US-Präsident kündigt weitere Sanktionen gegen Russland an

Biden fordert wegen Butscha “Kriegsverbrecherprozess”

Montag, 04. April 2022 | 23:28 Uhr

US-Präsident Joe Biden hat nach den mutmaßlichen Gräueltaten gegen Zivilisten im Kiewer Vorort Butscha einen “Kriegsverbrecherprozess” gefordert und weitere Sanktionen gegen Russland angekündigt. Biden bezeichnete den russischen Präsidenten Wladimir Putin am Montag in Washington erneut als “Kriegsverbrecher”. Russlands Außenminister Sergej Lawrow meinte daraufhin, dass einige im Westen offenbar “Probleme mit ihrem Gewissen” hätten.

Er kündigte zudem an, dass Russland im Laufe des Montags in New York eine Pressekonferenz abhalten werde, um auf die Vorwürfe bezüglich seiner Rolle Butscha einzugehen. Biden hatte zuvor betont, dass die Vorkommnisse in Butscha ein “Kriegsverbrechen” seien, die einen “Kriegsverbrecherprozess” nach sich ziehen müssten. “Dieser Kerl ist brutal, und was in Butscha passiert, ist empörend, und jeder kann das sehen”, sagte Biden über Putin. “Er sollte zur Verantwortung gezogen werden.”

Für einen möglichen Kriegsverbrecherprozess müssten aber zunächst Informationen und “alle Details” gesammelt werden. Biden kündigte weitere Waffenlieferungen an die Ukraine und neue Sanktionen gegen Russland an. “Ich strebe weitere Sanktionen an”, betonte der US-Präsident. “Ich werde weitere Sanktionen hinzufügen.”

Nach Ansicht des US-Verteidigungsministeriums sind die russischen Streitkräfte für die Gräueltaten in der ukrainischen Stadt Butscha verantwortlich. “Ich denke, es ist ziemlich offensichtlich – nicht nur für uns, sondern für die Welt – dass russische Kräfte für die Gräueltaten in Butscha verantwortlich sind”, sagte der Sprecher des Pentagons, John Kirby, am Montag. Die USA könnten nicht genau sagen, welche Einheiten dort im Einsatz gewesen seien, aber es gebe keine Zweifel, dass die Gräueltaten stattgefunden hätten und eine Tat der russischen Kräfte seien, sagte Kirby.

Die USA tragen Beweismaterial zusammen, um Russland und Putin wegen Kriegsverbrechen vor den Internationalen Strafgerichtshof oder ein anderes Gericht zu bringen. Da Russland ständiges Mitglied im UNO-Sicherheitsrat sei, könne jegliches Verfahren, um Russland zur Rechenschaft zu ziehen, dort von der Regierung in Moskau blockiert werden, betonte der nationale Sicherheitsberater der USA, Jake Sullivan. Noch gebe es keine Beweise, dass die Gräuel in Butscha als Völkermord einzustufen seien.

Die USA hätten sich aber an vier Stellen gewandt, um die Beweise für ein Verfahren zu bekommen. Dazu gehörten die Informationen, die die USA und befreundete Länder unter anderem von Geheimdiensten hätten, Beobachtungen der Ukrainer im Land selbst, Erkenntnisse von internationalen Organisationen wie den Vereinten Nationen sowie Interviews, die weltweit von unabhängigen Medien geführt worden seien.

In Butscha waren nach dem Rückzug der russischen Armee aus der ukrainischen Hauptstadtregion zahlreiche Leichen von Zivilisten gefunden worden. Die Gesamtzahl der Toten ist unklar. Die Bilder aus dem Kiewer Vorort sorgten international für Entsetzen und scharfe Verurteilungen Russlands. Die Ukraine zählte im Gebiet rund um die Hauptstadt Kiew über 400 tote Zivilisten und macht dafür die vor kurzem abgezogenen russischen Truppen verantwortlich. Moskau bestreitet das und spricht von einer “Fälschung”.

Unterdessen sind laut einem Vertreter des US-Verteidigungsministeriums zwei Drittel der russischen Einheiten in der Umgebung der Hauptstadt Kiew abgezogen. Viele würden in Belarus neu gruppiert. Es sei wahrscheinlich, dass sie danach im Osten der Ukraine eingesetzt werden würden.

Die Ukraine wirft russischen Truppen vor, die Evakuierungsbemühungen des Internationalen Roten Kreuzes in Mariupol zu blockieren. Deren Mitarbeiter sollen am Montagabend von russischen Truppen in der ukrainischen Ortschaft Manhusch festgehalten worden sein. Das Team versuche seit Freitag, in die schwer umkämpfte Hafenstadt Mariupol zu gelangen, sagte die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk nach Angaben der Agentur “Ukrinform”.

Es handle sich um sieben Busse, die Zivilisten entlang einer mit Russland vereinbarten Route aus Mariupol herausbringen sollten. “Busse sind in Mariupol nicht erlaubt. Die Menschen reisen nur mit ihren eigenen Autos”, sagte Wereschtschuk. Trotzdem konnten am Montag Wereschtschuk zufolge 1.553 Menschen die Stadt in privaten Autos verlassen. Insgesamt konnten sich am Montag demnach 3.376 Menschen aus umkämpften Gebieten in der Ukraine in Sicherheit bringen. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig prüfen.

Nach Angaben des Bürgermeisters ist die Stadt fast vollständig zerstört. “Die traurige Nachricht ist, dass 90 Prozent der Infrastruktur in der Stadt zerstört sind und 40 Prozent nicht wiederhergestellt werden können”, erklärte Wadym Boitschenko auf einer Pressekonferenz. Rund 130.000 Menschen seien nach wie vor in der Stadt eingeschlossen.

Vor Beginn des Krieges lebten rund 500.000 Menschen in der Stadt am Asowschen Meer. “Die russische Armee zerstört Mariupol auf brutale Weise”, betonte Boitschenko. “Die Bombardierungen hören nicht auf.” Insbesondere Mehrfachraketenwerfer würden zum Einsatz kommen. Laut Boitschenko kommen die meisten Angriffe “vom Meer her”, wo russische Schiffe liegen würden.

Mariupol ist seit Wochen von jeglicher Versorgung abgeschnitten und wird von den russischen Streitkräften heftig beschossen. Die Lage in der Stadt ist katastrophal. Nach ukrainischen Angaben wurden dort mindestens 5.000 Menschen seit Beginn der Angriffe vor mehr als einem Monat getötet.

Der ukrainische Generalstab verzeichnet weiter russische Artillerieangriffe auf die belagerte Großstadt Charkiw in der Ostukraine. Auch bestehe die Wahrscheinlichkeit von Luft- und Raketenangriffen auf zivile Ziele in Charkiw, teilte der Generalstab mit. Zudem habe Russland die Luftabwehr für seine Truppen in der Region und für die Stadt Belgorod auf russischer Seite der Grenze verstärkt. In Belgorod war vergangene Woche ein Tanklager in Flammen aufgegangen, russische Quellen sprachen von Beschuss durch zwei ukrainische Helikopter.

Von: APA/AFP/Reuters/dpa