Fachexperten: Wasserkraftwerke können besser genutzt werden

Mehr Wettbewerb für mehr Energie

Freitag, 29. April 2022 | 18:50 Uhr

Bozen – Wasserknappheit auf der einen Seite, Energiekrise auf der anderen – die Schlagzeilen der vergangenen Monate sprechen für sich. Ein hochkarätig besetzter Fachkongress rund um das Thema „Wasserkraft und ihr Potenzial in Italien“ am Freitag in Bozen ergab überraschende Erkenntnisse: Allein die bestehenden Wasserkraftwerke in Italien könnten bei optimaler Nutzung sämtliche Kohlekraftwerke im Inland überflüssig machen. Notwendig dazu ist in erster Linie technische Innovation – und der Hebel dazu liegt im Wettbewerb. Mit der Ausschreibung der bereits abgelaufenen und auslaufenden Konzessionen der Großkraftwerke könnte ein Wettbewerb erreicht werden – so wie dies bereits im Jahr 2005 in Südtirol geschehen ist.

Wasserkraft gilt als erneuerbare und klimafreundliche Energiequelle schlechthin – sie wird auch in Italien als hocheffizienter erneuerbarer Energieträger genutzt und erreicht einen Anteil von 41 Prozent. Insbesondere liefert die Wasserkraft einen bedeutenden Beitrag zur Stabilisierung des nationalen Stromsystems.

Doch in Italien bleibt derzeit viel Potenzial ungenutzt, weil ein Innovationsstau herrscht – darüber waren sich bei einer gesamtstaatlichen Fachtagung in der Handelskammer Bozen ein Dutzend hochkarätiger Referenten einig. Die Fachtagung wurde von der Organisation „Vis Aquae – Energia dall’Aqua“ organisiert, sie fand am Freitag in Zusammenarbeit mit der Freien Universität Bozen und der Handelskammer Bozen statt. Als Referenten traten eine Reihe von Fachexperten auf, die verschiedene Aspekte rund um die Wasserkraft, ihren heutigen Stand in Italien sowie ihr Entwicklungspotential beleuchteten; unter ihnen Ingenieure, Juristen und Universitätsprofessoren.

Auch Handelskammerpräsident Michl Ebner, der Rektor der Freien Universität Bozen, Paolo Lugli, und Regionenministerin Mariastella Gelmini verwiesen auf die Bedeutung der Wasserkraft – in Südtirol und nicht nur –, ihre strategische Bedeutung als erneuerbare Energiequelle und den Bedarf auf Neuausrichtung. Ministerin Gelmini: „In der Regierung haben wir uns in den vergangenen Monaten wiederholt mit dem Thema der Wasserkraftkonzessionen beschäftigt und wir werden es erneut auf die Tagesordnung setzen – diese Tagung kann für uns auch wichtig sein, die Problematik unter neuen Gesichtspunkten zu betrachten. Die Materie ist überaus komplex und die rechtlichen Rahmenbedingungen sind heute zum Teil widersprüchlich.“ Nur Südtirol habe bisher die Neuvergabe der Konzessionen per Wettbewerb durchgeführt und sei daher ein Vorzeigemodell – dies erwähnten auch Franco Frattini, Präsident des Staatsrats in Rom, sowie Antonio Lampis, Abteilungsdirektor im Landesressort für italienische Kultur, Umwelt und Energie. Für Frattini ist die Wasserkraft ein „wesentlicher Schlüssel, um die Energieerzeugung mit den Umweltbedürfnissen in Einklang zu bringen.“

Ing. Paolo Pinamonti, Präsident von „Vis Aquae – Energia dall’Aqua“, berichtete über die Geschichte der Wasserkraftkonzessionen mit Beginn 1933 – und verwies auf den Innovationsstillstand vieler großer Wasserkraftwerke Italiens: Sie werden größtenteils seit vielen Jahrzehnten von denselben Konzessionären betrieben, für welche leider weder Anlass noch Notwendigkeit zur technischen Erneuerung besteht, da die Konzessionen entweder stillschweigend verlängert bzw. nicht ausgeschrieben werden. „Dies hat dazu geführt, dass die Anlagen einfach nur älter werden, aber nie verbessert. Und bis zu 30 Prozent Energie, die mit diesen Kraftwerken mehr produziert werden könnte, geht verloren“, so Pinamonti.

Die Lösung? Die bereits verfallenen und in Zukunft ablaufenden Konzessionen sollten – nach dem Beispiel Südtirols – neu ausgeschrieben werden. „Bisher hat einzig die Provinz Bozen die Konzessionen im Jahre 2005 per Ausschreibung neu vergeben und damit hervorragende Ergebnisse erzielt“, so Pinamonti und zählt auf: Bessere Umweltauflagen, mehr Energieeffizienz und höhere Produktion, mehr Sicherheit, mehr Einnahmen für die öffentliche Hand sowie hohe Privatinvestitionen und Mehrwert für die Wirtschaft. „Würde Italien diesem Beispiel folgen und die bestehenden Kraftwerke auf diese Weise erneuern, könnte mit diesen soviel mehr Energie erzeugt werden, dass sämtliche Kohlekraftwerke in Italien abgeschaltet werden könnten“, so Pinamonti.

Das Thema ist hochaktuell – nicht nur wegen der anhaltenden Energie- und Klimakrise: Zum einen sind viele Konzessionen von Großkraftwerken bereits abgelaufen, zum anderen müssen die Regionen innerhalb Jahresende handeln und die Konzessionsvergabe einleiten.

Die Materie ist allerdings komplex und vielschichtig; insbesondere auch aufgrund der rechtlichen Vorgaben – darauf verwiesen gleich mehrere Referenten. Eine Herausforderung ist dies auch für die zuständige Verwaltung, welche die Konzessionen vergibt: Sie ist angehalten, die gesetzlichen Rahmenbedingungen einzuhalten: Vorgaben des Staates, neue EU-Richtlinien über Gewässerschutz und Energiewende bzw. europäischer Green Deal, Zielsetzungen und Modalitäten zur Anwendung des Wiederaufbauplanes (PNRR – Nationaler Plan für Aufbau und Resilienz). Dazu kommen Überlegungen auch in der Regierung, die Wasserkraft als „strategisches Asset“ auf jeden Fall in italienischer Hoheit zu behalten – was im Widerspruch zum freien Wettbewerb in der EU steht.

Kurz gefasst: Eine Ausschreibung der Konzessionen für Großkraftwerke mit einem nicht diskriminierenden und transparenten Wettbewerb birgt ein enormes Potential für eine nachhaltige und erneuerbare Energieversorgung. Bis zu 30 Prozent Mehrproduktion ist allein durch technische Innovation in den bestehenden Wasserkraftwerken möglich.

Von: mk

Bezirk: Bozen