Berglandwirtschaft „im freien Fall“

Sarner Bauern bleiben enteignet – Gesetz aus der Faschistenzeit

Dienstag, 14. Juni 2022 | 11:08 Uhr

Sarntal – Der Staatsrat in Rom hat gegen die 60 Bauern im hintern Sarntal entschieden, die damit ihre Weidegründe in den Weilern Muls, Weißenbach und Ausserpens nicht zurück erhalten. Der Sprecher der Interessentschaft der Sarner Bauern, Karl Heiss, beschwert sich, die Bauern würden einem Staatsgesetz aus der Blütezeit des Faschismus in Italien unterliegen.
Zur Vorgeschichte: Die Heimweiden in den Weilern Muls, Weißenbach und Ausserpens wurden seit jeher von den angrenzenden Bauern genutzt und bewirtschaftet. Es handelt sich um landwirtschaftliches Grün, die im Grundbuch als Weiden eingetragen sind. Weil die Weiden im Lawinenkegel und zwischen Bachläufen liegen, handelt es sich um eine Bannzone – umbebaubar, aber für die Bauern sehr nützlich.

1918 wurde Tirol südlich vom Brenner von Italien besetzt und kam 1919 nach dem Friedensvertrag von Paris zu Italien. 1922 kamen die Faschisten an die Macht in Italien und auch Südtirol geriet in den Würgegriff der Diktatur. Von 1923 bis 1943 begannen in Südtirol die Italienisierung und die Zwangsenteignungen.

Ende der 50-er Jahre im vergangenen Jahrhundert wurde durch die sogenannten Brugger-Gesetze wieder versucht, den rechtlichen Zustand vor 1922 herzustellen. Im ganzen Land begannen die Rückführungen der Zwangsenteignungen. Im Sarntal wurden am 31. März 1960 mit einem einstimmigen Gemeinderatsbeschluss sieben Interessentschaften zur Wiedererrichtung der Agrargemeinschaften beschlossen, um den rechtmäßigen Eigentümer die Grundstücke rückzuführen.

In den 70-er Jahren wurde mit Zustimmung und Mithilfe der Bauern auf den Grundstücken ein Sportplatz errichtet. Außerdem wurde im Dorf in der Nähe der Parkplätze ein weiteres Grundstück der Allgemeinheit zugeführt.

„Solche Handlungen haben den Charakter einer Enteignung“

Als unter der Ersatzverwaltung des damaligen Bürgermeister Franz Locher mit Gemeindesekretär Andreas Faccaro Grundstücke an Private veräußert wurden, wurden die Bauern aktiv und bereiteten die die Eintragung ins Grundbuch vor. Gleichzeitig wurde das Gespräch mit der öffentlichen Verwaltung gesucht. Die Interessentschaft „Muls-Weißenbach-Außerpens“ wurde gegründet, um die Eintragung zu vollenden.

In der Folge hat der Gemeinderat seinen eigenen Beschluss vom 31. März 1960 wieder aufgehoben. Damit konnten den Bauern die Grundstücke wieder weggenommen werden – auf der Grundlage eines Gesetzes von Benito Mussolini aus dem Jahr 1927. „Solche Handlungen haben den Charakter einer Enteignung“, kritisiert der Sprecher der Interessentschaft, Karl Heiss.

Bauern wenden sich an Staatsrat

Das Verwaltungsgericht in Bozen entschied gegen die Grundbesitzer. Die Bauern wollten nicht so einfach auf ihre Jahrhunderte alten Rechte verzichten und zogen vor den Staatsrat nach Rom. Der Staatsrat von Rom berief sich auch auf das Gesetz von 1927 und entschied gegen die Bauern.

„Die Anfechtung vorm europäischen Gerichtshof wird nicht möglich sein, denn die Bauern können sich nicht wie die Politik am Steuertopf bedienen“, gibt Heiss zu bedenken.

Die Bergbauern hätten noch nie einen leichten Stand gehabe, aber sie hätten immer alle Schwierigkeiten gemeistert. „Auch für den Wolf und Co werden sie eine Lösung finden, aber wenn man Ihnen das fundamentalste Element – den zu bewirtschaftenden Grund – wegnimmt, befindet sich die Landwirtschaft in den Bergen im freien Fall“, warnt Heiss.

Von: mk

Bezirk: Salten/Schlern