Die Reduzierung des Einsatzes von Pestiziden in der Landwirtschaft ist neben dem Gesetz zur Wiederherstellung der Natur eines der wesentlichen Vorhaben, die die EU-Kommission im Rahmen ihres “Green Deal” am Ende ihres Mandats noch durchbringen möchte. Vor allem von Seite der EVP sind diese Pläne stark unter Beschuss geraten. Im Interview mit der APA kritisiert der Ökologe Johann Zaller von der Universität für Bodenkultur Wien die Argumente der Gegner als längst widerlegt.
2018 veröffentlichte Zaller ein Buch, in dem er ein beunruhigendes Bild landwirtschaftlicher Praktiken und deren Auswirkungen auf Natur und Mensch zeichnete: “Unser täglich Gift. Pestizide – die unterschätzte Gefahr”. Schon damals forderte er dringend Maßnahmen. “Meiner Einschätzung nach hat sich seither sehr wenig geändert. Es werden immer wieder ein paar Nebelgranaten gezündet und irgendwelche Kampagnen ohne Verbindlichkeit lanciert. Aber unterm Strich tut sich erschreckend wenig”, sagt er. Dabei sei eindeutig nachgewiesen, dass es sich dabei um Substanzen handle, die gesundheitsgefährdend und auch durch ihre energieintensive Herstellung klimaschädlich seien sowie die Biodiversität gefährdeten.
Zaller beklagt, dass es keine Daten gebe, “was, wann und in welchen Mengen auf den Feldern tatsächlich ausgebracht wird”. Die Landwirte seien zwar verpflichtet, genaue Aufzeichnungen zu führen, “aber niemand sammelt diese Daten”. Die Forschung könne daher nur mit den Verkaufszahlen operieren. Anders verhalte es sich mit Zahlen zu der nun immer wieder ins Treffen geführten angeblichen Gefährdung der Ernährungssicherheit. Zaller verweist auf den “Grünen Bericht” des Landwirtschaftsministeriums, der für 2020/21 einen Selbstversorgungsgrad Österreichs bei Milch von 177 Prozent, Fleisch von 112 Prozent, bei Gemüse von 58 und bei Getreide von 94 Prozent ausweise. “Vom Getreide wird aber nur rund ein Sechstel für die menschliche Ernährung verwendet, der Rest geht in die Industrie, etwa in die Ethanol-Produktion, oder wird als Tierfutter eingesetzt. Das ist nichts anderes als Vernichtung von Lebensmitteln.”
In seinem Buch zitiert der Wissenschafter aus Langzeit-Vergleichsstudien, wonach sich die Erträge mit und ohne Einsatz von Pestiziden nicht wesentlich unterschieden. Und er beschreibt, dass der Einsatz von chemisch-synthetischen Pestiziden oft sehr ineffizient passiert. “Zum Teil wird das noch immer mit uralter Technologie ausgebracht und verpestet die Gegend. Dann landet nur ein Bruchteil der Substanzen tatsächlich auf dem Zielorganismus. Nicht umsonst finden wir sie ja dann in der Umwelt. Sogar auf Kinderspielplätzen im Südtiroler Apfelanbaugebiet oder auch in der Wiener Innenstadt haben wir sie nachgewiesen. Dort haben sie wirklich nichts verloren.”
“Es ist nicht so, dass es komplett exotisch ist, ohne Pestizide zu arbeiten. Da braucht man nicht mehr forschen, das ist alles erprobt. Dafür gibt es ja Vorbilder, die seit Jahrzehnten erfolgreich arbeiten. Es ist ja interessant, dass diejenigen, die wissenschaftliche Fakten normalerweise nicht so verbindlich sehen, jetzt plötzlich mehr Forschung fordern”, sagt Zaller. “Der Ökolandbau zeigt etwa, dass es ohne Herbizide (Mittel zur Unkrautbekämpfung, Anm.) funktioniert. Die könnte man komplett streichen. Dann haben wir schon einmal ein Drittel weniger Substanzen, die ausgebracht werden.” Integriertes Schädlingsmanagement sei eigentlich schon lange EU-Vorschrift und sehe Pestizid-Einsatz nur als Ultima Ratio vor, wenn alle anderen Verfahren (1.300 davon listet eine von der EU Ende Februar vorgestellte “Farmer’s Toolbox for Integrated Pest Management” auf) versagten, doch die agrarchemische Industrie habe dafür gesorgt, “dass das nicht wirklich verinnerlicht worden ist”.
An sich sei der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln für Landwirte “natürlich superpraktisch”, räumt der Forscher ein. Man registriere eine Krankheit oder einen Schädling – und greife zu einem chemischen Mittel dagegen. “Aber es ist ähnlich wie in der Medizin: Wenn ich auf bestimmte Medikamente verzichten will, muss ich halt ein bisschen systemischer denken und versuchen, insgesamt gesünder zu leben.” So seien etwa auch bei den künftig zu erwartenden immer häufigeren Trockenperioden Böden mit mehr Humusgehalt eindeutig im Vorteil. Um derlei Wissen zu vermitteln, sei auch die landwirtschaftliche Ausbildung in höherem Ausmaß gefordert.
“Wir Österreicher sind ja Europameister im Biolandbau. Da könnte man sich wirklich mit klaren Ansagen hervortun”, bedauert der Wissenschafter zu geringe Initiativen Österreichs bei der Pestizid-Reduktion. Die giftigsten, krebserregenden oder erbgutschädigenden Substanzen sollten sofort vom Markt genommen werden, “ganz ohne Übergangsregelungen, die der Industrie nur ermöglichen würden, ihre Lagerbestände abzubauen, denn deren Gesundheitsschädlichkeit ist längst nachgewiesen. Und dann wäre es gut, wenn man praktisch den Biolandbau als Goldstandard definiert und eindeutige Reduktionsziele für Pestizide setzt. Dabei darf nicht nur die Menge eine Rolle spielen. Die Ausbringung von Herbiziden ist in Österreich in den letzten 10 Jahren zwar um über 20 Prozent zurückgegangen, die Giftigkeit der eingesetzten Substanzen hat aber enorm zugenommen.” Aufgrund der Bedeutung für Umwelt und Gesundheit wäre es auch wichtig, die Pestizid-Thematik künftig nicht mehr im Landwirtschaftsministerium anzusiedeln, um den Einfluss der Agrarindustrie dabei zurückzudrängen.
Die im Oktober 2020 beschlossene “Farm-to-Fork”-Strategie der EU-Kommission hat das Ziel, die Verwendung von Pflanzenschutzmitteln bis 2030 zu halbieren und beim Rest auf weniger giftigere Produkte umzusteigen. Im EU-Parlament wird die im Juni 2022 dafür vorgelegte “Sustainable Use Regulation” (SUR) für Pestizide, die in allen Mitgliedsstaaten direkt verbindlich wäre und etwa ein Verbot der Anwendung in “sensiblen Gebieten” vorsieht, derzeit verhandelt. Neben der “Nature Restauration Law”, über die Mitte Juni die finale Abstimmung im Umweltausschuss ansteht, haben sich die Europäischen Christdemokraten auch bei der Pestizid-Reduktion entschlossen, die Kommissionsvorschläge abzulehnen. Die dafür entscheidende Phase in den zuständigen Ausschüssen wird für Herbst erwartet.
Von: apa
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31 Kommentare auf "Ökologe zu Pestizidreduktion: “Da braucht man nicht mehr forschen”"
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…im Spritzen sein mir Meister…
😆
Im meckern aber auch
@Doolin …. in Südtirol werden seit 110 Jahren Pflanzenschutzmittel eingesetzt, nicht erst seit gestern und die Lebenserwartung ist in Südtirol eine der höchsten In Europa. Das ist Tatasache! Alles andere ist pure Demagogie! Ohne Pflanzenschut hätten wir riesege Ernteausfälle und weltweit noch viel größere Hungersnöte. Ist das was wir wollen?
@Oracle Denkfehler, denn wieviel wird denn exportiert? Warum wird denn dauernd aug heimische Produkte verwiesen? Weil sie vin UNS gekauft werden? Ne, andere werden davon krank, nicht wir , wir kaufen sie ja nur selten da teuer.
@Oracle
“In seinem Buch zitiert der Wissenschafter aus Langzeit-Vergleichsstudien, wonach sich die Erträge mit und ohne Einsatz von Pestiziden nicht wesentlich unterschieden. ”
Steht zumindest im Bericht.
Würde ich berücksichtigen, wenn ich über Demagogie schreibe.
https://www.statistik.at/statistiken/bevoelkerung-und-soziales/gesundheit/krebserkrankungen
@Oracle
Immer schön an das glauben, was man behauptet. Aber dadurch wird es nicht wahrer. Das ist Tatsache! Der Rest…naja…was für den Mülleimer.
NB. die Lebenserwartung in Südtirol? Eine der höchsten in Europa? Durch das Spritzen? Habe ich da was verpasst? Woher diese Informationen? Quellen bitte. Aber seriös, wenns geht. Danke
Youtube Arbeitsgruppe Zukunft Landwirtschaft Vortrag Prof. Andreas v Tiedemann. Bitte zuhören
Er ist kein Experte in Themen wie Ertrag. Zaller ist in der Boku eine Lachnummer
Viel BlaBla mit dem alle Bauern in ein schlechtes Licht gerückt werden: unser tägliches Gift. So ein Blödsinn!!!
Äpfel werden oft gespritzt….okay, aber nur ein kleiner Teil der Bauern in Österreich und auch Südtirol sind Obstbauern.
Wiese: hier wird NIE gespritzt!
Mais: wird nur einmal im Jahr, meist wenn er noch unter der Erde ist, gepritzt.
Kartoffelstauden (NICHT die Kartoffeln selbst) werden je nach Witterung ein paarmal im Jahr gespritzt.
Getreide: wird meist überhaupt nicht gespritzt.
Das ist der Grund, warum es so wenig Daten gibt: weil wenig gespritzt wird! Jeder Gärtner und Stadtbauhofbedienstete spritzt viel viel mehr.
@bernd
wieder einmal eine schwachsinnige Aussage von wahrscheinlich einem Obstbauern. Würde man die gesamten Flächen der Gärtner in Südtirol zusammenzählen, würde man nicht absatzweise an die Flächen herankommen, welche die Südtiroler Obstbauern mit den sogenannten Pflanzenschutzmitteln behandeln. Die Südtiroler Obstbaumafia verbrauchte im Jahr 2016 durchschnittlich 62 kg Pestizide pro Hektar. Die Anbaufläche beträgt 18500 Hektar. Ergibt also eine Menge von 1.147.000kg an Pestiziden!! Das ist nur der Pflanzenschutzmitteleinsatz von de n Obstbauern, da kommen noch die Mengen der Weinbauern dazu. Aber der kleine Privatgärtner ist nach ihrer Aussage das schwarze Schaf!!!!
@Chriss Das ist so ein Bauer der seine Felle ohne Pestizide davon schwimmen sieht. Das ist die Quintessenz aus seinem Kommentar!
“Erfolg für die Redefreiheit: Freispruch für Pestizid-Kritiker”
https://blog.campact.de/2022/06/erfolg-fuer-die-redefreiheit-freispruch-fuer-pestizid-kritiker/
Etwas zu posten, ohne die Hintergründe zu kennen, ist armselig…
@Faktwnchecker
was für eine unnütze Diskussion. Jeder Autofahrer verpestet 1000fach die Umwelt….im Verhältnis zu dem was in der Landwirtschaft ausgebracht wird…
da gehören aber die Obstbauern mit ihren Traktoren und Autos doppelt dazu
Seht schlau? Und weil die , die Luft vetpesten , dürfen Bauern das Grundwasser und Konsumenten sozusagen vergiften? Du zeigst auf Andere! Wenn die dürfen, dürfen die anderen auch? Bevor die es nicht lassen, tun wir es auch nicht? Kinderkram? Von dir hätte ich mehr erwartet!
“Böcke nehmen mit ca. 4 Jahren (48 Monaten) erstmals an der Brunft teil. Das deckt sich mit der Altersgrenze und der Faustregel, dass ein Bock, dessen Pinsel zu erkennen ist, älter als 5 Jahre sei. Ausnahmen bestätigen bei beiden Geschlechtern alle diese Regeln. Da auch bei einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis die Lebenserwartung der Geißen höher ist, kann bei dieser Wildart ein Verhältnis Bock:Geiß von 1 : 1,2 bis 1 : 1,3 sinnvoll sein. Ein höherer Geißenanteil führt während der Brunft zwangsläufig zu einer Schwächung der Böcke und damit zu Winterverlusten, die sich vermeiden liessen.”
https://www.jagd.it/gamswild-heute/
@Oracle
Ich glaube, Sie vergessen, dass Sie selbst auch Autofahrer sind. Womöglich stehen bei Ihnen zuhause gleich mehr als ein Fahrzeug vor der Tür. Und wenn Sie Bauer sind, was ich annehme, dann kommen noch andere Geräte (Traktor ecc. ) dazu, die auch, oder sogar mehr noch, die Umwelt verpesten. Denn soweit ich weiß, unterliegen “unsere” landwirtschaftlichen Geräte nicht besonders einer umweltschonenden Auflage, wie bei den Fahrzeugen. Oder? Welche Euroklasse unterliegt Ihr Traktor? Euro 4, 5 oder was? Sehen Sie, Landwirte sind keine Heilige. Längst nicht mehr.
Es hängt leider auch vom Konsumenten ab, der ja die schönste Ware kaufen will 🙃
Achtung vor Mykotoxinen. Berichtet mal davon was
Bioware ist nicht mehr gefragt
Bio ist die Lösung, denn da wird keine synthetische Pestizide verwendet
Die VOG MUSS BIOÄPFEL IN DER INTEGRIERTEN LINIE VERKAUFEN WEIL BIO KEINER MEHR HABEN WILL. DAZU DIE PATULINBELASTUNGEN IN DER BIOWARE
Danke Herr Zaller, Sie
bringen es genau auf den Punkt! Als Vertreterin für Italien der Europäischen
Bürgerinitiative “Bienen und Bauern retten” und als Bio-Bäuerin
stimme ich Ihnen zu. Eine Landwirtschaft ohne Einsatz von
chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmitteln ist möglich, wir
Bio-Bauern/Bäuerinnen beweisen das schon seit Jahrzehnten. Jeder der etwas
anderes behauptet, beleidigt uns Bio-Bauern/Bäuerinnen.
@gluderer Annemarie Ihren Einstellungen gegenüber der integrierte Produktion sind hinlänglich bekannt, hier ein weiterer Beweis dafür. Jedenfalls hat mein Imker die Bienenstöcke lieber bei mir aufgestellt, als beim Biologen, da er mehr Angst um seine Bienen vor der permanenten Ausbringung der Schwefelalklauge hat, als vor den ein- zwei Behandlungen mit Dithianon oder Fluazinam, welche ich außerhalb des Bienenfluges in der Zeit der Bienenwanderung gemacht habe…. Hauptsache immer flott auf die Nicht – Bio Branche draufhauen. Divide et impera, aber das scheinen viele ja nicht verstanden zu haben…
@oberjoggler
“Hauptsache immer flott auf die Nicht-Bio Branche draufhauen” – Kann Ihren Kommentar nicht nachvollziehen, lesen Sie meine Kommentar bitte noch einmal genau durch.