Am Landesgericht ist der BVT-Amtsmissbrauch-Prozess fortgesetzt worden

Angeklagter Ex-Spionagechef im BVT-Prozess vernommen

Dienstag, 18. April 2023 | 16:54 Uhr

Am dritten Verhandlungstag im Amtsmissbrauch-Prozess gegen Ex-Spitzenbeamte des mittlerweile aufgelösten Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und einen Vertreter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA), die 2015 einen syrischen General und möglichen Kriegsverbrecher nach Österreich gebracht und diesem Asyl verschafft haben sollen, ist der Ex-Spionagechef Bernhard P. vernommen worden. “Die Vorwürfe sind haltlos und zurückzuweisen”, sagte er.

“Ich sehe hinten und vorne nichts Illegales”, stellte der frühere Spionagechef fest, der am Dienstagnachmittag ausführlich zu sämtlichen Anklagepunkten Stellung bezog. Mehrfach entschuldigte er sich für Erörterungen und erkundigte sich sicherheitshalber, ob man ihm noch Gehör schenke (“Bin ich eh nicht langweilig?”). Die WKStA unterstelle dem BVT “einen Tatplan. Wir hätten die Zielperson (gemeint: der syrische Sicherheitsoffizier, Anm.) nach Österreich gebracht, ihr Asyl verschafft und alles gemacht, dass nicht aufgedeckt wird, dass es sich um einen Kriegsverbrecher handelt. Und das alles, damit wir im Konzert der großen Nachrichtendienste mitspielen können. Aber diesen Plan gab es nicht”, meinte Bernhard P. Und er versicherte: “Ich verharmlose nichts.”

Tatsächlich habe der ehemalige BVT-Abteilungsleiter Martin W. ihn über die Kooperation mit dem Mossad informiert, die der damalige stellvertretende Direktor des BVT abgeschlossen hätte. Der Deal mit dem israelischen Auslandsgeheimdienst sah vor, dass der General, der im syrischen Ar-Raqqa ein Gefängnis geleitet hatte und von Folterungen von Regimegegnern zumindest gewusst haben soll, nach Österreich gebracht werden sollte, weil er in Frankreich, wo er bereits um Asyl angesucht gehabt hatte, angeblich nicht mehr sicher war. Ende April 2015 habe er an einem Treffen mit den israelischen Vertretern teilgenommen, bei dem die Operation “White Milk” besprochen wurde, legte Bernhard P. dar. Dabei habe er sich aber passiv verhalten und “der Rangordnung halber” seinen Abteilungsleiter sprechen lassen.

Bei dem Treffen habe W. gefragt, wie sich “die Zielperson” legal in Österreich aufhalten könne. Diese sei zweifellos gefährdet gewesen, bekräftigte der Ex-Spionagechef: “Der ist Christ, der ist Militär und den will die Opposition nicht mehr auf der Straße sehen. Der ist automatisch gefährdet.” Und diese Gefährdung habe überall bestanden – auch in Frankreich, wo sich der General zu diesem Zeitpunkt aufgehalten habe.

Die “beste Möglichkeit”, den General in Österreich unterzubringen “war Asyl. Das war für uns alle logisch”, berichtete der Ex-Spionagechef weiter. Dass ein Asylverfahren eingeleitet wird, habe der Abteilungsleiter nach Rücksprache mit Kennern der Materie entschieden: “Ich sehe da hinten und vorn nichts Illegales. Ich kann nicht erkennen, was da falsch hätte sein sollen.” Dasselbe gelte für den Umstand, dass die Kooperation mit dem Mossad und der Aufenthaltsort des Generals nicht bekannt werden durften: “Es waren uns schlicht und einfach die Hände gebunden. Das war eine streng geheime Operation.”

Davor hatte die Richterin den mitangeklagten ehemaligen BVT-Chefinspektor vernommen, der federführend mit der operativen Umsetzung der Kooperationsvereinbarung befasst war. Dessen Gefährdung sei ihm “absolut plausibel” erschienen, gab der Ex-Chefinspektor zu Protokoll: “Wenn jemand in seiner Funktion vom syrischen Regime desertiert, ist er gefährdet. Er ist ja Geheimnisträger.” Im Auftrag seines Vorgesetzten – des krankheitsbedingt nicht verhandlungsfähigen früheren BVT-Abteilungsleiters – habe er hinsichtlich des Generals eine “Gefährdungsprognose für das BFA” erstellt, schilderte der Beamte. Deren Inhalt habe er vom Abteilungsleiter übernommen, der die entsprechenden Informationen “vom Partnerdienst” bezogen hätte: “Wenn ich als Schreibkraft des Abteilungsleiters missbraucht werde, dann ist das so. Das hinterfragt man nicht. Weisung ist Weisung.” In der ganzen Sache sei “überhaupt nichts passiert ohne Auftrag und ohne Rücksprache” mit dem Abteilungsleiter, betonte der Beamte.

Für den General ein Asylverfahren einzuleiten, obschon in Frankreich eines im Laufen war, sei aufgrund einer “Weisung von oben” erfolgt, erklärten der Ex-Chefinspektor und der frühere Spionagechef übereinstimmend. “Wir sind Hierarchie. Wir sind verpflichtet, Weisungen nachzukommen.” Man könne nicht “anfangen, jede Weisung zu hinterfragen”, hieß es seitens des Chefinspektors, der sich einen Nutzen für Österreich aus der Kooperationsvereinbarung mit dem Mossad erwartet hatte: “Den haben wir auch bekommen.” Der General sei ja vom Mossad vernommen worden, er selbst sei bei Befragungen des Offiziers teilweise dabei gewesen. Auch für Österreich relevante Informationen über die Lage in Syrien und nach Europa geflüchtete Syrer seien dabei zutage gekommen: “Die sind verschriftet worden vom Partnerdienst.” Es handle sich um “streng Klassifiziertes”, das sich “im Eigentum des Partnerdienstes” befinde. Dieser sei “verpflichtet, die nicht herzugeben”.

“Diese Besprechungsprotokolle gibt es. Die sind im Akt. Es steht sogar drinnen im Akt, dass der Kooperationspartner einen Vortrag gehalten hat”, teilte Ex-Spionagechef Bernhard P. in diesem Kontext mit. Der “Partnerdienst” habe “aus Eigenem” Informationen weitergegeben: “Wir waren froh, dass wir Sachen bekommen, die den syrischen Apparat beleuchten.” Konkreter wurde der Ex-BVT-Beamte, nachdem für kurze Zeit die Öffentlichkeit von der Verhandlung zwecks Erläuterung konkreter Beispiele ausgeschlossen worden war.

Das BVT hatte im Sommer 2015 den General in Salzburg übernommen, wohin er aus Frankreich gebracht worden war. Er wurde nach Traiskirchen chauffiert, wurde zu seiner fremdenpolizeilichen Erstbefragung begleitet, das BVT besorgte ihm auch eine Unterkunft. Bereits am 2. Dezember 2015 erhielt der syrische General Asyl. Eine Gefährdung der Sicherheitslage in Österreich sei dadurch nicht gegeben gewesen, meinten die Angeklagten dazu nun mit dem Verweis auf “Informationen aus der Community”.

Anfang 2016 trat dann eine NGO – die Commission for International Justice and Accountability (CIJA) – mit Hinweisen auf mögliche Kriegsverbrechen des Generals ans Justizministerium heran. Dazu bemerkte der frühere BVT-Chefinspektor, die CIJA habe hinsichtlich des Generals “bis zum heutigen Tag keinen einzigen Beweis für Kriegsverbrechen” geliefert. Der Ex-Spionagechef betonte, es handle sich dabei “um keine internationale Organisation. Mein erster Gedanke war, das ist eine nachrichtendienstliche Tarnorganisation, die versuchen könnte, den Aufenthaltsort der Zielperson rauszufinden”. Man hätte nach dieser Wendung unverzüglich den israelischen Partnerdienst “einbestellt”. Am 15. Februar 2016 kam eine Delegation aus Israel nach Österreich – diese soll in einem abhörsicheren Raum versichert haben, “dass dezidiert keine Hinweise auf Kriegsverbrechen vorliegen”. Dem habe man vertraut. “Das Vertrauen ist das wichtigste Gut im Nachrichtendienst”, wusste Bernhard P.

Mittlerweile dürfte sich diese Einschätzung geändert haben. Die Staatsanwaltschaft Wien ermittelt gegen den General wegen Beteiligung an Körperverletzungen und Folter in Syrien, wobei sich die Erhebungen auf den Zeitraum 2013 beziehen. Was den fremdenrechtlichen Status des möglichen Kriegsverbrechers betrifft, wurde ein Asyl-Aberkennungsverfahren durchgeführt. Der Mann hält sich aber auf Basis eines so genannten Duldungsrechts weiter in Österreich auf – er kann de facto aus menschenrechtlichen Gründen nicht nach Syrien abgeschoben werden, da er dort mit einer ernsthaften Gefahr für Leib und Leben rechnen müsste.

Ebenfalls befragt wurden der ehemalige Chefinspektor und der Ex-Spionagechef zur “Causa Tulpe”. Ersterer beantwortete er aber nur Fragen der Richterin und seines Verteidigers, da er “das Vertrauen, dass die Ermittlungsbehörde objektiv ermittelt” verloren habe. Die Oberstaatsanwältin bekam von dem Beamten daher Dutzende Male in unterschiedlichen Tonlagen “Ich mache von meinem Recht Gebrauch, die Aussage zu verweigern” zu hören.

Zur Causa: Vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT) Oberösterreich wurde das BVT informiert, dass sich in OÖ ein Asylwerber befinde, der ebenfalls in Raqqa als hochrangiger Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes tätig war. Der Chefinspektor habe daraufhin seinen Vorgesetzten, den erstangeklagten Ex-Spionagechef, darüber informiert, dass er – noch vor dem eigentlich zuständigen Extremismusreferat – mit dem Asylwerber sprechen wolle. Er sei davon ausgegangen, dass der Mann nicht mehr mit ihm sprechen würde, falls Ermittlungen wegen Kriegsverbrechen begonnen hätten, und befragte den Mann letztlich im September 2016. “Ich habe den Akt aber nie an mich gerissen”, betonte der Beamte. Aufgrund eines “Kommunikationsproblemes” sei letztendlich das Referat Nachrichtendienst zuständig gewesen.

Als Sachbearbeiter für arabische Nachrichtendienste sei diese Befragung genau in seinen Aufgabenbereich gefallen. Er habe aber auch “menschliches Interesse” gehabt, mehr über den syrischen General zu erfahren, den er zu diesem Zeitpunkt schon über ein Jahr betreut hatte. Für den Geschmack des oberösterreichischen Asylwerbers sei der General “zu freundlich gewesen zu den Leuten”. Generell habe dieser nichts Negatives über den General zu sagen gewusst, so der Beamte.

Die Anklage wirft dem Beamten auch vor, die Staatsanwaltschaft Wien nicht über diese Befragung und den möglichen Zeugen informiert zu haben, obwohl er gewusst haben müsste, dass bei dieser ein Verfahren gegen den General anhängig war. Ihm sei dieses Verfahren jedoch nicht bekannt gewesen. Letzten Endes bekam der oberösterreichische Asylwerber kein Asyl, der General schon, obwohl die Fälle ähnlich gewesen seien, so die Richterin.

Abschließend zur Sprache kam auch der Umstand, dass der Sitz der CIJA in Den Haag von einer BVT-Beamtin fotografiert wurde. Bernhard P. widersprach vehement der Anklage, es habe sich dabei um Ermittlungstätigkeiten gehandelt. Er habe sich anlässlich einer Dienstreise in Den Haag befunden, sein Abteilungsleiter habe ihn gebeten, bei dieser Gelegenheit bei der CIJA “vorbeizuschauen” und Fotos zu machen: er habe daher einer Kollegin seine Kamera in die Hand gedrückt und das Gebäude fotografieren lassen. “Die Fotos hätte jeder Tourist machen können. Es hat weder einen Auftrag zu einer Observation gegeben noch wurden personenbezogene Daten aufgenommen”, sagte Bernhard P. Ihm wäre “nie in den Sinn gekommen, dass die Anordnung illegal war”.

Kurz nach 15.30 Uhr wurde die Vernehmung des Ex-Spionagechefs abgebrochen – nicht zuletzt auf dessen Wunsch, dem sein eigener Redefluss zugesetzt haben dürfte: “Ich bin schon sehr ausgetrocknet.” Am kommenden Donnerstag bekommen die Oberstaatsanwältin und die Verteidiger Gelegenheit, ihre Fragen an Bernhard P. zu richten. Danach werden die ersten Zeugen angehört, darunter Ex-BT-Direktor Peter Gridling.

Von: apa