Ludwig Angerer (1827-1879) war ein innovativer Workaholic (selbst wenn es den Begriff damals in Wien wohl noch nicht gab) und zweifellos ein Pionier auf dem Gebiet der Lichtbildkunst. Als erstem Wiener Fotografen verlieh im Kaiser Franz Joseph den Titel “Hof-Photograph”. Michaela Pfundner, Historikerin im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, hat ihm nun unter dem Titel “Der Fotograf des Kaiserhauses” einen reich bestückten Bildband gewidmet.
Auf über 150 akribisch recherchierten und detailliert bebilderten Seiten finden sich in dem in der “Edition Winkler-Hermaden” erschienenen Buch auch Fotos, die durchaus Ikonenstatus haben. Neben zahlreichen eher gängig bekannten Porträts von Kaiser Franz Jospeh oder Kaiserin Elisabeth (“Sisi”) fallen etwa Angerers erste in Wien nachweisbare Fotos auf. Es handelt sich um Abbildungen des Kärntnertores kurz vor dessen Abbruch im Rahmen der Stadterweiterung 1858.
Dem Zeitgeist entsprechend startete Angerer seine Karriere als Feldapotheker in der k.k.-Armee Österreich-Ungarns. Sein absolviertes Pharmaziestudium war für seine spätere fotografische Karriere gewiss förderlich. Bereits während seiner Militärzeit hielt er wesentliche Szenen des Armeelebens im Feld fest, dokumentierte aber auch die Zivilbevölkerung und fertigte 1856 die ersten fotografischen Aufnahmen von Budapest an.
Seine erste Kamera ließ sich der umtriebige Enthusiast bei einem Kunsttischler bauen, erst später entwickelten sich entsprechende Geschäftszweige. So gesehen war es durchaus mutig und riskant, Mitte des 19. Jahrhunderts in der Feldgasse (heute Theresianumgasse in Wien-Wieden) ein eigenes Fotoatelier zu eröffnen.
Doch mutierte dieses zu einer äußerst trendigen Adressen. Der Fotokünstler selbst ging bald nicht nur in den Palästen der Hocharistokratie sondern auch den Ringstraßen- und Stadtpalais der wohlhabenden Großbourgeoisie ein und aus. “Sein Hauptaugenmerk lag auf der relativ neuen, aus Frankreich stammenden ‘Carte de Visite’-Fotografie, zu deren wichtigstem Vertreter in Wien er avanciert”, schreibt Pfundner. Diese “Cartes de Visite” wurde zum ersten Standardformat (6 x 9 cm) in der Geschichte der Fotografie, sie ermöglichte erstmals leicht reproduzierbare, einigermaßen preisgünstige Kopien.
“Diese Art der Fotografie zeichnete sich durch eine starre und normierte Darstellungsweise aus, in einer Studiokulisse mit Balustraden, Vorhängen, Tischen oder anderen Requisiten”, hält die Autorin fest. “Die Abgebildeten (…) blickten ernst in die Kamera, die Aufnahmen wirkten oft steif und leblos, was unter anderem der notwendigen längeren Belichtungszeit geschuldet war.” Dass Michaela Pfundner mit ihrer Expertise recht hat, beweist in ihrem Buch mit zahlreichen Beispielen derartiger Fotografien. Auf ihre Art geben sie aber auch einen äußerst lebendigen Einblick in das mitunter doch etwas gespreizte Gesellschaftsleben jener Tage…
INFO: Michaela Pfundner: “Der Fotograf des Kaiserhauses. Ludwig Angerer (1827-1879)”, Edition Winkler-Hermaden, Schleinbach 2022. 153 Seiten; 39,50 Euro
Von: apa