Nur langsam können sich die Rettungskräfte nach dem schweren Zugsunglück in Griechenland mit mindestens 36 Toten vorarbeiten. Auch Stunden nach dem Unfall suchten Rettungskräfte am Mittwoch in den Trümmern der Züge weiter nach Opfern. Immer wieder rückten Sanitäter mit Bahren an, doch Hoffnung gab es kaum noch. Aus den zerquetschten, zum Teil verbrannten und verkohlten Resten der Züge werden nur noch Leichen geborgen.
Offiziell lag die Zahl der Toten nach dem Frontalzusammenstoß zweier Züge am Mittwochmittag bei 36, doch sie dürfte steigen. Weil die ersten Waggons der Züge ausbrannten, ist die Identifikation vieler Opfer nur durch eine DNA-Analyse möglich, berichtete der Staatssender ERT. 72 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt und in umliegende Krankenhäuser gebracht. Insgesamt sollen 354 Menschen von dem Unfall betroffen gewesen sein: 342 Passagiere und zehn Bahnmitarbeiter im Personenzug von Athen nach Thessaloniki sowie zwei Lokführer im Güterzug.
Sichtlich getroffen versprach Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis am Mittag an der Unfallstelle die vollständige Aufklärung der Ursache des Unglücks. Es sei eine “unaussprechliche Tragödie”, sagte er. Zunächst sei nun die Hauptaufgabe, die Verwundeten zu behandeln und die Leichen zu identifizieren. Man werde alles tun, damit so etwas nie wieder passiere. Verkehrsminister Kostas Karamanlis versicherte unter Tränen, es werde nichts unter den Teppich gekehrt. “Wir kennen die genaue Zahl der Opfer noch nicht”, sagte der Verkehrsminister.
Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou unterbrach eine Reise in die Republik Moldau, um nach Griechenland zurückzukehren. Die Regierung ordnete Staatstrauer von Mittwoch bis Freitag an, Fahnen wehten zu Ehren der Opfer auf Halbmast.
Für Griechenland, das nur ein kleines Schienennetz hat, ist es das schwerste Eisenbahnunglück der Geschichte. Die Unfallstelle nahe der mittelgriechischen Stadt Larisa gleicht einem Trümmerfeld, die vorderen Waggons beider Züge wurden durch den Aufprall geradezu zusammengefaltet, wie Drohnenaufnahmen zeigten.
Erste Berichte über die mögliche Ursache deuten darauf hin, dass technische Probleme und in der Folge menschliches Versagen eine Rolle gespielt haben könnten. So soll das elektronische Leitsystem auf der Strecke schon länger nicht richtig funktioniert haben, weshalb die jeweiligen Bahnhofsvorsteher für die korrekte Weiterleitung der Züge verantwortlich waren. Die Polizei nahm nach eigenen Angaben den für die Signalgebung zuständigen Bahnhofswärter vorübergehend fest und verhörte mindestens drei Personen, darunter einen Vertreter des Bahnunternehmens.
Der Personenzug könnte dieser Theorie zufolge schon vom Bahnhof der Stadt Larisa aus auf die falsche Spur geschickt worden sein, auf der ihm dann später der Güterzug entgegenkam. Mangels Leitsystem war zunächst auch der genaue Unfallort nicht auszumachen, berichtete der Sender ERT – die Rettungskräfte hätten die Stelle erst suchen müssen.
Österreicher dürften nicht unter den Opfern sein. “Nach unserem derzeitigen Kenntnisstand sind keine österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger vom Zugsunglück in Griechenland betroffen”, informierte das Außenministerium auf APA-Anfrage.
Die Empörung der Menschen im Land ist jetzt schon groß: Wie ist es möglich, dass der Intercity auf demselben Schienenstrang wie der entgegenkommende Güterzug unterwegs war, obwohl die Strecke zweispurig ausgebaut ist, fragt man sich. In Larisa machten sich nach einem Aufruf des griechischen Roten Kreuzes und der umliegenden Krankenhäuser viele Menschen zur Blutspende auf, um ihre Unterstützung für die Verletzten zu zeigen.
Am Zielbahnhof in der nordgriechischen Hafenstadt Thessaloniki versammelten sich schon in der Nacht verzweifelte Angehörige, Telefon-Hotlines wurden eingerichtet. Rund 200 Passagiere, die nicht oder nur leicht verletzt wurden, wurden vom Unglücksort mit Bussen ins 150 Kilometer weit entfernte Thessaloniki gebracht. Manche Angehörige aber warteten dort vergebens. Bei vielen der Passagiere soll es sich um junge Leute gehandelt haben, Studierende, die nach einem verlängerten Wochenende wegen eines Feiertags nun auf dem Weg zur Universität von Thessaloniki waren.
“Ich dachte, ich würde sterben”, sagte ein Passagier der Tageszeitung “Kathimerini”. Der junge Mann saß nach eigenen Angaben in einem der hinteren Waggons. Er habe am Boden Schutz gesucht, Menschen hätten geschrien und geweint. Andere Passagiere berichteten, sie hätten die Fenster eingedrückt und sich im Dunkeln aus dem halb umgekippten Waggon retten können.
Viele Staaten bekundeten ihr Beileid. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu telefonierte mit seinem griechischen Amtskollegen Nikos Dendias. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb auf Twitter, ganz Europa trauere mit Griechenland.
Trotz der Modernisierung mit neuen Brücken und Tunneln und zwei Gleisen entlang der rund 500 Kilometer langen Strecke Athen-Thessaloniki gab es schon länger erhebliche Probleme bei der elektrischen Koordination der Verkehrskontrolle, hieß es im Staatsfernsehen. “Wir fahren wie in alten Zeiten von einem Streckenteil zum anderen per Funk. Die Stationsleiter geben uns grünes Licht”, sagte Kostas Genidounias, Präsident der Gewerkschaft der Lokführer, im staatlichen Rundfunk. Warum das moderne Leitsystem nicht funktionierte, konnte er nicht sagen. Die Gewerkschaft habe den Zustand schon wiederholt beanstandet.
Die griechischen Bahnen (Hellenic Train) werden von der italienischen Staatsbahn Ferrovie dello Stato Italiane (FS) betrieben. Griechenland hatte 2017 im Zuge seines Rettungsprogrammes in der Schuldenkrise den Eisenbahnbetreiber an die italienische Bahn verkauft.
Von: APA/dpa/Reuters
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3 Kommentare auf "Zugsunglück in Griechenland: Mindestens 36 Tote"
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Als ich hörte: 160kmh und 2 komplett zerstörte Wagons, war ich ehrlich gesagt überrascht, dass die Todeszahl nicht höher war.
Wie kommt’s, dass die FI innerhalb Griechenlands Strecken betreiben (und das auch noch mit veralteter Technik)? Hat Griechenland nichts Eigenes?
Sollte natürlich nicht FI heißen, sondern FS 🙂
einfach nur schrecklich, da fehlen einem die Worte. Mein Beileid an die Leidgeprüften