Bozen – Der Landtag hat sich heute mit dem Ehrenamt befasst. Zwei Anträge zielten darauf ab, Kompetenzen dafür wieder nach Südtirol zurückzuholen. Im Landtag stimmte man einstimmig dafür. Von der SVP kam auch ein Begehrensantrag gegen das Bürgereinkommen in Italien. Auch für diesen Antrag wurde angenommen.
Zum Ehrenamt wurden zwei Anträge gemeinsam behandelt:
Begehrensantrag Nr. 37/22: Dritter Sektor (eingebracht von den Abg. Vallazza, Noggler, Locher, Amhof, Tauber, Renzler, Bacher und Lanz am 09.03.2022). Dieser wurde mit einem Ersetzungsantrag geändert, der auch von den Abg. Knoll und Atz Tammerle mitunterzeichnet wurde. Der Landtag möge Parlament und Regierung auffordern, • dafür zu sorgen, dass die Register für die ehrenamtlichen Organisationen autonom vom Land Südtirol geführt und geregelt werden können; • und dass in der Folge alle Auflagen, die für die Organisationen im Zusammenhang mit der Eintragung dorthin entstehen, auf eine Weise vereinfacht werden, dass sie sowohl die Zielsetzung der Reform des Dritten Sektors widerspiegeln als auch sich auf ein notwendiges und für unsere Organisationen angemessenes Maß verringern.
Beschlussantrag Nr. 550/22: Ehrenamt in Not: Rückholung autonomer Kompetenzen (eingebracht von den Abg. Knoll und Atz Tammerle). Der Südtiroler Landtag fordert die Landesregierung auf, dafür Sorge zu tragen, dass das Register für die in Südtirol tätigen ehrenamtlichen Vereine und Verbände an die autonome Provinz Bozen zurückübertragen wird und die Voraussetzungen zur Eintragung in dieses Landesregister sowie alle damit zusammenhängenden Bestimmungen und Kontrolltätigkeiten autonom vom Land Südtirol geregelt und verwaltet werden. (Diese Forderung ist in den SVP-Antrag eingeflossen).
“Die staatlichen Regelungen für den Dritten Sektor stellen für die Südtiroler Verbände und Vereine große Herausforderungen dar”, stellte Manfred Vallazza (SVP) fest. “Dies ist im Hinblick auf die Umsetzung der Bestimmungen mehr und mehr deutlich geworden. Angesichts der Auflagen, denen sich die Verantwortungsträger und Verantwortungsträgerinnen gegenübersehen, erweist sich umso eklatanter, wie anders die Verbands- und Vereinslandschaft in Südtirol im Vergleich zum restlichen Staatsgebiet strukturiert ist. Diese Auflagen sind angesichts der Kleinstrukturiertheit unseres Vereinswesens über-proportioniert. Und das ungünstige Verhältnis zwischen inhaltlicher Arbeit und dem Aufwand, um den bürokratischen Notwendigkeiten Genüge zu tun, ist für Vereinsverantwortliche schwer nachvollziehbar. Es muss uns darum gehen, dass das Engagement, das Ehrenamtliche auf vielfältige Weise einbringen, der inhaltlichen Arbeit gewidmet bleiben kann, also dem Gemeinwohl in den unterschiedlichsten Bereichen unserer Gesellschaft zugutekommt: im Sozialen, in der Kultur, im Zivilschutz, in der Gesundheit, in Denkmalschutz und Umwelt und allen anderen Bereichen. Die Südtiroler Gesellschaft ist geprägt von einem dichten Netz an ehrenamtlichem Engagement. Viele Bereiche wären ohne dieses Engagement nicht so gut aufgestellt, wie sie es sind. Das Ehrenamt ist eine tragende Säule unserer Gesellschaft. Auf Wunsch der betroffenen lokalen Vereine und Verbände fand am 26. April eine Anhörung im Südtiroler Landtag statt, bei der auf die großen Probleme durch die neuen staatlichen Bestimmungen hingewiesen wurde, die für viele Organisationen existenzbedrohend sind. An die politischen Verantwortungsträger wurde daher der dringende Appell gerichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Register für die ehrenamtlichen Vereine und Verbände in Südtirol geführt und autonom verwaltet werden.“
“Ehrenamt in Not! Mit diesem Hilferuf machen Südtiroler Vereine und Verbände darauf aufmerksam, dass mit der Reform des sogenannten Dritten Sektors anstelle des Landesregisters die Vereine und Verbände zukünftig in ein Staatsregister eingetragen werden und sich den Richtlinien des Staates unterwerfen müssen”, erklärte Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit). “Nicht mehr das Land, sondern der Staat entscheidet somit zukünftig, welche Vereine und Verbände in dieses Register eingetragen werden. Die damit verbundene Gleichstellung der kleinen Südtiroler Ortsvereine mit gesamtstaatlichen Großvereinen und Verbänden ist nicht trag- und umsetzbar. Neben dem bürokratischen Mehraufwand stellt insbesondere die neue Rechnungslegung mit den staatlichen Vorgaben der Kassenführung des Dritten Sektors für die allermeisten kleinen Vereine ein existenzgefährdendes Problem dar.”
Das Register sei der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, meinte Alex Ploner (Team K). Die Vereine hätten schon vorher unter der Bürokratie gelitten. Sie bräuchten mehr Finanzierungs- und Rechtssicherheit, vor allem die kleinen Vereine fühlten sich alleingelassen. Paula Bacher (SVP) dankte den ehrenamtlichen Vereinen für ihre Arbeit, in der Senioren- und Kleinkinderbetreuung, aber auch in allen anderen Bereichen. Einige Lösungen habe man bereits parat.
Viele Vereine fühlten sich derzeit wie Betriebe behandelt, aber sie seien keine Betriebe, erklärte Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit). Die Erfüllung der bürokratischen Auflagen verschlinge so viel Zeit, dass die Lust auf das Ehrenamt vergehe. Bei der Anhörung hätten die Vereine immer wieder nach Vereinfachung gerufen. Sie hätten bereits vor der Reform bürokratische Probleme genug gehabt. Die Region Toskana habe ein eigenes Gesetz zum Ehrenamt verabschiedet, dem Beispiel sollte man folgen.
Beide Anträge gingen in die richtige Richtung, lobte Hanspeter Staffler (Grüne). Die Situation des Ehrenamtes sei in Südtirol ganz anders, Südtirol habe z.B. mehr freiwillige Feuerwehren als alle anderen Regionen zusammen. Die Reform führe dazu, dass sich die Vereinsfunktionäre mehr mit Verwaltungsarbeit beschäftigen müssten als mit der eigentlichen Vereinstätigkeit. Die Vereine gehörten in Südtirol zum Gemeinwohl und zur Lebensqualität, erklärte Helmut Tauber (SVP). Man müsse schauen, zu diesem Problem schnellstmöglich eine Lösung zu finden.
Das Thema habe die Öffentlichkeit in den letzten Wochen stark beschäftigt, stellte LH Arno Kompatscher fest. Er habe beim Treffen mit den Vereinen gebeten, die Worte abzuwägen, ansonsten wirke das demotivierend für die Mitglieder. Es seien z.B. nur 17 Vereine, die zur doppelten Buchführung verpflichtet würden. Mit dem SPID könne man viele Prozesse beschleunigen. Auch das Land werde mehr tun müssen, um die Verfahren zu verschlanken. Beim Sport sei es gelungen, dass die Register in Südtirol geführt werden können. Es gebe auch Druck von anderen Regionen. Für die spezifische Südtiroler Situation strebe man eine Durchführungsbestimmung an. Der Begehrensantrag wurde mit 24 Ja einstimmig angenommen.
Begehrensantrag Nr. 42/22: Reformierung des „reddito di cittadinanza“ (eingebracht von den Abg. Tauber, Amhof, Lanz, Renzler, Bacher und Widmann am 19.05.2022). Der Landtag möge Parlament und Regierung auffordern, den 2019 eingeführten „reddito di cittadinanza“ aufgrund seiner negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt einer tiefgreifenden Reform zu unterziehen, oder durch andere, für die Wirtschaft und den Arbeitsmarkt geeignetere Maßnahmen, wie beispielsweise den Ausbau der Möglichkeiten für Zusatzeinkommen und Arbeit auf Abruf zu ersetzen.
In ganz Italien würden Fachkräfte fehlen, gleichzeitig sei die Arbeitslosenrate weiter hoch, erklärte Helmut Tauber (SVP). “Ein Grund für diese Diskrepanz wird vielfach in der 2019 eingeführten Grundsicherung, dem sogenannten „reddito di cittadinanza“, verortet – auch vonseiten des Tourismusministers Massimo Garavaglia. Aufgrund dieser Grundsicherung bleiben viele Menschen, die früher als Saisonkräfte im ganzen Land unterwegs waren, lieber zu Hause. Diese Arbeitskräfte fehlen nun im Tourismus sowie in anderen Branchen.”
Alessandro Urzì (Fratelli d’Italia) fiel auf, dass der Antrag auch die Unterschrift der SVP-Arbeitnehmer trage, während in Italien die Linken dieses Bürgereinkommen verteidigten. Dieses habe den Arbeitsmarkt verzerrt und sei eine Entlohnung für Faulpelze geworden. Man sollte das Geld den Unternehmen geben, damit sie Arbeitsplätze schaffen. Er teilte mit, dass er den Antrag inzwischen mitunterschrieben habe.
Maria Elisabeth Rieder (Team K) war mit diesen Argumenten nicht einverstanden, es gebe Menschen, die ansonsten nicht über die Runden kämen. Von diesen 500 Euro könne man nur 100 direkt ausgeben, mit dem Rest könne man nur einkaufen gehen. Sie wundere sich über die Unterschrift der Arbeitnehmer. Der Fachkräftemangel im Tourismus sei bekannt, viele hätten daher Überstunden machen müssen, ohne dafür entlohnt zu werden. Für den Tourismus brauche es andere, praktischere Lösungen. Man sollte den Arbeitnehmern mehr entgegenkommen, etwa bei Unterkunft und Arbeitszeiten.
Helmuth Renzler (SVP) betonte, dass die Arbeitnehmer nicht gegen den “Reddito di Cittadinanza” seien, er sei aber reformbedürftig. Er funktioniere vor allem im Süden nicht, weil es dort keine Arbeitsplätze gebe. Die einzige Möglichkeit für den Tourismus, zu mehr Arbeitskräften zu kommen, sehe er in besseren Löhnen.
Viele Gastbetriebe seien angewiesen auf Mitarbeiter von außen, und das sei ihnen nun zum Verhängnis geworden, meinte Myriam Atz Tammerle (Süd-Tiroler Freiheit). Sie kündigte die Enthaltung ihrer Fraktion an. Es sei nicht fair, ein solches Urteil über die Arbeitnehmer zu fällen, wie es der Antrag formuliere. Man müsse sich auch fragen, ob man alles getan habe, um die jungen Südtiroler im Lande zu halten. Viele gingen Studieren und kämen nicht mehr zurück, an praktischen Berufen bestehe kaum mehr Interesse.
Er werde sich nicht an der Abstimmung beteiligen, kündigte Carlo Vettori (Forza Italia Alto Adige Südtirol) an, obwohl er die Argumente Taubers verstehe. Das Bürgereinkommen gehöre abgeschafft, nicht reformiert. Das, was in anderen Ländern funktioniere, sei in Italien verfälscht worden. Der Antrag habe im ersten Teil seine Logik, aber dann reduziere er das ganze Problem des Fachkräftemangels auf das Bürgereinkommen, kritisierte Hanspeter Staffler (Grüne). Der Lega-Minister Garavaglia kritisiere das Bürgereinkommen natürlich, aber das sei Populismus. Auch wenn manche das Bürgereinkommen einer Arbeit vorzögen, so gebe es viele andere, die darauf angewiesen seien. Man müsse viel mehr Faktoren berücksichtigen, um den Fachkräftemangel zu erklären.
Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) vermisste Daten im Antrag und lieferte sie nach: Laut INPS gebe es in Südtirol nur ein paarhundert Ansuchen um Bürgereinkommen, in Trient bereits viel mehr. Im Schnitt würden wenig mehr als 400 Euro ausbezahlt. Das wahre Problem seien die hohen Lebenshaltungskosten in Südtirol. Wie Arbeitsminister Orlando berichtet habe, seien 26 Prozent der Bezieher Minderjährige, 5 Prozent Senioren, viele seien nahe am Rentenalter, viele seien Menschen mit Behinderung. Die Ansuchen seien gegenüber 2021 rückläufig.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) meinte, das Problem wäre noch nicht gelöst, wenn all diese Leute wieder arbeiten gingen. Das Problem gehe nicht auf das Bürgereinkommen zurück, es liege tiefer. Ein Teil des Problems sei die geringe gesellschaftliche Wertschätzung für Berufe ohne akademische Ausbildung. In Südtirol habe sich der Tourismus so ausgebreitet, dass er ohne Personal von außen nicht mehr überleben könne. Auch darüber sollte man sich Gedanken machen.
LH Arno Kompatscher stellte klar, dass niemand Transferleistungen zugunsten von Arbeitslosen in Frage stelle, das Problem sei die Umsetzung. Das Problem mit dem Bürgereinkommen sei, dass es nicht kontrolliert werde. Die Verpflichtung, Arbeitsangebote anzunehmen, werde nicht durchgesetzt. Es gehe hier nicht um “Faulpelze”, sondern darum, dass der “Reddito di cittadinanza” schlecht konzipiert sei, er verwalte Arbeitslosigkeit, anstatt die Arbeitslosen zu einem Arbeitsplatz zu bringen.
Helmut Tauber betonte, dass er nicht die Grundsicherung an sich kritisiere. 2,6 Mio. Personen würden dieses Bürgereinkommen beziehen. Die meisten davon seien Singles, die Scheidungsrate im Süden sei gestiegen. Unter den Beziehern sei eine Million vermittelbar, aber nur 20 Prozent davon habe eine Arbeit angenommen. Natürlich brauche der Tourismus noch andere Maßnahmen, um Fachkräfte zu finden. Der Antrag wurde mit 17 Ja, sieben Nein und drei Enthaltungen angenommen.
Damit war die erste Juni-Sitzung beendet. Der Landtag tritt am 28. Juni wieder zusammen.
Von: mk