Bürgergeld zerstört Hoffnungen des Mittelinks-Bündnisses – VIDEO

Tanz vor dem Bankomaten: „Er soll 100 Jahre alt werden“

Donnerstag, 08. September 2022 | 07:07 Uhr

Neapel – Seit seiner Einführung ist das Bürgergeld „Reddito di cittadinanza“ heftiger Kritik ausgesetzt.

Viele Unternehmer und Inhaber von Lokalen, die verzweifelt nach Arbeits- und Saisonkräften suchen, glauben, dass das Bürgereinkommen für ihre Misere verantwortlich sei. Aus ihrer Sicht helfe es weniger den Armen, sondern ermögliche es vielmehr arbeitsfähigen, aber nicht mit Fleiß gesegneten Erwachsenen, ohne Arbeit durchs Leben zu kommen. Aber auch wenn viele Italiener das Bürgereinkommen als soziale Errungenschaft verteidigen, zeigen die vielen von den Ordnungskräften entdeckten „Bürgergeld-Schlaumeier“ doch, dass das Bürgereinkommen zumindest einer eingehenden Reform mit strengeren Regeln bedarf.

APA/APA/dpa-Zentralbild/Patrick Pleul

Wenig überraschend ist aber, dass der „Reddito di cittadinanza“ Einfluss auf die in kaum mehr als zwei Wochen stattfindende Parlamentswahl nimmt. Noch vor wenigen Wochen lag jene Partei, die die Schaffung des Bürgergeldes durchgesetzt hatte – der Movimento 5 Stelle, zu Deutsch Fünf-Sterne-Bewegung, abgekürzt M5S – hoffnungslos hinten, aber je näher die Wahl rückt, desto stärker kann sie aufholen. Dem vom ehemaligen Ministerpräsidenten geführten M5S scheint es zu gelingen, als einziger glaubhafter Verteidiger des Bürgereinkommens aufzutreten. Der letzten Wahlumfrage des Instituts Ixè zufolge ist die Bewegung im Süden mit 24 Prozent sogar stärkste politische Kraft.

Mit dem sich anbahnenden Erfolg im Süden kehrt auch das Bürgereinkommen in die politische Debatte zurück. Während sich die politische Konkurrenz beeilt, frühere Vorschläge, den „Reddito di cittadinanza“ einfach abzuschaffen, zurückzunehmen, werden die verärgerten Unternehmer und Lokalinhaber von Videos, die glückliche Bürgergeldbezieher zeigen, in Rage versetzt.

In den sozialen Netzwerken, vor allem auf TikTok, machen Videos die Runde, auf denen Bezieher des „Reddito di cittadinanza“ zu sehen sind, wie sie vor dem Bankomaten der Post tanzen und das Bargeld aus dem Schlitz ziehen. Dabei preisen sie sowohl den früheren M5S-Spitzenvertreter und Außenminister Luigi Di Maio, der heute für seine eigene Partei antritt, als auch heutige Exponenten der Fünf-Sterne-Bewegung.

„Er soll 100 Jahre alt werden“, so der Bürgergeldbezieher, der seinem vermeintlichen Wohltäter im Leben nur das Beste wünscht. Dieses Video, das einen neapolitanischen „Reddito di cittadinanza“-Bezieher zeigt, wurde von Francesco Borrelli, der für die Grünen im Regionalrat der Region Kampanien sitzt, auf seiner Facebook-Seite gepostet. Der Eintrag wurde von kritischen Kommentaren überhäuft.

reddito cittadinanza

"Salve consigliere, trovo insopportabili tutte queste sceneggiate"

Posted by Francesco Emilio Borrelli on Sunday, August 28, 2022

Auch ein neuer, aufgedeckter Bürgergeld-Skandal blieb nicht aus. Die Beamten der Finanzwache deckten auf, dass eine 40-jährige Frau, V.T., die das Bürgergeld bezieht, Eingentümerin eines Unternehmens ist, dem in den letzten drei Jahren nicht weniger als 74 Fahrzeuge gehörten. Dabei besitzt die 40-Jährige, die dem Volk der Roma angehört und in einem Nomadenlager in Vigonza bei Padua lebt, nicht einmal einen Führerschein. Weiterführende Ermittlungen der Finanzwache ergaben, dass von den 74 Fahrzeugen, von denen auch einige Luxusautos bekannter Marken waren, in der Vergangenheit in nicht weniger als 58 in Unfällen verwickelt worden waren.

Die Beamten der Finanzpolizei vermuten, dass V.T., die das Bürgergeld bezog, ohne dafür die Voraussetzungen zu erfüllen, in Wirklichkeit als Strohfrau für eine kriminelle Organisation diente, deren „Geschäft“ vor allem der Versicherungsbetrug war. Derzeit wird ermittelt, bei welchen Straftaten die Autos benutzt worden waren.

Die 40-Jährige hingegen, die wegen begangener Straftaten wie Diebstahl und Betrug einige Vorstrafen aufweist, wurde wegen unrechtmäßigen Bezugs des Bürgereinkommens angezeigt. Zudem könnte sie auch wegen Versicherungsbetrugs angeklagt werden.

APA/APA/dpa-Zentralbild/Monika Skolimowska

Die Videos glücklicher Bürgergeldbezieher und der aufgedeckte Betrugsfall heizen die Debatte um Sinn und Unsinn des Bürgereinkommens erneut an. Politische Beobachter weisen aber darauf hin, dass der Erfolg des M5S im Süden der Mitterechts-Koalition um Giorgia Meloni dazu verhelfen könnte, bis zu 70 Prozent aller Parlamentssitze zu erobern. Im Lichte der Umfrageergebnisse und laut ihrer Berechnungen kostet die Stärke der Fünf-Sterne-Bewegung Mittelinks viele Stimmen, wodurch einer Eroberung der Wahlkreise durch Gorgia Meloni und ihrem Block nichts mehr im Wege steht. Das Bürgereinkommen zerstört die Hoffnungen des Mittelinks-Bündnisses, den Rückstand zu Mitterechts aufzuholen, so das Fazit der Umfragegurus und Mathematiker.

Ob sie am Ende recht behalten werden, steht in den Sternen, sicher aber scheint, dass im armen Süden der „Reddito di cittadinanza“ wahlentscheidend sein wird.

Von: ka