Europa soll wettbewerbsfähiger gegenüber den USA sowie China werden – und die Wirtschaft dabei nachhaltiger. Die EU-Kommission hat am Donnerstag ein Paket mit zwei Gesetzesvorhaben vorgelegt, dessen Schwerpunkte in der Stärkung der europäischen Lieferketten, Diversifizierung der EU-Importe, Stärkung des Monitorings der Wertschöpfungsketten, sowie in der Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft liegen. Dass Atomkraft “klimaneutraler” Teil der Pläne ist, stört Grüne, AK und WWF.
Mit festen Zielvorgaben im neuen “Critical Raw Materials Act” soll die Importabhängigkeit von Rohstoffen wie Lithium und Seltener Erden sinken, besagt einer der Vorschläge. Mindestens zehn Prozent solcher strategisch wichtiger Rohstoffe sollen gemessen am Jahresverbrauch künftig in der EU gefördert werden, 40 Prozent verarbeitet und 15 Prozent recycelt. Zudem soll die EU von keinem Drittland zu mehr als 65 Prozent abhängig sein.
Das soll gelingen, obwohl die Nachfrage steigt. Kommissionschefin Ursula von der Leyen betonte in Brüssel, man verstärke die Zusammenarbeit mit zuverlässigen Handelspartnern auf der ganzen Welt, um die Abhängigkeit der EU von nur einem oder wenigen Ländern zu verringern. Die EU beziehe etwa 98 Prozent ihrer seltenen Erden und 93 Prozent ihres Magnesiums aus China. Bei Seltenen Erden liegt der chinesische Marktanteil bei fast 90 Prozent. Lithium kommt zum größten Teil aus China oder Chile. Doch auch in Europa gibt es Vorkommen. Etwa auf der Koralm zwischen Kärnten und der Steiermark.
Um den Abhängigkeitsrisiken weiter zu begegnen, sollen mit einem zweiten Gesetzesvorschlag (Net-Zero Industry Act/Netto-Null-Industrie-Gesetz) unter anderem Genehmigungsverfahren für strategisch wichtige Wertschöpfungsketten erleichtert werden. Zudem sieht der Vorschlag vor, Beihilferegeln zu vereinfachen und die Verwendung von EU-Mitteln zu flexibilisieren. “Kurz gesagt, das Netto-Null-Industrie-Gesetz sorgt für Tempo, Vereinfachung und es stellt Fördergelder bereit”, sagte von der Leyen. Welche Industrien genau von Sonderregeln profitieren sollen, wurde bis zuletzt diskutiert.
Der Vorschlag zum Netto-Null-Industrie-Gesetz war auch innerhalb der EU-Kommission intensiv diskutiert worden. Durchgesickerte Entwürfe des Vorhabens hatten Autoren der Denkfabrik Bruegel als äußerst besorgniserregend bezeichnet. Die politischen Ziele seien unverhohlen protektionistisch. Wie stark sich der endgültige Vorschlag von bekannten Entwürfen unterscheidet, ist noch unklar. Von der Leyen wies die Kritik zurück. “Es gibt keinen einzigen Punkt, der protektionistisch ist.”
Dass die EU-Kommission – amit endgültige Gesetze zu den Vorhaben kommen, sind nun noch die Mitgliedsstaaten und das EU-Parlament am Zug – Atomkraft als “klimaneutralen” Teil der Pläne sieht, stieß in Österreich erwartungsgemäß auf Kritik. Diese kam von den Grünen, der Arbeiterkammer und dem WWF.
Die Arbeiterkammer (AK) sprach sich deutlich dagegen aus, Atomkraft wie vorgeschlagen als klimaneutrale Technologie zu definieren. Ein Gutachten des österreichischen Klimaministeriums weise nach, dass Atomkraft niemals klimaneutral sein könne. Weder die Erzeugung noch die Endlagerung seien nachhaltig oder förderwürdig. Die österreichischen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen “lehnen es kategorisch ab, Atomenergie als gleichwertig mit Erneuerbaren Energien einzustufen”.
Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) begrüßte zwar die Pläne an sich, lieferte aber ein großes Aber: “Eine völlig falsche Entscheidung für Österreich ist, Atomkraft im Net Zero Industry Act aufzunehmen.” Insgesamt sei es hingegen wichtig, dass Europa eine gemeinsame Antwort auf die Wettbewerbspläne der USA und von China finde. “Mit dem Net Zero Industry Act gibt es nun einen Vorschlag, wie wir Europa als zukunftsfähigen Wirtschaftsstandort stärken können und den Klimaschutz zu einem Wettbewerbsvorteil machen.” Beides gehöre zusammen, denn Zukunftsinvestitionen sind Investitionen in den Klimaschutz, also Investitionen in saubere, erneuerbare Energien. Die PV-Industrie zu stärken und den Sektor der Windkraft sowie Wärmepumpen auszubauen sei jedenfalls der richtige Weg.
“Leider hat die Europäische Kommission diese für die Energiewende nötigen Technologien mit Methoden wie der CO2-Abscheidung und -Speicherung oder Atomkraft in einen Topf geworfen”, hieß es auch von WWF-Klimasprecher Thomas Zehetner. “Damit riskiert Europa eine unnötige Verlängerung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und von der Atomkraft.” Global 2000 gab sich “zutiefst besorgt”, denn die Verordnung diene eher als Instrument zur Sicherung der Versorgung des massiven europäischen Überkonsums, als der Senkung der Rohstoffnachfrage und der Förderung der Ressourcengerechtigkeit.
Finanzminister Magnus Brunner und Wirtschaftsminister Martin Kocher (beide ÖVP) begrüßten die Pläne gesamtheitlich, gingen in Stellungnahmen nicht auf die Atom-Thematik ein. Batterien für Elektrofahrzeuge, aber auch grüne Technologien für Windturbinen oder Solarpaneele sind nur einige der vielen Beispiele, die auf ausreichende Verfügbarkeit von kritischen Rohstoffen angewiesen sind, erinnerten sie. “Angesichts des Wandels von fossiler zu grüner Energie, aber auch aufgrund der Bedeutung für die Sicherheit und Verteidigung, werden kritische Rohstoffe fossile Brennstoffe wie Öl oder Gas bald an Bedeutung massiv überholen”, so die beiden Minister, von denen Brunner auch für Bergbau und Rohstoffe zuständig ist.
Zum Netto-Null-Industrie-Gesetz sagte Brunner: “Strategischen Projekten zu Rohstoffgewinnung, Weiterverarbeitung und Recycling soll ein hohes öffentliches Interesse beigemessen werden. Dies wird zu rascheren Genehmigungen insbesondere in Verfahren zur Prüfung der Umweltverträglichkeit führen.” Das europäische Rohstoffpotenzial sei nicht zu unterschätzen. “Daher soll die Exploration von Lagerstätten vorangetrieben werden, um unsere Abhängigkeiten zu reduzieren.”
Wohlwollen zu den Kommissionsplänen kam neben der Industriellenvereinigung grundsätzlich auch von der AK. Die IV erseht raschere Genehmigungsverfahren in allen Bereichen. Eine rasche Reaktion auf Milliardenmaßnahmen in den USA ist wichtig, um den Übergang Europas zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu beschleunigen und hochwertige Industriearbeitsplätze zu erhalten, so die AK.
Von: apa
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