Bei ihrer Reise nach Kiew sind der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz und drei weitere europäische Staats- und Regierungschefs mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu Gesprächen zusammengekommen. Scholz, der französische Präsident Emmanuel Macron, Italiens Regierungschef Mario Draghi und Rumäniens Präsident Klaus Iohannis wurden am Donnerstagmittag von Selenskyj im Präsidentenpalast empfangen.
Dabei versicherte Scholz der Ukraine die europäische Solidarität. “Wir Europäer stehen fest an Eurer Seite”, schrieb Scholz auf Twitter. Er dankte Selenskyj für den Empfang von ihm, Macron, Draghi und Iohannis in Kiew. Die Rede war von einem offenen Gespräch.
Scholz dankte Selenskyj auch dafür, dass er die Einladung zur Teilnahme am G7-Gipfel Ende Juni annahm. Dieser findet in Schloss Elmau in Bayern statt. Unklar blieb, ob der ukrainische Staatschef dafür sein Land verlassen wird oder wie bei anderen Treffen per Video zugeschaltet wird. Selenskyj hatte am Mittwoch die Einladungen zu den Gipfeln von G7 und NATO Ende Juni angenommen.
Beim Besuch in Kiew wurde zum zweiten Mal an diesem Tag Luftalarm ausgelöst. Das berichtete ein Reporter der Deutschen Presse-Agentur vor Ort. Schon nach der Ankunft der Spitzenpolitiker in der Früh hatte es einen Luftalarm gegeben. Auch in zahlreichen weiteren Landesteilen gab es Luftalarm. Die Gäste hielten sich zum Zeitpunkt des zweiten Alarms im Präsidentenpalast auf.
Nach einem gemeinsamen Fototermin vor dem Gebäude setzten sich die Spitzenpolitiker an einem runden Tisch zusammen. Vor dem Treffen hatten die europäischen Gäste den Kiewer Vorort Irpin besucht und sich die Zerstörung durch die russischen Angriffe zeigen lassen.
Scholz verurteilte dort die “Brutalität” des russischen Angriffskriegs und sprach von sinnloser Gewalt. Es seien unschuldige Zivilisten getroffen und eine ganze Stadt zerstört worden, in der es überhaupt keine militärischen Strukturen gegeben habe. “Das sagt sehr viel aus über die Brutalität des russischen Angriffskriegs, der einfach auf Zerstörung und Eroberung aus ist.” Die Zerstörungen in Irpin seien ein “ganz wichtiges Mahnmal” dafür, dass etwas zu tun sei.
Macron sprach in Irpin davon, dass dort “Massaker und Kriegsverbrechen” begangen worden seien. “Es ist eine heroische Stadt, gezeichnet von den Stigmata der Barbarei.”
Draghi traut der Ukraine den Wiederaufbau nach dem Krieg zu. “Das hier ist ein Ort der Zerstörung, aber auch der Hoffnung”, so der italienische Ministerpräsident beim Besuch in Irpin. “Vieles, von dem mir hier erzählt wurde, drehte sich um die Zukunft und den Wiederaufbau”, sagte Draghi. “Das Volk wurde vereint durch den Krieg, es kann nun Sachen schaffen, die vor dem Krieg vielleicht nicht möglich gewesen wären.” Auf eine Frage, ob internationale Hilfe ähnlich des Marshall-Plans nötig sei, antwortete er: “Darüber werden wir nachher reden.”
Rumäniens Staatspräsident Iohannis verlangte erneut, dass Gräueltaten Russlands vor ein internationales Strafgericht gebracht werden. “Ich erneuere mit Nachdruck meinen Appell dafür, dass alle russischen Täter von der internationalen Strafjustiz – die Rumänien voll unterstützt – zur Verantwortung gezogen werden”, twitterte Iohannis am Donnerstag nach dem Besuch in Irpin. “Es gibt keine Worte um die unvorstellbare menschliche Tragödie und die schrecklichen Zerstörungen zu beschreiben, die wir heute in Irpin gesehen haben”, schrieb Iohannis.
Russland warnte unterdessen vor weiteren Waffenlieferungen an die Ukraine. Diese wären “absolut nutzlos” und würden dem Land nur “weiter schaden”, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Donnerstag in Moskau. “Ich möchte hoffen, dass die Führer dieser drei Staaten (…) sich nicht nur darauf konzentrieren, die Ukraine zu unterstützen, indem sie die Ukraine weiter mit Waffen vollpumpen”, so Peskow. Die drei EU-Politiker sollten ihre Zeit mit Selenskyj nutzen, um einen “realistischen Blick auf die Sachlage” zu werfen.
Das russische Militär meldet inzwischen fast täglich die Zerstörung westlicher Waffen in der Ukraine. Russland wirft der Ukraine seit Monaten in dem Krieg vor, seine Kräfte falsch einzuschätzen. Kiew lehnt Aufforderungen Moskaus zur Kapitulation allerdings kategorisch ab.
Seit Mitte März sind zahlreiche Staats- und Regierungschefs, darunter Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP), in die Ukraine gereist.
Von: APA/dpa/Reuters