Satellitenbilder vor und nach dem Dammbruch

Nach Dammbruch in Ukraine: Sorge um betroffene Menschen

Mittwoch, 07. Juni 2023 | 19:11 Uhr

Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine wächst die Sorge um die in den Überschwemmungsgebieten lebenden Menschen. Nach russischen Angaben waren bis zu 40.000 Menschen in dem durch Russland besetzten Teil der Region Cherson betroffen. Die Ukraine hatte zuvor mitgeteilt, dass auf der durch ihre Truppen befreiten rechten Seite des Flusses Dnipro rund 17.000 Menschen ihre Häuser verlassen mussten.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warf den Vereinten Nationen und dem Roten Kreuz Versagen nach dem Dammbruch in der Ukraine vor. “Sie sind nicht da”, sagte Selenskyj im Interview mit “Welt”, “Bild” und “Politico”. Dabei müssten die UNO und das Rote Kreuz doch als erste da sein, um Leben zu retten. Auf Anfragen der Ukraine habe es keine Antworten gegeben.

“Ich bin schockiert.” Falls es doch eine Reaktion gegeben habe, sei diese sehr diplomatisch ausgefallen. Schwere Vorwürfe erhob Selenskyj auch gegen das Verhalten russischer Soldaten nach dem Dammbruch in den von ihnen besetzten Gebieten in der Region Cherson. “Wenn unsere Kräfte versuchen, die Menschen rauszuholen, dann werden sie von den Besatzern aus der Entfernung beschossen.”

Der russische Präsident Wladimir Putin machte die Ukraine für die Explosion am Kachowka-Staudamm verantwortlich. In seiner ersten öffentlichen Stellungnahme zum Bruch des Damms in der Südukraine sprach Putin am Mittwoch von einer “barbarischen Tat” Kiews. Dadurch sei “eine ökologische und humanitäre Katastrophe großen Ausmaßes” verursacht worden, sagte Putin nach Angaben des Kreml in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Erdogan schlug am Mittwoch in separaten Telefonaten mit Putin und Selenskyj eine Untersuchungskommission vor, teilte das Präsidialamt in Ankara mit. Eine solche Kommission könne mit Experten der beiden Kriegsparteien sowie mit Vertretern der Türkei und der Vereinten Nationen besetzt sein und damit ein ähnliches Format haben wie das sogenannte Getreideabkommen, hieß es. Im Juli 2022 hatten die Vereinten Nationen und die Türkei ein Abkommen vermittelt, das die Blockade ukrainischen Getreides durch Russland beendet hatte.

Dem britischen Premierminister zufolge ist noch nicht klar, ob Russland für den Dammbruch in der Ukraine verantwortlich ist. Sicherheitsdienste und Militär arbeiteten sich noch durch den Fall, sagte Rishi Sunak am Mittwoch dem Sender ITV anlässlich eines Besuchs in den USA. “Aber wenn es stimmt, wenn Absicht dahinter steckt, ist das ein neuer Tiefpunkt. Das ist ein beunruhigender, barbarischer Akt von Russland.”

Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sieht einen klaren Verdächtigen bei der Sprengung des ukrainischen Staudamms Kachowka, nämlich Russland. Schallenberg äußerte sich in einem interview bei “Milborn” auf PULS 24, das Mittwochabend um 21:15 Uhr ausgestrahlt wird, wie der Sender in einer Aussendung mitteilte. “Es wäre nicht das erste Mal, dass Russland zivile Infrastruktur zerstört und das ist eine eklatante Verletzung des humanitären Völkerrechts. Beweise gibt es nicht, aber wenn man sich die Frage stellt “Cui bono?” – Wem nützt das am meisten?”, fragte der Außenminister.

Der Damm war am Dienstagmorgen gebrochen, die darauf freigesetzten Wassermassen überfluteten weite Landstriche im Süden des Landes. Kiew und der Westen bezichtigten russische Besatzungstruppen, den von ihnen kontrollierten Damm gesprengt zu haben. Ziel sei es, die erwartete ukrainische Gegenoffensive aufhalten zu wollen. Moskau hingegen machte Kiew für die Katastrophe verantwortlich. Die Ukraine betonte, die eigenen militärischen Pläne könnten trotzdem umgesetzt werden.

Die russischen Besatzer in der Ukraine gehen davon aus, dass in dem von ihnen kontrollierten Teil des Gebiets Cherson bis zu 40.000 Menschen von den schweren Überschwemmungen betroffen sind. Laut staatlicher russischer Nachrichtenagentur Tass wurde dort der Notstand ausgerufen. “Nach vorläufigen Prognosen sind es zwischen 22.000 und 40.000”, sagte der von Moskau in Cherson eingesetzte Verwaltungschef Wladimir Saldo am Mittwochvormittag im russischen Staatsfernsehen auf die Frage, wie viele Menschen im Katastrophengebiet lebten.

Britische Geheimdienste rechnen unterdessen mit weiteren Folgen. “Die Struktur des Damms wird sich in den nächsten Tagen voraussichtlich weiter verschlechtern, was zu weiteren Überschwemmungen führen wird”, teilte das britische Verteidigungsministerium am Mittwoch mit. Auf Fotos und Videos hat es den Anschein, dass ein Teil der Staumauer noch steht. Weitere Angaben machte die Behörde nicht, auch nicht dazu, wer für die Zerstörung verantwortlich sein könnte. In den überfluteten Ortschaften stieg auch am Mittwoch weiter das Wasser.

Das flussaufwärts gelegene Atomkraftwerk Saporischschja ist für die Kühlung der Reaktoren auf den Kachowka-Stausee angewiesen. Am Mittwoch wurde nach Angaben der Umweltorganisation Greenpeace deutlich, dass nach der Zerstörung des Staudamms der Wasserstand schneller sinkt als bisher angenommen. Bei gleichbleibendem Absinken des Wasserpegels werde die kritische Grenze bereits in der Nacht auf Donnerstag erreicht. Greenpeace warnte in einer Aussendung vor einer Gefährdung der nuklearen Sicherheit.

Die Strahlenwerte in dem von Russland besetzten ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja sind russischen Medien zufolge normal. Sie würden täglich gemessen, meldete die Nachrichtenagentur RIA unter Berufung auf einen Bericht einer staatlichen Agentur. Das AKW ist seit der Zerstörung des Kachowka-Staudamms wegen der Kühlung der Reaktoren wieder in den Fokus gerückt. Nach Angaben der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hat die Anlage für mehrere Monate Kühlwasser durch einen nahe gelegenen Teich, die Reaktoren sind heruntergefahren.

Von: APA/Reuters/dpa