Schottlands Regierungschefin Sturgeon gibt auf

Schottische Regierungschefin Sturgeon tritt zurück

Mittwoch, 15. Februar 2023 | 19:31 Uhr

Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon hat ihren Rücktritt angekündigt. Nachdem sie einen solchen Schritt vor wenigen Wochen noch ausgeschlossen hatte, sagte Sturgeon bei einer Pressekonferenz am Mittwoch, sie fühle, “dass die Zeit jetzt gekommen ist”. Die Anführerin der Schottischen Nationalpartei (SNP) steht seit acht Jahren an der Spitze der Regierung in Edinburgh und setzte sich stets vehement für die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich ein.

Die 52-Jährige bestätigte, dass sie im Amt bleiben werde, bis ein Nachfolger gefunden wird. Sie betonte, dass sie die Entscheidung zum Rücktritt nach längerer Überlegung getroffen habe und nicht jüngste politische Misserfolge den Ausschlag gegeben hätten. Gleichzeitig betonte sie, dass sie in der Politik zu bleiben gedenke.

Der britische Premierminister Rishi Sunak und seine Konservative Partei verlieren damit eine ihrer bekanntesten und erbittertsten Gegnerinnen. Mit einer betont liberalen Politik hatte Sturgeon wiederholt Alternativen zur harten Linie der Regierung in London aufgezeigt und damit mehrere Premierminister vor sich hergetrieben. Dennoch schaffte sie es in mehr als acht Jahren im Amt nie, im nördlichsten britischen Landesteil eine nachhaltige Mehrheit für die Loslösung vom Vereinigten Königreich hinter sich zu versammeln, wie die Politologin Kirsty Hughes der Deutschen Presse-Agentur sagte.

Die SNP und damit auch die schottische Unabhängigkeitsbewegung stehen am Scheideweg. Ihre Person habe die Debatte zu sehr polarisiert, sagte Sturgeon. Doch tatsächlich traf die führende schottische Politikerin des vergangenen Jahrzehnts zu viele Fehlentscheidungen, wie Expertin Hughes sagte. So habe Sturgeon für ihr Vorhaben, die nächste britische Parlamentswahl zu einem De-facto-Referendum über die Unabhängigkeit zu machen, nicht die Unterstützung der gesamten Partei gehabt.

Im Ringen um eine Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich musste Sturgeon zuletzt mehrere Dämpfer hinnehmen: London blockiert eine von ihr angestrebte erneute Abstimmung über die Frage, ob Schottland weiterhin Teil des Vereinigten Königreichs bleiben soll oder nicht. Zudem verloren die Unabhängigkeitsbefürworter vor dem höchsten britischen Gericht. Der Supreme Court hatte geurteilt, dass das schottische Regionalparlament kein Recht hat, ohne Zustimmung der britischen Regierung eine Volksabstimmung anzusetzen.

Sturgeon sagte, sie sei enttäuscht von der Entscheidung, akzeptiere sie aber. Unabhängigkeit müsse auf legalem und demokratischem Wege erreicht werden. Sie hatte den Wunsch nach einer erneuten Abstimmung mit dem Ausgang des Brexit-Referendums im Jahr 2016 begründet, bei dem eine deutliche Mehrheit der Schotten gegen den inzwischen erfolgten Austritt Großbritanniens aus der EU gestimmt hatte.

Zudem belastete zuletzt der Streit um ein kontroverses Gender-Gesetz die schottische Regierung. Mit dem Gesetz, für das das schottische Parlament im vergangenen Jahr gestimmt hatte, soll unter anderem die Pflicht für ein medizinisches Gutachten als Voraussetzung für eine Änderung des Geschlechtseintrags entfallen. Das Mindestalter für einen Antrag soll von 18 auf 16 Jahre gesenkt werden. Als Transmenschen werden Personen bezeichnet, die sich ihrem biologischen Geschlecht nicht zugehörig fühlen.

Daran gab es viel Kritik, zu den prominentesten Kritikerinnen gehört die “Harry-Potter”-Autorin Joanne K. Rowling. Sie und ihre Mitstreiter befürchten, dass Männer die vereinfachten Regelungen ausnützen könnten, um aus sexuellen Motiven in Bereiche einzudringen, die Frauen vorbehalten sind, wie zum Beispiel Damenumkleiden oder -toiletten. Unterstützer sehen in dem Gesetz hingegen eine längst überfällige Reform, die Transmenschen das Leben erleichtern und ihnen ermöglichen könne, selbstbestimmt zu leben.

Sturgeon war die am längsten amtierende schottische Regierungschefin. Sie folgte nach der gescheiterten schottischen Unabhängigkeitsreferendum 2014 auf ihren damaligen Parteikollegen Salmond, der mittlerweile mit Sturgeon zerstritten ist und eine neue Partei, Alba, gegründet hat. Der Name bezieht sich auf die schottisch-gälische Eigenbezeichnung Schottlands.

Die Schotten hatten am 18. September 2014 über einen Austritt aus dem seit drei Jahrhunderten bestehenden gemeinsamen Königreich mit England und Wales abgestimmt. Die Gegner einer Unabhängigkeit setzten sich mit 55 zu 45 Prozent der Stimmen durch.

Sturgeons Ankündigung rief bei politischen Verbündeten und Gegnern gleichermaßen Anerkennung hervor. Der SNP-Abgeordnete Stewart McDonald bezeichnete Sturgeons bevorstehenden Rückzug als “enormen Verlust”. Das Engagement der scheidenden Regierungschefin für Schottland sei “unübertroffen”.

Der britische Premierminister Rishi Sunak lobte Sturgeons “langjährigen Dienst” und wünschte ihr “alles Gute für ihre weiteren Schritte”. Der für Schottland zuständige britische Minister Alister Jack bezeichnete sie als “hervorragende Politikerin” und forderte ihren künftigen Nachfolger auf, “die spaltende Besessenheit von der Unabhängigkeit” Schottlands aufzugeben. Irlands Regierungschef Leo Varadkar nannte die Brexit-Gegnerin Sturgeon “eine wahre Europäerin”.

Sturgeons Vorgänger Salmond – mit dem sie sich wegen eines Vorwurfs sexueller Belästigung zerstritten hatte – sagte, sie habe “keinen offensichtlichen Nachfolger” hinterlassen. Salmond, der später seine eigene Pro-Unabhängigkeits-Partei gründete, sagte, es liege nun an ihrer Nachfolge, “die Unabhängigkeitsbewegung nach einer schwierigen Zeit wieder zu beleben”.

Als mögliche Anwärter für Sturgeons Nachfolge in der SNP gelten Verfassungsminister Angus Robertson, Finanzministerin Kate Forbes, Gesundheitsminister Humza Yousaf und der Vize-Regierungschef John Swinney.

Von: APA/AFP/dpa/Reuters

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