Bozen – Südtirols Landeshauptmann Arno Kompatscher (SVP) kann vorerst aufatmen: Nach Wochen schwerster politischer Turbulenzen im Zuge der SAD-Affäre rund um diverse Abhörprotokolle erhielt sein Vorschlag auf Verkleinerung der Landesregierung bei einer Sonderlandtagssitzung am Freitag die nötige Mehrheit. Damit wurde Kompatscher nunmehr seinen Parteifreund, SVP-Landesrat Thomas Widmann los, der sich weigerte im Zuge der Affäre und nach dem Entzug der Kompetenzen aus der Regierung auszuscheiden.
18 Mandatare votierten in offener Abstimmung im ersten Wahlgang für den Kompatscher-Vorschlag, 16 dagegen. Es gab eine Enthaltung. Widmann hatte angekündigt, gegen seine Abwahl zu stimmen. Die Regierung aus Südtiroler Volkspartei und Lega verfügt über 19 Landtagsabgeordnete.
Das Parteiurgestein Widmann war zuletzt Landesrat ohne Portefeuille, hatte aber weiter Stimmrecht in der Landesregierung. Der 62-Jährige hatte sich in den Abhörprotokollen abschätzig über den Landeschef geäußert, indem er zitiert wurde: “Wir haben noch nie so einen schwachen Landeshauptmann gehabt, noch nie einen, der so viel Schaden für das Land gemacht hat”. Parteigremien forderten ihn zum Rücktritt auf, er weigerte sich aus der Regierung auszuscheiden. Somit hat die Landesregierung der autonomen Provinz nunmehr – inklusive Kompatscher – acht Mitglieder. Der Landeschef übernimmt vorerst selbst Widmanns Gesundheitsagenden. Er kündigte an, eventuell zu einem späteren Zeitpunkt dem Landtag einen Vorschlag zu einer Neuverteilung der Aufgaben oder einer Aufstockung der Landesregierung vorzulegen.
Die Opposition kritisierte in der emotionalen Debatte vor allem die politische Krise und den Vertrauensverlust der Bürger in die Politik. Brigitte Foppa (Grüne) bezeichnete den Anlass als Tiefpunkt der Demokratie. Sie kritisierte vor allem, dass Kompatscher die Koalition zwischen SVP, Lega und Forza Italia neu aufgelegt habe. Ein Dorn im Auge war ihr auch, dass der Landeshauptmann keine neue Regierungserklärung vorlegte, sondern nur jene von 2018 neu aufgelegt habe. Damals seien die Probleme noch ganz andere gewesen.
Anstatt die Sorgen der Bürger anzugehen, beschäftige man sich nur mit Machtkämpfen, prangerte Paul Köllensperger (Team K) an. Dies führe nur dazu, dass die Politikverdrossenheit in der Bevölkerung noch weiter steige. Köllensperger stellte fest, dass vom versprochenen neuen Politikstil Kompatschers und der angekündigten Zusammenarbeit mit der Opposition nichts geblieben sei. Der Landtag müsse nun dazu herhalten, um “parteiinterne Intrigen zu bereinigen”.
Alessandro Urzí (Fratelli d ́Italia) übte scharfe Kritik an den italienischen Parteien in der Mehrheit. Sie hätten die Gelegenheit verpasst, weitere Zuständigkeiten herauszuholen. 40.000 Familien in Südtirol seien von Armut bedroht. Dazu habe es jedoch noch nie einen Sonderlandtag gegeben, beanstandete Andreas Leiter Reber (Freiheitliche). Er wies den Landeshauptmann und SVP-Obmann Philipp Achammer darauf hin, dass es Autorität brauche, um politische Kaliber wie Widmann oder SVP-Vize Karl Zeller zum Rücktritt aufzufordern. Parteikollegin Ulli Mair führte dem Landeshauptmann vor Augen, dass er die Abstimmung nur wegen des Fraktionszwanges innerhalb der SVP gewinnen werde. “Die Abstimmung wird offen und namentlich, aber nicht ehrlich sein”, sagte sie.
Sven Knoll (Süd Tiroler Freiheit) ging mit Kompatscher hart ins Gericht. Es werde die Botschaft nach außen getragen, dass “wer am Landeshauptmann Kritik übt, fliegt”. Er warf Kompatscher Planlosigkeit vor, weil er den wichtigsten Bereich, die Gesundheit, interimistisch verwalten wolle. Der Landeshauptmann hinterlasse eine gespaltene Gesellschaft, eine Jugend, die dem Land davonlaufe und eine Autonomie, die heute in Bereichen schlechter dastehe, als 1992 bei der Streitbeilegungserklärung, prangerte Knoll an. Und dieser Autonomieverlust solle heuer auch noch gefeiert werden.
SVP-Fraktionssprecherin Magdalena Amhof dankte Widmann für seine “gute Arbeit”. Gleichzeitig erklärte sie, dass die Mehrheit für die Umgestaltung der Regierung stimmen werde.
In seiner Replik auf die Debattenbeiträge stellte Landeshauptmann Kompatscher dann klar, dass die Landesregierung sehr wohl gearbeitet und sich nicht nur mit Streitigkeiten befasst habe. Die autonome Provinz stehe heute viel besser da als bei seinem Amtsantritt vor acht Jahren. Kompatscher widersprach auch dem Eindruck, der Vertrauensverlust gegenüber Widmann sei nur eine persönliche Befindlichkeit. “Es sind Dinge vorgefallen, die nicht unseren Ansprüchen genügen”, so der Landeschef, der von “Ungeheuerlichkeiten” sprach.
Vor der Landtagssitzung hatte der nun abgewählte Landesrat Widmann auf einer Pressekonferenz allen gedankt, die in den letzten Jahren im Gesundheitsbereich “Großartiges” geleistet hätten. Er nannte dabei nicht nur die direkten Mitarbeiter sondern auch Pflegekräfte, Ärzte und alle im Sanitätsbereich Tätigen. Die “Amputation der Landesregierung” bezeichnete er als “großen politischen Fehler”. Es sei nicht realistisch zu glauben, dass man einen so wichtigen Bereich nur nebenbei verwalten oder ein externer Experte sich einarbeiten könne. Die derzeitige Krise werde die SVP noch lange beschäftigen, so Widmann.
Die Sammelpartei SVP war in den vergangenen Wochen und Monaten von massiven Streitigkeiten erschüttert worden. Hintergrund ist die Veröffentlichung von Abhörprotokollen aus dem Jahr 2018 rund um staatsanwaltschaftliche, letztlich eingestellte Ermittlungen wegen der Konzessionsvergabe für den öffentlichen Busdienst (SAD ist das größte Busunternehmen, Anm.) in Südtirol. Teil der Protokolle sind abfällige Äußerungen einiger SVP-Politiker über Parteifreunde. Zudem tobte offenbar auch ein Machtkampf innerhalb der Partei. Im Herbst 2023 steht die Landtagswahl an. Der 52-jährige Kompatscher hat bisher noch nicht bekanntgegeben, ob er wieder antreten will oder nicht.
Das Protokoll der Landtagssitzung
Der Landtag ist heute zu einer außerordentlichen Sitzung zusammengetreten, um über einen Antrag von LH Arno Kompatscher zur Umbildung der Landesregierung zu beraten.
Die Umbildung sei aus Sicht der Mehrheit notwendig geworden, da es durch verschiedene Vorkommnisse zu einem Vertrauensverlust gekommen sei, erklärte LH Arno Kompatscher. Die Mitglieder der Landesregierung würden – mit Ausnahme von Thomas Widmann – dieselben bleiben, wobei er die Zuständigkeiten von Thomas Widmann ad interim selbst übernehme. Die Ausrichtung bleibe dieselbe, man stehe aber vor schweren Herausforderungen: Die Pandemie sei noch nicht vorüber und dazu sei der Krieg in der Ukraine mit all seinen Folgen gekommen. Man werde alles tun, um vor allem die Schwächeren vor der Teuerung zu schützen. Die Landesregierung sei ein eingespieltes Team und habe noch viel vor.
Die Wahl einer Landesregierung sei einer der höchsten Momente der Legislaturperiode, erklärte Brigitte Foppa (Grüne). Heute sei man aber an einem Tiefpunkt angelangt. Der Landeshauptmann habe sich für dieselbe Kombination entschieden: SVP, Lega und wahrscheinlich Forza Italia, eine Fraktion deren einziges Mitglied 2019 im Namen der Lega die Regierungserklärung unterschrieben habe. Kompatscher habe die Regierungserklärung von damals heute wieder vorgelegt, ab inzwischen habe sich vieles verändert. Damals habe es noch keine Pandemie und keinen Krieg gegeben, und die SVP sei noch nicht gespalten gewesen. Die Vertrauenskrise lasse sich mit solchen Spielchen nicht lösen, sie gehe tief in die Gesellschaft hinein. Daran werde die Umbildung der Landesregierung nichts ändern. Man habe Bemühungen um Nachhaltigkeit bemerkt, aber auch gesehen, dass an Großprojekten festgehalten werde, dass sich am sozialen Gefälle nichts geändert habe. Die repräsentative Demokratie habe in diesen Wochen ein schlechtes Bild nach außen vermittelt. Man werde genau beobachten, wie das Interim der Sanität gestaltet werde. 70 P5rozent des Landeshaushalts in einer Hand, das sei eine Machtkonzentration. Dies seien die wichtigsten Gründe, warum man der neuen Landesregierung heute nicht das Vertrauen aussprechen werde.
Seine Fraktion habe 2019 nicht diese Landesregierun gewählt und sie werde sie auch heute nicht wählen, erklärte Paul Köllensperger (Team K), das Programm habe sich nicht verändert. Die Leute litten unter Inflation und sähen von der Politik nur Machtspiele, für die allein die SVP verantwortlich sei. Es gehe nur um parteiinterne Machtspiele. Heute müsse der Landtag herhalten, um diese zu bereinigen und den Landeshauptmann zu retten. Von einem neuen Stil bemerke man nichts, auch nicht von einer überparteilichen Zusammenarbeit. Die Rolle des Landtags sei so schwach wie noch nie, Gesetzentwürfe würden im letzten Moment von der Landesregierung noch abgeändert, sodass eine eingehende Befassung unmöglich sei. Man komme schnell den Bedürfnissen der Bauernlobby entgegen, während der Rest der Bevölkerung nicht über die Runden komme. Wenn man nach den nächsten Wahlen den Saal nicht voller Populisten haben wolle, müsse man zeigen, dass hier die wichtigen Regeln erstellt werden. Anderswo sei die Legislative besser ausgestattet, und die Regierungsmitglieder gehörten ihr nicht an. Die Sanitätsagenden würden wohl bis zum Ende beim Landeshauptmann bleiben, die politische Führung des Sanitätsbetriebes riskiere, Schaden zu nehmen. Die SVP sei nicht imstande, sich selbst zu erneuern.
Alessandro Urzì (Fratelli d’Italia) sah in der heutigen Sitzung eine Abrechnung, die sich innerhalb einer einzigen Partei abspiele. Die Koalitionspartner Lega und Forza Italia sollten sich bewusst sein, dass sie heute das Heft in der Hand hätten. Kompatscher habe mit den neuen Kompetenzen fast die absolute Macht, aber die Koalitionspartner hätten darauf verzichtet, ihren Anteil einzufordern. Südtirol sei heute die teuerste Provinz Italiens, aber darum wolle man sich nicht kümmern. Die hohen Preise seien hausgemacht, durch eine isolationistische Politik, aber auch durch die neue Immobiliensteuer. Wenn eine achtköpfige Regierung heute reiche, so hätte sie bereits 2019 gereicht. Er werde heute an dieser innerparteilichen Abrechnung nicht teilnehmen, er wolle sich nicht auf die eine oder die andere Seite stellen. Jasmin Ladurner sei die Einzige, die wegen eines Fehlers zurückgetreten sei. Heute müsste zuallererst der Landeshauptmann die Verantwortung übernehmen und zurücktreten, auch Parteiobmann Achammer. Es sei nicht die Demokratie in Krise, sondern das Modell SVP. Das könne man nur lösen, wenn man den Wählern wieder das Wort gebe.
Kompatscher sei angetreten, um Südtirol zu einer der lebenswertesten Regionen Europas zu machen, bemerkte Andreas Leiter Reber (Freiheitliche). Heute seien rund 40.000 Familien armutsgefährdet, aber für deren Probleme habe man keinen Sonderlandtag einberufen. Die heutige Sitzung finde statt, weil die SVP ihr Problem nicht auf die Reihe gebracht habe. Wenn es im Landtag wirklich darum ginge, die Probleme der Leute zu lösen, gäbe es andere Mehrheiten und eine andere Zusammenarbeit. Kompatscher habe betont, dass die Landesregierung bei der Vergabe der Busdienste sauber geblieben sei, daher sei die Entlassung Widmanns eine persönliche Geschichte. Kompatscher sei auch Landesrat für Finanzen und hätte für eine bessere Verteilung der Mittel unter den Landesräten sorgen sollen, stattdessen sei die Mobilität aufgestockt und das Soziale unterdotiert worden. Er sei nicht aus formalen Gründen gegen die Regierungsumbildung, sondern aus inhaltlichen. Die Freiheitlichen würden nicht für diese Regierung stimmen. Diese müsse in der verbleibenden Zeit runter vom Ross und sich um die Probleme der Menschen kümmern.
Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) erinnerte daran, dass es heute in der Substanz um die Entlassung Widmanns gehe, nicht um eine neue Regierung. Man stimme heute über ein Minus ab, und das könne nicht die beste Lösung sein. Es sehe nach persönlicher Abrechnung aus, denn in den Abhörskandal seien zwei Landesräte verwickelt, und was sich an der Verschwörung verwirklicht habe, betreffe nur das italienische Assessorat. Aber in der italienischen Öffentlichkeit habe das keinen Widerhall gefunden. Er habe nicht für die heutige Regierung gestimmt, er werde auch nicht für die neue stimmen. Es sei undenkbar, dass der Landeshauptmann die Sanität dazu übernehme, das Gesundheitswesen stehe vor mehr Herausforderungen denn je. Wenn man gegen Widmann vorgehe, müsse man dies auch gegen Vettorato tun.
Mit der heutigen Aktion werde der Sumpf der SVP nicht trocken, meinte Josef Unterholzner (Enzian). Was passiert sei, sei eine Schande für die ganze Politik. Landeshauptmann und Parteiobmann hätten von den Abhörprotokollen seit über einem Jahr gewusst, aber nicht gehandelt. Die SVP habe eine Sanierung und eine Interimsführung nötig, dafür brauche man nicht den Landtag in Anspruch zu nehmen. Der wahre Skandal sei die kurzfristige Annullierung der Ausschreibung der Busdienste. Die Bevölkerung erwarte sich von der Landesregierung etwas anderes, die Lösung ihrer Probleme, nicht interne Machtkämpfe. Er hoffe, dass man aus dieser Krise Lehren ziehe. Die Bevölkerung habe den Respekt vor der Politik verloren, viele würden nicht mehr wählen.
Sandro Repetto (Demokratische Partei – Bürgerlisten) bescheinigte Kompatscher eine Aufmerksamkeit für soziale Anliegen und für die Bedürfnisse der urbanen Realität, und dies trotz der Koalition mit der Lega, einer Lega, die schwach sei und darauf verzichtet habe, die Anliegen der italienischen Sprachgruppe zu vertreten. Er werde aber nicht für die neue Regierung stimmen, auch weil es weder Kompatscher noch dem Land guttue, wenn dieser auch die Sanität übernehme. Dem Antrag für die heutige Sitzung sei auch die Regierungserklärung von 2019 beigelegt, es hätte stattdessen eine neue gebraucht, die nicht nur auf die Anliegen der SVP zugeschnitten sei. Die Landesräte der Lega hatten Befugnisse, die wertlos seien und keine Tauschgeschäfte oder Überschwemmungen zuließen, was sie daran hinderte, Politik zu machen und ihre Wähler wirklich zu vertreten. Sie wollten Widmann entlassen, aber keiner der Mehrheitsabgeordneten wollte sich mit dem Gesundheitswesen befassen, nachdem zwei Jahre lang eine Pandemie herrschte, aus der sie nichts gelernt hatten und die zu dystopischen Lösungen wie der 400-Euro-Prämie für die Suche nach neuen Krankenschwestern führte. Wenn man der Meinung war, dass Widmann schlecht gearbeitet hatte, musste man ihm seine Zuständigkeiten wegen Inkompetenz entziehen; wenn man der Meinung war, dass er gut gearbeitet hatte, musste man zugeben, dass man ihm seine Agenden wegen einer internen Angelegenheit innerhalb der SVP entzogen hatte: Wenn dies der Fall war, verloren die Aussagen Kompatschers über die Arbeitsfähigkeit der Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode an Glaubwürdigkeit. In jedem Fall hätte die Regierung weiterhin träge gehandelt und damit die wirksame Verwendung der für das Gesundheitswesen bereitgestellten PNRR-Mittel gefährdet. Leider gebe es in der SVP wenig Zuspruch für einen Landesrat von außen, dieser hätte dringende Aufgaben erledigen können. Die Landesregierung werde ihre 18 Stimmen für die Neuwahl zusammenkriegen, was aber brauchen würde, sei eine Neuorientierung.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) fragte sich, wie die heutige Debatte in der Bevölkerung ankommen werde. Deren Probleme spielten heute keine Rolle. Der Landtag sei heute zusammengekommen, weil zwei Mitglieder der Landesregierung nicht miteinander können. Noch nie sei ein Landtag einberufen worden, weil der Landeshauptmann beleidigt sei. Das habe nichts mit professioneller Arbeit und schon gar nichts mit dem Wählerauftrag zu tun. Die Übernahme der Sanität durch den Landeshauptmann sei ein Zeichen der Schwäche, das Gesundheitswesen sei derzeit das wichtigste Ressort. Der Landeshauptmann habe die Regierungserklärung von 2019 wieder vorgelegt, aus der Zeit vor der Krise, vor der Pandemie. Und nun wolle er vom Landtag einen Blankoscheck. Die Pandemie habe die Gesellschaft gespalten, auch wegen Maßnahmen der Landesregierung, die Medizinstudenten kehrten nicht nach Südtirol zurück, die Bürger würden unter den Teuerungen leiden – und dazu lege die Landesregierung keinen Plan vor. Es gehe heute nur um Befindlichkeiten und Seilschaften, und das schade der Glaubwürdigkeit der Politik. Er habe große Sorge, dass sich das Land in die falsche Richtung entwickle, dass man Kompetenzen verliere, die Landschaft verbaue. Dafür verantwortlich sei der Chef der Landesregierung.
Es sei nicht nur eine Krise der SVP, sondern der Demokratie im Lande, meinte Hanspeter Staffler (Grüne). Eine schwedische Zeitung habe Österreich jüngst eine zweitklassige Demokratie attestiert: wenig Transparenz, keine gute politische Kultur, verdeckter Einfluss der Lobbys. Eine liberale Demokratie zeichne sich durch Toleranz aus und dadurch, dass es keine versteckten Einflüsse gebe. In Südtirol liege die politische Kultur derzeit am Boden, wie das Buch “Freunde im Edelweiß” offenbart habe, von einer Transparenz der Entscheidungen könne man auch nicht sprechen. Vielleicht gelinge es der SVP, die internen Klüfte zu überwinden, aber der Zustand der Demokratie werde durch eine Regierung Kompatscher III nicht verbessert werden. Die Krise der SVP sei das Ergebnis einer demokratischen Krise, die wiederum von der SVP und ihren Koalitionspartnern zu verantworten sei.
Maria Elisabeth Rieder (Team K) vermisste in der heutigen Debatte die Stellungnahmen aus der Mehrheit. Auch die Ausführungen Kompatscher seien mager gewesen, er hätte wenigstens sagen können, was er mit seinen neuen Interimsagenden vorhabe. Er verlange stattdessen vom Landtag einen Blankoscheck. Der Landtag sei heute zusammengetreten, weil eine Partei ihre internen Probleme nicht zu lösen imstande sei. Kompatscher habe in seiner kurzen Rede von sozialer Nachhaltigkeit geredet, aber diese könne man in der bisherigen Regierungsarbeit nicht erkennen. Die Lohnerhöhungen würden in der Presse immer angekündigt, seien aber nicht in Sicht. Es fehlten auch wirksame Entlastungsmaßnahmen für die Bevölkerung in dieser Krise. Die Übernahme der Sanität sei eine enorme Verantwortung, das Gesundheitswesen sei derzeit eine enorme Baustelle. Wenn eine Baustelle brachliege, entstünden neue Kosten, ohne dass etwas weitergehe. Es gebe nicht nur lange Wartezeiten, viele Mitarbeiter würden den Sanitätsbetrieb verlassen. Das Team K habe Dr. Franz Ploner für das Amt des Gesundheitslandesrats vorgeschlagen. Darauf habe man nicht einmal eine Antwort bekommen. Wenn Kompatscher die Gesundheitsversorgung nicht hinbekomme, dann würden ihm die Bürger dies übelnehmen.
Peter Faistnauer (Perspektiven Für Südtirol) sprach von 600 Tagen Wahlkampf, die man nun vor sich habe. Besser wären Neuwahlen, wie sie Urzì vorgeschlagen habe. Die Bevölkerung werde sich auch fragen, warum sie bis jetzt einen Landesrat zu viel bezahlt habe, wenn es jetzt anscheinend ohne gehe. Faistnauer sprach sich für Franz Ploner aus, der für das Amt die Kompetenzen hätte – in diesem Fall könnte er der neuen Landesregierung zustimmen. Die Landesregierung könne dem Landtag nicht weismachen, dass sie angesichts der internen Divergenzen kompetent weiterarbeiten könne. 40.000 Familien seien armutsgefährdet, die hohe Inflation belaste alle Bürger – es gäbe genug zu tun.
Ihre Fraktion habe 2019 nicht die Landesregierung gewählt, aber immer wieder konstruktive Vorschläge gemacht, bemerkte Ulli Mair (Freiheitliche). Einige seien auch angenommen worden. Leider sei es nicht gelungen, die Spaltung in der Gesellschaft zu verhindern. Die Menschen hätten sich von der Politik entfremdet, sie hätten andere Probleme als die Befindlichkeiten der Politiker. Bei seiner Wahl 2019 habe Kompatscher die offene Abstimmung im Sinne der Transparenz und der Ehrlichkeit verteidigt. Heute werde es keine ehrliche Abstimmung geben, auch wenn die Landesregierung 18 Stimmen bekomme. Und das werde sich auch auf die weitere Regierungsarbeit auswirken.
Carlo Vettori (Forza Italia Alto Adige Südtirol) erinnerte an die gemeinsame Presseerklärung der Mehrheit, die auch von einer Neuverteilung der Agenden spreche, intern oder extern. Vettori wehrte sich gegen den Vorwurf, die italienische Vertretung in der Landesregierung habe die Hosen runtergelassen. Der Landtag werde erneut mit dem Thema befasst werden, wenn es um die Neuzuweisung der Agenden gehe. Der Vorwurf komme vom PD, der in Bozen die ganze Urbanistik der SVP überlassen habe. Was die Vertretung der italienischen Sprachgruppe betreffe, so kenne auch Urzì die Grabenkämpfe bei Mitte-Rechts. Vettori dankte Widmann für seine Arbeit, zwei Jahre Einsatz gegen Corona könnten nicht von einem Buch überdeckt werden.
Die Opposition werde der Mehrheit vor, sich nur um parteiinterne Probleme zu kümmern, und spreche selbst nur von parteipolitischen Problemen statt von den Problemen der Bürger, meinte Philipp Achammer (SVP). Jede Partei habe ihre internen Probleme gehabt. Niemand erwarte sich von der Politik, dass sie fehlerlos sei. Man könne sich aber erwarten, dass der Wählerauftrag sauber ausgeführt werde. Die Aufarbeitung dieser Geschichte habe auch für seinen Geschmack zu lange gedauert, solche Probleme ließen sich nicht so schnell lösen. Nun müssten sich alle einen Moment zurücknehmen und das Allgemeininteresse in den Vordergrund stellen. Den Menschen draußen sei die Regierungskonstellation nicht so wichtig, Hauptsache, es werde gut gearbeitet. Für eine gute Arbeit brauche es auch ein gutes Verhältnis untereinander, und das habe gelitten. Achammer dankte Widmann für seine Arbeit in einer schwierigen Zeit. Man werde sich auch mit einer reduzierten Mannschaft verpflichten, auf die Sorgen der Bevölkerung einzugehen.
Die Vorkommnisse der letzten Wochen hätten allen viel abverlangt, erklärt Magdalena Amhof (SVP), sie hätten auch Einfluss auf das Vertrauen in die Politik gehabt. Sie hätten auch geliefert, worauf die Opposition gewartet habe. Sie hoffe aber nicht, dass es nun zu 600 Tagen Dauerwahlkampf komme. Das Leben in diesem Lande sei aber weitergegangen wie bisher, weil das Fundament stabil sei, auch wenn die Kiste einmal wackle. Es sei gerade die SVP, die dafür gesorgt habe. Auch wenn man nicht immer derselben Meinung sei, übernehme man heute gemeinsam Verantwortung. Widmann sei ein Macher, ein Kämpfer, ein Motivator, der das Land bereichert habe, und dafür wolle sie ihm im Namen ihrer Kolleginnen und Kollegen in ihrer Fraktion danken. Sie hoffe auch auf seine rege Mitarbeit in der Fraktion. Heute wolle man die Verkleinerung der Landesregierung mit der eigenen Stimmenkraft beschließen.
Giuliano Vettorato (Lega Salvini Alto Adige Südtirol) ging auf einige Vorwürfe aus der Opposition ein und betonte, dass man 90 Tage lang am Regierungsprogramm gearbeitet habe und erst dann über die Verteilung der Zuständigkeiten gesprochen habe. Er habe nicht den Wohnbau verloren, wie von Repetto behauptet, sondern Energie und Umwelt gewonnen, einen breit angelegten und zukunftsträchtigen Bereich. Gewisse Spekulationen zu den Agenden seien fehl am Platz, auch vor dem Hintergrund, dass bereits 70 Prozent des Regierungsprogramms umgesetzt worden sei, trotz Pandemie, Krieg und Energiekrise.
Thomas Widmann (SVP) teilte viele Meinungen aus der Opposition. Er habe 2019 ein schwieriges und unbeliebtes Ressort übernommen. Man habe ihm zugetraut, Schwierigkeiten meistern zu können, und so sei auch vieles gelungen, um den Gesundheitsdienst zu verbessern. Was nun politisch geschehe, sollte allen zu denken geben. Was sich in drei Jahren eingespielt habe, solle nun amputiert werden. Was er unter vier Augen, aber vielen Ohren gesagt habe, habe zu einem Vertrauensverlust geführt, seine Entschuldigung sei nicht angenommen worden. Die Sanität sei zu groß, um sie ad interim zu führen. Die SVP sei mit dem Anspruch angetreten, dieses Land zu verwalten, und diesen Anspruch gebe man auf, wenn man Regierungsämter an Technokraten übertrage. Er könne jene verstehen, die trotz Bauchweh für den Regierungsvorschlag stimmen würden.
Diego Nicolini (5 Sterne Bewegung) teilte die Komplimente für Widmann, bedauerte, dass manche italienischen Zeitungen den Abhörskandal nicht erwähnt hätten, und stellte in Abrede, dass die italienische Vertretung in der Landesregierung 70 Prozent des Programms erledigt hätte: Die SVP habe 49 Gesetze vorgelegt, Lega und Forza Italia keines. Die Lega werde sich mit traditionell linken Ressorts schwertun, aber bei der Energie hätte man doch etwas vorweisen sollen.
Giuliano Vettorato erwiderte, dass er sich auf die Regierungsarbeit konzentriere. Wäre er einfacher Abgeordneter, würde er wie Nicolini Anträge stellen.
LH Arno Kompatscher begründete seine kurze Stellungnahme am Anfang damit, dass die Geschäftsordnung nicht mehr Zeit vorsehe. Die Medien vermittelten verständlicherweise den Eindruck, als habe sich die Politik in diesen Wochen nur um sich selbst gedreht, aber der Terminkalender der Landesregierung sei voller denn je. Man habe auf schwere Krisen reagieren müssen, und die Kolleginnen und Kollegen in der Landesregierung hätten mehr als gut gearbeitet. Nicht von ungefähr habe sich die Wirtschaft besser erholt als in anderen Regionen. Es laufe nicht alles gut in diesem Land, aber wenn man über den Tellerrand schaue, brauche Südtirol einen Vergleich nicht scheuen. Nun stehe man vor neuen Herausforderungen: Digitalisierung, Kreislaufwirtschaft, Klimaschutz. Kompatscher wehrte sich gegen den Vorwurf, die Autonomie sei in seiner Zeit beschnitten worden; auch die Wissenschaft habe anerkannt, was er dagegen unternommen und erreicht habe. Der Anlass für heute sei ein Vertrauensverlust, aber das könne man nicht mit persönlichen Befindlichkeiten gleichsetzen. Einiges sei seit einem Jahr bekannt, aber vieles sei erst jüngst bekannt geworden – dies zum Vorwurf, er hätte zu spät reagiert. Der Lösungsvorschlag werde von den Parteigremien mitgetragen, und das nicht wegen persönlicher Befindlichkeiten. Die Annullierung der Ausschreibung sei vom Gericht für korrekt befunden worden. Es sei heute auch von Einfluss und Lobbys geredet worden: Ihm sei Äquidistanz wichtig, und für diese Unabhängigkeit zahle man auch einen Preis. Heute würden die Zuständigkeiten Widmanns ad interim auf ihn übergehen. Über die Neuzuweisung werde man in einem zweiten Moment beraten. Unabhängigkeit und Transparenz seien ihm wichtig, sie seien die Voraussetzung, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Kompatscher wies darauf hin, dass es in den vergangenen Legislaturperioden bereits mehrere Regierungsumbildungen gegeben habe.
Bei der anschließenden namentlichen Abstimmung wurde der Vorschlag zur Regierungsumbildung mit 18 Ja, 16 Nein und 1 Enthaltung angenommen.
Präsidentin Rita Mattei schloss die Sitzung um 13.15 Uhr.
Von: apa