Seine Großmutter war die Grand Dame der Wiener Salonszene und europäische Netzwerkerin. Regisseur und Fotograf Rainer Frimmel hat ihrem Enkel und seinem Großonkel, dem 2013 verstorbenen Molekularbiologen Emile Zuckerkandl, ein filmisches Denkmal gesetzt, das dessen bewegtes Leben und die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf einfühlsame Weise auferstehen lässt. “Emile – Erinnerungen eines Vertriebenen” ist ab Donnerstag im Wiener Metro Kinokulturhaus zu sehen.
Frimmel, der seine Filme gewöhnlicherweise im Duo mit der Südtiroler Filmemacherin Tizza Covi produziert, zeichnet diesmal allein für Buch und Produktion verantwortlich. Covi übernahm den Schnitt und war laut Frimmel auch die treibende Kraft, den ursprünglich unter Einbeziehung von anderen Personen und Dreharbeiten an Originalschauplätzen größer gedachten Film nach dem Tod Zuckerkandls mit dem bereits abgedrehten Videomaterial zu realisieren.
Emile Zuckerkandl wuchs im Wien der Zwischenkriegszeit auf und begann bereits als Kind, Tagebuch zu schreiben und Autogramme jener Berühmtheiten zu sammeln, die bei den legendären Salonveranstaltungen seiner Großmutter Berta Zuckerkandl-Szeps, ein- und ausgingen. Albert Einstein, Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig, Egon Friedell, Fritz Grünbaum, aber auch Politiker wie Engelbert Dollfuß oder Kardinal Theodor Innitzer sind nur einige der unzähligen Namen, die sich in seinem Büchlein verewigten.
Der Film besteht zum Großteil aus direkt abgefilmten Gesprächen Frimmels mit Emile und seiner amerikanischen Frau Jane. Mit Ausnahme von einigen wenigen Farbfilmsequenzen aus den 1950er-Jahren, die aus dem Archiv der Familie stammen, ist der gesamte Film in Schwarz-Weiß gehalten. Vor der Kamera erzählt Emile Zuckerkandl von seiner Kindheit, seinem liebevollen Verhältnis zur Großmutter, von der Vertreibung der Familie nach dem berüchtigten “Anschluss” Österreichs, der abenteuerlichen Flucht über Frankreich und Algerien in die USA, wo Emile an der Universität seine spätere Frau kennenlernte.
Der Film ist voll von berührenden Momenten. Da ist etwa jene Sequenz, in der Zuckerkandl in einem Möbelkatalog ein geraubtes Stück aus dem Wohnzimmer der Großmutter entdeckt, oder jene Momente, in denen die Erinnerung versagt und das Bedauern Zuckerkandls darüber in seinem Blick durch Mark und Bein fährt. Zwischen den Erzählungen sieht man Zuckerkandl immer wieder am Klavier. Seine Walzerimprovisationen auf dem verstimmten Piano verbreiten jene verzweifelt-nostalgische Stimmung, die unter anderem in Stefan Zweigs Meisterwerk “Die Welt von Gestern” allgegenwärtig ist.
Frimmels Film ist neben einer persönlichen Hommage und einer immersiven Geschichtsstunde vor allem auch ein Film gegen das Vergessen. Der Name jenes Kapitäns, dem die Familie die geglückte Flucht aus dem von den Nazis bedrohten Frankreich zu verdanken hatte und an den sich Emile Zuckerkandl selbst nicht mehr erinnern konnte, taucht im Abspann auf. Frimmel und seinem Team war es gelungen, den Namen herauszufinden und so Anstoß zu geben, dass der Name in die Liste der “Gerechten unter den Völkern” aufgenommen wird. Und Emile Zuckerkandls Nachlass ist bei der Österreichischen Nationalbibliothek in guten Händen aufgehoben.
Von: apa
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