Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat bei einem Besuch in Nordmazedonien für weitere Anstrengungen im EU-Beitrittsprozess geworben. Damit der Erweiterungsprozess fortschreiten könne, sei “jetzt ein sichtbares Zeichen” in Form der mit Bulgarien vereinbarten Verfassungsänderung notwendig, sagte Van der Bellen bei einem Treffen mit Präsident Stevo Pendarovski in Skopje. Nordmazedonien sei “auf dem richtigen Weg” und Österreich werde das Land dabei voll unterstützen.
Pendarovski zeigte sich zuversichtlich, dass die Verfassungsänderung in den kommenden Monaten umgesetzt werde. Die bulgarische Minderheit sei keine Gefahr für den europäischen Weg Nordmazedoniens, sagte er bei der gemeinsamen Pressekonferenz, “der Staat wird sicher nicht auseinanderfallen”.
Die Sorgen im Land, dass nach der Erfüllung der geforderten Reform im EU-Beitrittsprozess weitere Bedingungen von Bulgarien oder einem andere EU-Mitgliedstaat gestellt werden könnten, konnte er jedoch nicht zerstreuen. Vor der Namensänderung habe Konsens geherrscht, dass es keine weiteren Bedingungen geben werde, so Pendarovski. “Die EU darf nicht zulassen, dass weitere Fragen von Mitgliedstaaten problematisiert werden und dadurch unsere Annäherung blockiert wird”, forderte er. Die Glaubwürdigkeit der Europäischen Union stehe dabei auf dem Spiel.
Die um sich greifende Frustration über schwierigen Weg des Landes Richtung EU sei verständlich. “Aber verlieren Sie das Ziel nicht aus den Augen”, mahnte Van der Bellen. Es sei wichtig, “jetzt nach vorne zu sehen – und nicht, wie manche, zurück – in eine gemeinsame europäische Zukunft.” Österreich wisse aus eigener Erfahrung, “dass der Umgang mit nationalen Minderheiten oft politisch heikel ist und für Spannungen sorgen kann”, so der Bundespräsident und lobte Nordmazedonien als “Vorbild in der Region betreffend Minderheitenschutz”.
Die Verfassungsänderung zur Anerkennung der bulgarischen Minderheit im Land ist eine von Bulgarien durch eine Blockade erzwungene Voraussetzung für Fortschritte Nordmazedoniens im EU-Beitrittsprozess. Bisher fehlt der von den Sozialdemokraten (SDSM) geführten Regierung in Skopje jedoch die dafür notwendige Zweidrittel-Mehrheit im Parlament. Die nationalkonservative Oppositionspartei VMRO-DPMNE lehnt die Änderung ab und verlangt vorgezogene Neuwahlen. Im kommenden Jahr stehen turnusgemäß Parlamentswahlen an.
Bei einer Rede im Parlament in Skopje appellierte Van der Bellen daher am Mittwoch auch an die Abgeordneten “die entsprechenden Schritte zu setzen”, um die Wegstrecke Richtung EU schnellstmöglich zurückzulegen. An die Opposition gewandt warnte Van der Bellen vor der “Verlockung”, alle Mittel einzusetzen, damit die gewählte Mehrheit ihre Vorstellungen nicht umsetzen kann. “Und ich möchte hier deutlich sagen, ich glaube nicht, dass es realistisch ist, die Vereinbarung von 2021 noch einmal zu verhandeln”.
In Bezug auf Sorgen um den Erhalt der eigenen mazedonischen Sprache und Identität verwies Van der Bellen auf ähnlich Bedenken Österreichs bei seinem EU-Beitritt 1995. “Seien Sie unbesorgt: Mazedonisch ist und bleibt weiterhin Ihre Sprache”, betonte er.
Angesichts der geopolitischen Lage sei es “gerade jetzt besonders wichtig, die Länder der Region noch rascher eng an die EU anzubinden”, betonte Van der Bellen und begrüßte es, dass sich Nordmazedonien den Russland-Sanktionen der EU angeschlossen hat. Der Bundespräsident lobte auch die “wichtige Rolle” des Landes für den weiteren Ausbau der regionalen Zusammenarbeit, wie bei den Verhandlungen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien.
Die bilateralen Beziehungen zwischen Österreich und Nordmazedonien lobte Van der Bellen als “exzellent”. Auch die wirtschaftlichen Kontakte seien “ausgezeichnet”, so der Bundespräsident und verwies darauf, dass Österreich bei den Auslandsinvestitionen in Nordmazedonien an erster Stelle liege. “Aber auch das kann man natürlich immer noch weiter ausbauen”, sagte Van der Bellen, der mit einer Wirtschaftsdelegation von rund 25 heimischen Unternehmen angereist war.
Begleitet wurde Van der Bellen bei seinem Besuch auch von Justizministerin Alma Zadić (Grüne), die bei der Gelegenheit am Mittwoch mit ihrem Amtskollegen Krenar Lloga eine Erklärung zur verstärkten Zusammenarbeit im Justizbereich unterzeichnete. Eine ähnliche Vereinbarung zur Kooperation bei der Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit hatte sie am Montag bereits mit Albanien unterzeichnet.
Am Nachmittag stand noch ein Gespräch des Bundespräsidenten mit Regierungschef Dimitar Kovačevski sowie die Eröffnung eines Wirtschaftsforums am Programm.
Die EU-Annäherung Nordmazedoniens stockt seit fast zwei Jahrzehnten aufgrund von Blockaden durch EU-Mitgliedstaaten. Das Balkanland ist bereits seit 2005 EU-Beitrittskandidat. Jedoch blockierte zunächst Griechenland jahrelang eine Annäherung wegen eines Streit über den Staatsnamen. Um diesen beizulegen, änderte das frühere Mazedonien 2019 sogar seinen Staatsnamen.
Nachdem auch Bedenken anderer EU-Staaten wie von Frankreich und den Niederlanden ausgeräumt waren, legte sich Bulgarien quer. Die Vereinbarung im vergangenen Jahr ermöglichte im Juli endlich die offizielle Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU. Konkrete Beitrittskapitel werden erst nach der Anerkennung der bulgarischen Minderheit in der nordmazedonischen Verfassung eröffnet.
Von: apa