Selten „widerwillig“

Von: ka

Bozen – In den letzten Tagen hat kaum etwas die Südtiroler und die Italiener so sehr bewegt, wie die Polemiken um Jannik Sinners „Italienischsein“ und der Trikolore-Eklat bei der Amtsübergabe in Meran, als die neue Bürgermeisterin Katharina Zeller die Schleife nach einem kurzen Moment wieder ablegte.

Beides zeigt, dass alte Wunden noch nicht verheilt sind und sowohl von innen als auch von außen immer wieder Zweifel bestehen – oder von bekannten Journalisten und Schriftstellern wie Corrado Augias bewusst gesät werden –, was die Südtiroler überhaupt sind und was alles zum „Südtirolersein“ gehört.

Wie nicht anders zu erwarten, wurde hierzulande in Dutzenden von Kommentaren geschildert, dass „Südtiroler keine Italiener sind“. Aber was sind sie dann? Für Augias sind sie „Zufallsitaliener“, die „durch die Situation und Geschichte der Region Trentino-Südtirol“ eben nur zufällig Italiener geworden sind.

Das mag auf den ersten Blick stimmen, aber er liegt falsch. Corrado Augias’ Worte spiegeln eher sein Unvermögen wider, Menschen einzuordnen, die nicht dem traditionellen, über Jahrzehnte geprägten Bild des Italieners entsprechen. Die Geschichte und die vorausliegende Zukunft haben ihn längst überrollt.

Vielmehr ist das Bild, das die Südtiroler von sich selbst haben, viel bunter als von außen wahrgenommen. Nicht wenige haben zu Italien eine emotionale Beziehung, die überhaupt nicht zu dem Befund aus dem fernen Rom passt, „widerwillige Italiener“ zu sein. Andere wiederum empfinden Italien als Zumutung. Die meisten haben jedoch mit Italien und den Italienern Frieden geschlossen, genießen die Segnungen der Autonomie und freuen sich, als einzigartiges Völkchen am Schnittpunkt zweier großer europäischer Kulturen zu leben.

„Deutsch sprechen, mit Lire bezahlen“ – das war vor Jahrzehnten die Antwort eines Gastwirts auf die Frage, wer die Südtiroler seien. Corrado Augias hätte ihn treffen sollen, bevor er zu Feder griff. „Widerwillig“ sind wir sehr selten, aber einzigartig sind wir fast immer.