienstag vor dem Schwurgericht in Bozen fortgesetzt. Er hat bekanntlich seine Eltern Laura Perselli und Peter Neumair am 4. Jänner 2021 in deren Appartement getötet und Wochen später ein Geständnis abgelegt. Als Zeugin wird auch jene Ex-Freundin aus Deutschland aussagen, die der Angeklagte in Ulm bedroht hat. Unterdessen macht sich in Bozen ein merkwürdiges Phänomen breit: Dutzende Eltern, die sich vor einem ähnlichen Schicksal fürchten, haben sich bei der psychiatrischen Abteilung im Krankenhaus gemeldet.
Im Juli 2020 wurde Benno Neumair in Ulm zwangseingewiesen. Nach einem Streit, der völlig ausgeartet war, hatte der Bozner versucht, seiner damaligen Freundin vorzutäuschen, er sei Opfer eines Angriffs ihrer Bekannten geworden.
Der Vorfall führte die Gutachter von Amts wegen zur Schlussfolgerung, dass der Angeklagte unter einer schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit aggressiven Zügen sowie unter einer histrionischen Störung leidet. Diese ist wiederum durch exzessive Emotionalität und von der ständigen Suche nach Aufmerksamkeit gekennzeichnet.
Weniger technisch ausgedrückt, bedeutet dies, dass Benno Neumair Niederlagen und Rückschläge als extrem frustrierend empfindet. Offenbar ist er der Auffassung, dass all das aus dem Weg geräumt werden muss, was von seinem überhöhten Ego als Angriff empfunden wird.
Bei dem Vorfall in Ulm, den heute vor Gericht die Ex-Freundin bei ihrer Aussage schildern soll, soll sich der Angeklagte sein eigenes Blut ins Gesicht gespritzt haben, um Blutergüsse vorzutäuschen. Schlussendlich soll er ein Messer gegen sich selbst vor seiner Ex-Freundin gerichtet haben.
Ängste von Eltern und Kindern
In Bozen hat der Mord an dem bekannten Ehepaar unterdessen einen Domino-Effekt ausgelöst. Nicht nur Eltern, die befürchten, dass sie ebenfalls von ihren Kindern getötet werden könnten, haben sich bei der Psychiatrie gemeldet. Auch erwachsene Söhne und Töchter suchten Kontakt zur psychiatrischen Abteilung, weil sie Angst haben, zur selben Tat wie Benno Neumair fähig zu sein.
Experten zufolge leiden 13 Prozent der Bevölkerung in irgendeiner Form unter Persönlichkeitsstörungen. 0,5 bis 1,2 Prozent der Bevölkerung sind von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung betroffen.
„Nicht jeder Jugendliche oder junge Erwachsene, der ein bestimmtes Unbehagen empfindet, stellt jedoch eine Gefahr dar. Im Gegenteil: Viele von ihnen können selbst als Opfer betrachtet werden“, erklärt der Primar an der psychiatrischen Abteilung am Bozner Krankenhaus, Andreas Conca, Medien gegenüber.
Damit es zu einem tatsächlichen Verbrechen kommt, müssten mehrere Faktoren zusammenspielen. Entscheidend seien etwa auch ethische und moralische Vorstellungen.
Von: mk