Strommarkt hat laut Experten auch in der Krise gut funktionier

Energieexperte: Beibehaltung der Merit-Order richtig

Freitag, 05. Mai 2023 | 12:10 Uhr

Die Merit-Oder bleibt auch weiterhin der preissetzende Mechanismus am europäischen Strommarkt. Das sieht der Vorschlag der EU-Kommission zur Reform des Strommarktdesigns vor, der im März präsentiert wurde. Aus Sicht des deutschen Strommarktexperten Christoph Maurer war die Entscheidung zur Beibehaltung der Merit-Oder “gut und richtig”. Der Strommarkt habe auch in der Krise gut funktioniert, die Versorgung gewährleistet und Verwerfungen ausgeglichen.

“Die Koordinationsfunktion dieses Strommarktes hat sehr gut funktioniert”, sagte Maurer am Freitag bei einer Diskussionsrunde in der Zentrale des Verbund und verwies etwa auf die Strommangellage in Frankreich im vergangenen Winter. “Auf sich gestellt hätte Frankreich mit erheblichen Versorgungsunterbrechungen zu kämpfen gehabt. Der europäische Strommarkt hat funktioniert, hat dafür gesorgt, dass wir Strom aus anderen Ländern nach Frankreich exportiert haben.”

Auch diverse andere Verwerfungen habe der Strommarkt ausgeglichen, neben der Gaskrise auch die Krise der Atomenergie in Frankreich, die Trockenheit und geringe Verfügbarkeit von Wasser in vielen anderen europäischen Ländern. “All das hat dieser Strommarkt eigentlich ganz gut gemanagt”, so Maurer vom Energieberatungsunternehmen Consentec, der unter anderem den Deutschen Bundestag und die deutsche Bundesregierung berät. Die Preissignale hätten auch dafür gesorgt, dass Energie eingespart wurde.

Vor diesem Hintergrund sei der Experte froh, dass der “revolutionäre Eifer”, die Merit-Oder auszusetzen, wie es von vielen Seiten im vergangenen Jahr gefordert wurde, “über den Winter bei der Erarbeitung des Kommissionsvorschlags etwas erlahmt ist”. Der nun vorliegende Vorschlag sei eindeutig evolutionärer und nicht revolutionärer Natur. Der Preisbildungsmechanismus, die Merit-Oder, werde nicht mehr in Frage gestellt. Viel mehr gehe es im Vorschlag darum, vulnerable Verbrauchergruppen vor Preisvolatilität zu schützen, etwa mit einem Fokus auf langfristige Verträge.

Beim Merit-Oder-Prinzip wird der Strompreis immer von der Anlage bestimmt, die zur Deckung des Strombedarfs notwendig ist. Das hat im vergangenen Jahr dazu geführt, dass der teuer produzierte Strom aus Gaskraftwerken den gesamten Strompreis in die Höhe getrieben hat.

In der politischen Diskussion sei das Prinzip im vergangenen Jahr so dargestellt worden, als sei es “eine perfide Regelung, die sich irgendwelche Politiker und Ökonomen ausgedacht hätten, eine bewusste Designentscheidung”, so Maurer. Dabei sei die Merit-Order ein “ökonomisches Modell, mit dem wir erklären, wie die Preisbildung auf Strommärkten funktioniert”. Es handle sich dabei schlichtweg um eine Angebotskurve. Da Strom ein homogenes Gut ist, bei dem es also für den Konsum keinen Unterschied macht, wie er produziert wurde, mache auch ein einheitlicher Preis Sinn.

Die hohen Preise hätte im vergangenen Jahr auch Anreize gesetzt um Energie zu sparen, was wiederum zur Stabilisierung in der Energiekrise beigetragen habe. “Das heißt nicht, dass man nicht über intelligent gestaltete Eingriffsmechanismen Entlastung für Verbraucherinnen und Verbraucher herbeiführen kann”, sagte der Experte. Den Strompreisbildungsmechanismus zu ändern, halte er aber für den falschen Schritt.

Verbund-Chef Michael Strugl sieht die Angelegenheit ähnlich: Die Energiekrise 2022 sei eine Situation gewesen, “wie wir sie bisher noch nicht erlebt haben”. Vor diesem Hintergrund sei es nachvollziehbar, dass die Politik reagiere. Die Frage sei dann, ob man ein Marktmodell, das 20 Jahre lang gut funktioniert habe, wegwerfe oder ob man sich Maßnahmen überlege, mit denen man in Situationen, wo das Modell nicht funktioniere, in den Markt eingreife. Diesen Weg hätte die EU-Kommission mit ihrem Vorschlag gewählt, aus Sicht Strugls der richtige Zugang.

Um die Preise in Zukunft wieder auf ein “vernünftiges Niveau” zu bringen und stabil zu halten, seien ausreichend Kapazität und Erzeugung und Flexibilität im System notwendig. “Der wichtigste Baustein ist, Kapazität zu bauen, um möglichst viel Angebot im Markt zu haben und damit die Preise runterzubringen”, sagte Strugl. Er verwies dabei vor allem auf den Erneuerbaren-Ausbau.

Auch die Wifo-Ökonomin Angela Köppl kann dem Vorschlag der EU-Kommission Einiges abgewinnen, sieht aber auch Potenzial “zum Weiterdenken”. Sie verwies hier etwa auf Energiegemeinschaften, die in Zukunft besser in das System eingebunden werden sollten. Ein weiterer Fokus sollte auf dem Ausbau der Netzinfrastruktur liegen. Der Vorstand der Stromhandelsbörse EXAA, Jürgen Wahl, sieht die Funktion der Strommärkte grundsätzlich ebenfalls gegeben und ist froh, dass der Kommissionsvorschlag keine “fundamentalen Eingriffe” vorsieht. Aus seiner Sicht geht es in Zukunft vor allem um Flexibilität im Strommarkt. Diese werde etwa durch Digitalisierung und neue Technologien erreicht.

Von: apa