Sanchez besucht Selenskyj in Kiew

Spaniens Premier zu Beginn des EU-Ratsvorsitzes in Kiew

Samstag, 01. Juli 2023 | 17:18 Uhr

Spanien hat am Samstag turnusgemäß die EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Regierungschef Pedro Sánchez reiste aus diesem Anlass in die ukrainische Hauptstadt Kiew. Damit wolle er “die Solidarität von ganz Europa” bekunden, erklärte er im Kurznachrichtendienst Twitter. Spanien “bekräftigt seine Unterstützung für die EU-Beitrittskandidatur der Ukraine”, hieß es zudem in einer gemeinsamen Erklärung von Sánchez und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am Samstag.

“Ich wollte, dass der erste Akt der spanischen Präsidentschaft des Rates der Europäischen Union in der Ukraine stattfindet”, erklärte Sánchez am Samstag auf Twitter. In der von Selenskyjs Büro veröffentlichten gemeinsamen Mitteilung der beiden Männer hieß es, Spanien sehe die EU-Beitrittskandidatur der Ukraine als eine der “Prioritäten seiner Präsidentschaft (des Europäischen Rates)”. Außerdem unterstütze Spanien die “Stärkung der Partnerschaft der NATO mit der Ukraine”, auch durch die Schaffung eines NATO-Ukraine-Rates.

Selenskyj dankte dem spanischen Regierungschef für seinen “wichtigen Besuch” in Kiew. “Es ist äußerst symbolträchtig, dass dieser Besuch am ersten Tag der spanischen EU-Präsidentschaft stattfindet”, schrieb der ukrainische Präsident in den Online-Netzwerken.

In einer gemeinsamen Pressekonferenz stimmte Selenskyj aber auch kritische Töne an. Er warf “einigen” westlichen Partnern vor, ihre Pläne zur Ausbildung ukrainischer Kampfflugzeugpiloten hinauszuzögern. “Es gibt keinen Zeitplan für Trainingsmissionen. Ich glaube, dass einige Partner die Sache schleifen lassen”, sagte er. Im Mai hatten mehrere europäische Staaten die Bildung einer Kampfjet-Koalition für die Ukraine bekanntgegeben. Washington machte den Weg dafür frei, indem es Grünes Licht für die Ausbildung ukrainischer Piloten an F-16-Kampfjets gab.

Zugleich bekräftigte Selenskyj, erst mit Russland über einen Frieden verhandeln zu wollen, wenn die Ukraine all ihre Gebiete – einschließlich der Krim und der Separatistengebiete im Donbass – zurückerobert habe. Eine Rückkehr zur Demarkationslinie vom Februar 2022, als Russland offiziell seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begann, sei keine Option. Auch der von Kiew angestrebte NATO-Beitritt des Landes werde für einen Kompromiss nicht geopfert, weil dieser wichtig für die künftige Sicherheit des Landes sei.

Seinem spanischen Gast dankte Selenskyj für die Unterstützung bei den Bemühungen zum NATO-Beitritt. Spanien sei der 21. Staat der Militärallianz, welcher eine ukrainische Mitgliedschaft befürwortet. Dass Sánchez am ersten Tag der spanischen EU-Ratspräsidentschaft nach Kiew gekommen sei, sei zudem eine wichtige symbolische Geste auch für die Integrationsbemühungen nach Europa, so Selenskyj.

Sánchez kündigte unterdessen auf der Pressekonferenz an, die vier noch ausstehenden (von insgesamt zehn versprochenen) Leopard-Kampfpanzern “in Kürze” an die Ukraine zu übergeben. “Wir werden sehr bald neues schweres Militärgerät schicken, vier weitere Leopard-Panzer und gepanzerte Transportfahrzeuge”, sagte Sánchez. Er kündigte auch die Entsendung eines mobilen Feldlazaretts an.

Sánchez hatte den Besuch während des EU-Gipfels am Donnerstag angekündigt. Die Ukraine hatte vor einem Jahr den Status eines EU-Beitrittskandidaten erhalten und hofft, in diesem Jahr formelle Verhandlungen über ihren Beitrittsantrag beginnen zu können.

Spanien übernahm am Samstag für sechs Monate die rotierende EU-Ratspräsidentschaft. Das Land löst in dieser Rolle Schweden ab, das die Ratspräsidentschaft im vergangenen halben Jahr innehatte. Die linke spanische Minderheitsregierung hat sich viel vorgenommen. Unter dem Motto “mehr Gerechtigkeit” will sie die Einführung gemeinsamer Mindestnormen für die Unternehmensbesteuerung, die Bekämpfung der Steuerhinterziehung durch große multinationale Konzerne und die Vollendung der Bankenunion vorantreiben. Auf der Agenda stehen zudem die Pläne für eine Reform des EU-Asylsystems sowie neue Schuldenregeln.

Die 27 EU-Mitgliedstaaten wechseln sich alle sechs Monate beim EU-Ratsvorsitz ab. Das Vorsitzland leitet zahlreiche Sitzungen in Brüssel, Luxemburg und im eigenen Land, setzt eigene Schwerpunkte und versucht bei Kontroversen zu vermitteln. Österreich hatte den Vorsitz zuletzt in der zweiten Jahreshälfte 2018 inne.

Ein Unsicherheitsfaktor in der spanischen Ratspräsidentschaft sind die Parlamentswahlen am 23. Juli. Umfragen zufolge dürfte die konservative Volkspartei PP die meisten Stimmen bekommen. Sie könnte dann entweder in einer Koalition mit der rechtspopulistischen und euroskeptischen Partei Vox eine neue Regierung bilden, oder sich von ihr tolerieren lassen. Sollte es so kommen, müsste sich die neue Regierung erst einmal sortieren und würde anschließend möglicherweise andere Schwerpunkte setzen wollen.

In Brüssel wird befürchtet, dass ein Machtwechsel laufende EU-Gesetzgebungsvorhaben verzögern könnte. Grund ist, dass der Präsidentschaft eine wichtige Rolle bei der Vermittlung von Kompromissen zwischen den EU-Staaten, aber auch zwischen den EU-Staaten und dem Parlament zukommt.

Von: APA/dpa/AFP