Eine Woche nach Beginn der Affäre um Bayerns Vizeregierungschef Hubert Aiwanger und ein antisemitisches Flugblatt aus seiner Schulzeit ist nun wieder Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Zug. Der Freie-Wähler-Vorsitzende hat Söders Fragenkatalog zu den Vorgängen schriftlich beantwortet und sieht danach “überhaupt keinen Grund für einen Rücktritt oder eine Entlassung”, wie er der “Bild am Sonntag” sagte. Der 52-Jährige forderte ein Ende der “Hexenjagd”.
Aus CSU-Kreisen hieß es am Samstagmorgen, Aiwangers Antworten würden nun “in Ruhe” ausgewertet. Söder hatte auf eine schnelle Beantwortung der 25 Fragen gedrängt und gesagt, es dürften keine Restzweifel bleiben. Er muss nun entscheiden, ob er Aiwanger entlässt oder wie weiter verfahren werden soll. Am 8. Oktober wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt.
Nach dpa-Informationen waren Aiwangers Antworten am Freitagabend übermittelt worden. Die Staatskanzlei bestätigte den Eingang. Bei einem öffentlichen Auftritt am Samstag im hessischen Landtagswahlkampf äußerte sich Aiwanger nicht weiter.
Der “Bild am Sonntag” sagte er zudem, dass er die Koalition mit der CSU weiterführen möchte: “Ich wünsche mir, dass es nach den Wahlen eine Fortsetzung der Koalition von uns mit der CSU geben kann, natürlich hängt das aber vom Wahlergebnis ab.” Seine Wähler seien empört über die “Kampagne”.
Bei der Veranstaltung in Hessen erhielt Aiwanger Zuspruch vom dortigen Freie-Wähler-Chef Engin Eroglu. In dem Nachbarbundesland wird am 8. Oktober ebenfalls gewählt. Auch wenn die seit einer Woche kursierenden Vorwürfe gegen den Bundesparteichef und bayerischen Regierungsvize “alle schlimm” seien, gebe es “nicht einen Beweis” dafür, sagte Eroglu nahe dem nordhessischen Ort Wetter. Aiwanger habe “glaubwürdig versichert”, dass er das Flugblatt nicht geschrieben habe, und sei “nicht Auslöser dieser Kampagne”.
Zum Inhalt der Antworten war zunächst noch nichts bekannt. Auch die Fragen, die die Staatskanzlei an den Chef der Freien Wähler geschickt hatte, waren nicht veröffentlicht worden. Das müsse sich jetzt schnell ändern, fordert die oppositionelle FDP im Landtag.
Es dürfe kein exklusiver Briefwechsel zwischen CSU und Freien Wählern sein, sagte der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion, Martin Hagen. “Transparenz ist hier ganz wichtig, damit das Vertrauen in die Staatsregierung keinen nachhaltigen Schaden nimmt. Deshalb erwarte ich, dass Ministerpräsident Söder die Fragen und Antworten zeitnah öffentlich zugänglich macht.”
Aiwanger hatte bereits vergangenen Samstag zurückgewiesen, das antisemitische Flugblatt geschrieben zu haben, über das die “Süddeutsche Zeitung” berichtet hatte. Gleichzeitig räumte er ein, es seien “ein oder wenige Exemplare” in seiner Schultasche gefunden worden. Kurz darauf sagte sein älterer Bruder, der Verfasser zu sein. Gegen Aiwanger selber wurden im Laufe der Woche weitere Vorwürfe laut. Am Donnerstagnachmittag entschuldigte er sich.
Der Präsident des deutschen Zentralrats der Juden, Josef Schuster, kritisierte Aiwanger am Freitagabend im ZDF-“Heute Journal” für dessen Umgang mit der Affäre. Bezogen auf Aiwangers öffentliche Entschuldigung sagte Schuster, er finde es problematisch, “dass direkt in einem Atemzug mit dieser Entschuldigung wieder das Thema kommt, dass er das Ganze als eine Kampagne gegen sich sieht”.
Schuster kritisierte auch Aiwangers Aussage in der “Welt”, dass die Schoah, also der Völkermord an den europäischen Juden während der Nazi-Zeit, zu parteipolitischen Zwecken missbraucht werde. “Was ich aus diesem Satz höre, ist das, was man aus einer Opfer-Täter-Umkehr versteht. Dass jetzt also versucht wird, die Opfer zu Tätern zu machen”, erklärte der Zentralratschef.
Das Problem sei nicht das Flugblatt, das im Raum stehe, auch wenn Aiwanger offensichtlich in einem seltsamen Umfeld aufgewachsen sei. “Aber es geht doch vielmehr darum, dass ich erwartet hätte, dass er sich sofort umfassend davon distanziert. Und es hat schon recht lange gedauert, bis er sich gestern Abend zu dieser Entschuldigung durchgerungen hat.”
Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel stellte sich dagegen hinter Aiwanger. “Warum sollen junge Neonazis aus der rechtsextremistischen Szene aussteigen, wenn sie am Beispiel Hubert Aiwanger erleben, dass man auch 35 Jahre später noch für den Wahnsinn der eigenen Jugend öffentlich gebrandmarkt wird?”, schrieb Gabriel am Freitag auf der Online-Plattform Twitter (X) bekannt. Dann könnte man sich “die ganzen Aussteigerprogramme sparen.”
Von: APA/dpa
Hinterlasse einen Kommentar
11 Kommentare auf "Flugblatt-Affäre: Aiwanger sieht keinen Entlassungsgrund"
Du musst angemeldet sein um Kommentare schreiben oder bewerten zu können.
Du musst angemeldet sein um Kommentare schreiben oder bewerten zu können.
ja ja, einmal Nazi, immer Nazi, so geschehen auch mit Horst Tappert (Derrick) und, halt mal, nein, dem Günther Grass, der bei der Waffen-SS war und dies ein Leben lang verschwiegen hat, verzeihen wir, und allen anderen der linken Nomenklatura auch. Zweierlei Maß, je nachdem, wie es konveniert, gelle
Savo, voll daneben wie meist.
er hätte zurücktreten sollen.
@bon jour
ja ja, jedem Mörder wird eine zweite Chance eingeräumt, und wehe, jemand hat was dagegen, gelle
@Savonarola
Wie Grass, Tappert…. mit ihren Lebenslügen klar kamen ? Ist mir egal.
Gesellschaftlich relevant sind doch eher Politiker. Deren “Jugendsünden” werden dann kritisch, wenn sie relativieren. Oder tricksen.
Wie man jetzt lesen kann (abwarten ob das stimmt bzw. was da noch so kommt), habe 2008 “die ebenfalls aus dem niederbayerischen Ergoldsbach stammende Parteifreundin Jutta Widmann bei einem seiner [Aiwangers] ehemaligen Lehrer vorstellig geworden sein. Offenbar, um in Erfahrung zu bringen, ob ihrem Chef von dieser Seite [wegen des Flugblatts] Ärger drohe.”
Dann hätte Aiwanger und/oder Frau Widmann sich sehr wohl an das Pamphlet erinnert und dessen Brisanz erkannt.
https://www.focus.de/politik/deutschland/wie-deutsche-politiker-mit-jugendsuenden-umgingen_id_203536079.html
https://www.merkur.de/politik/wahlkampf-koalition-aiwanger-flugblatt-schule-freie-waehler-widmann-soeder-csu-zr-92491628.html
Jetzt geht es rund:
“15 Jahre Bangen – und trotzdem kalt erwischt?
Wenn es stimmt, dass sich Aiwanger schon 2008 Sorgen machte, ob ihm die Episode aus seiner Jugend eines Tages auf die Füße fällt, dann sollte sich die Fraktion der Verständnisvollen zumindest fragen, ob der Freie-Wähler-Chef und bayerische Wirtschaftsminister zu den hellsten Kerzen auf der Torte gehört – denn sonst wäre er besser vorbereitet….
Gar keine Entschuldigung oder ein kurzes “Sorry” würde nicht reichen, um die Koalitionsfähigkeit zu wahren, das hat er begriffen – eine zu glaubwürdige Entschuldigung und tiefschürfende Selbstkritik würden ihm aber das Fischen nach Wählerstimmen am rechten Rand erschweren.”
https://www.telepolis.de/features/Eiertanz-um-antisemitisches-Flugblatt-Aiwanger-und-sein-Zielgruppen-Dilemma-9292641.html
Sigmar Gabriel labert mal wieder am Thema vorbei.
Aiwanger hätte nach der SZ-Veröffentlichung die Karten auf den Tisch legen müssen.
Wegen der Hexenjagd, es sind halt in ein paar Wochen Wahlen in Bayern! 😬
Auch seine politischen Konkurrenten müssen zugeben dass dies eine klassische Jugendsünde ist. Und diese kindischen Fehler von damals werden ausgegraben wenn Wahlen anstehen.
das gute wird siegen
Frei nach “Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?” (Konrad Adenauer)
Wer vor 35 Jahren nicht mal eine gravierende ” Jugendmeinung” verzapft hat,soll sich melden.