Von: mk
Bozen – Die Geschichte der Volksanwaltschaft in Südtirol begann im Februar 1983, als der Südtiroler Landtag den Gesetzentwurf Nr. 291 genehmigte, der als Landesgesetz Nr. 15/1983 Eingang in die Gesetzbücher fand. Mit diesem wurde die Volksanwaltschaft in Südtirol eingeführt. Seitdem sind 40 Jahre vergangen, in denen die Volksanwaltschaft im Dienst der Bürgerinnen und Bürger steht.
Aus diesem Anlass lud Volksanwältin Gabriele Morandell heute zur offiziellen 40-Jahr-Feier in den Südtiroler Landtag. An den Feierlichkeiten nahmen nicht nur die ehemaligen Volksanwälte Werner Palla und Burgi Volgger teil, sondern u.a. auch Mitglieder der Landesregierung, Landtagsabgeordnete, Volksanwälte und Bürgerbeauftragte aus verschiedenen Regionen Italiens und dem Ausland, Kammerabgeordneter Dieter Steger und Inps-Vizepräsidentin Luisa Gnecchi.
Landtagspräsidentin Rita Mattei begrüßte die Gäste und verwies darauf, dass „die Volksanwältin, der Volksanwalt dazu berufen ist, die Rechte und Interessen der Bürger gegenüber der öffentlichen Verwaltung unparteiisch, effizient, angemessen und transparent zu vertreten. Seit ihren Anfängen und in zunehmendem Maße im Laufe der Jahre haben sie sich als Figur von großer Bedeutung für die Bürger erwiesen, die großes Vertrauen in sie setzen.“ Dies zeige etwa die Tatsache, dass sich im vergangenen Jahr fast 8.000 Personen an die Südtiroler Volksanwältin gewandt hätten. Zudem hob Mattei die Kompetenzen der Volksanwaltschaft in den Bereichen Antidiskriminierung und Schutz älterer Menschen hervor und erinnerte abschließend an die vorherigen Südtiroler Volksanwälte: den inzwischen verstorbenen Heinold Steger, Werner Palla und Burgi Volgger.
Landeshauptmann Arno Kompatscher unterstrich in seinen Grußworten, dass die Volksanwaltschaft einen unverzichtbaren Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern und der öffentlichen Verwaltung leiste, die Volksanwaltschaft sei Mittlerin. Alle wünschten sich eine lösungsorientierte öffentliche Verwaltung, dazu seien Anstöße von außen notwendig. Er wünsche sich, dass die öffentliche Verwaltung in diesem Sinne die Rolle der Volksanwaltschaft als Partner verstärkt annehme, ebenso wie dass sich die Volksanwaltschaft als EINE Anlaufstelle mit verschiedenen Kompetenzen für die Bürgerinnen und Bürger weiterentwickle.
Südtirol 1983 mit neuer Anlaufstelle für die Bürger im europäischen Trend
In ihrer Festrede blickte Volksanwältin Morandell dann auf die vergangenen 40 Jahre zurück, aber auch nach vorne. Mit dem 1983 verabschiedeten Gesetz „lag Südtirol genau im Trend der Zeit, da in den verschiedenen europäischen Regionen diese Idee des Volksanwaltes, des Bürgerbeauftragten oder der sogenannten Ombudsstelle als wichtig empfunden wurde und diese neuen Anlaufstellen für die Bürger eingerichtet wurden“. Wenn das Gesetz auch lediglich 14 Artikel und wenige Kompetenzen umfasste, die dann nach und nach ausgeweitet wurden.
Bereits die Volksanwälte Steger und Werner Palla hätten sich in ihren Jahresberichten immer wieder über die mangelnde Bürgernähe der öffentlichen Verwaltung beschwert. „An diesen Kritikpunkten hat sich bis heute nichts geändert“, betonte Morandell und ergänzte, dass die Arbeit der Volksanwälte nicht immer reibungslos und ohne Konflikte verlaufen sei.
Die Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die sich an die Volksanwaltschaft wenden, so Morandell weiter, habe in den 40 Jahren stetig zugenommen: „Zurückzuführen ist dies einerseits auf den gestiegenen Bekanntheitsgrad der Einrichtung aber, andererseits steigt grundsätzlich auch die Zahl der Menschen, die sich in der öffentlichen Verwaltung nicht mehr zurechtfinden.“ Ein Teil dieser Verunsicherung im Umgang mit der öffentlichen Verwaltung sei der Digitalisierung geschuldet, gerade bei älteren Menschen.
Die Arbeitsschwerpunkte der Volksanwaltschaft hätten sich im Laufe der Jahre immer wieder geändert und seien heute vielfältig. Mit Erklärungen könne man einiges an Frust bei den Bürgerinnen und Bürgern abbauen, erst dann, wenn der Bürger nicht mehr versteht, was die öffentliche Verwaltung von ihm will, wende er sich ab, so Morandell.
Die Südtiroler Volksanwältin sieht eine gesicherte Zukunft der Volksanwaltschaft in Europa, wobei die Volksanwaltschaften in Italien in ihrer Rolle und in ihren wichtigen Aufgaben für den Bürger in einigen Regionen Italiens noch nicht so geschätzt und wahrgenommen würden, wie es notwendig wäre. „Hier gilt es“, unterstrich Morandell, „als Südtiroler Volksanwaltschaft, die gut aufgestellt ist, Vorbildfunktion einzunehmen und die Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen.“
Die Volksanwaltschaft habe in den 40 Jahren sehr viel wertvolle Arbeit für Bürgerinnen und Bürger geleistet. Dies gelte es anzuerkennen und weiterhin zu fördern und die Tätigkeit der Volksanwaltschaft zu unterstützen. „Nicht dienlich dabei sind die politischen Diskussionen, die Aufgaben der Volksanwaltschaft durch die Schaffung von kleinen Fachvolksanwälten zu zersplittern“, sagte Morandell. Dies führe über kurz oder lang zu unübersichtlichen Zuständigkeiten und Doppelgleisigkeiten, die keinen Platz haben dürften.
Gastrednerinnen und -redner aus dem In- und Ausland
Es folgten die Vorträge von Referenten aus dem In- und Ausland: Universitätsprofessorin Esther Happacher (Italienisches Recht, Universität Innsbruck) beleuchtete „Die Rolle der Volksanwaltschaft und das verfassungsrechtlich geschützte Recht auf gute Verwaltung“. Allerdings stehe in keinem Artikel der italienischen Verfassung, dass es ein Recht auf gute Verwaltung gebe, so Happacher. Doch die Bürgerinnen und Bürger täten sich mitunter schwer mit der öffentlichen Verwaltung. Dabei gehe es bei der öffentlichen Verwaltung um die Umsetzung des Wohls aller. In Art. 97 der Verfassung fänden sich jedoch die Unparteilichkeit und der gute Verwaltungsablauf, die tragende Säulen der öffentlichen Verwaltung seien. Prinzipien seien auch im Gesetz Nr. 241 aus dem Jahr 1990 definiert, das in Südtirol durch ein eigenes Landesgesetz von 1993 umgesetzt wurde: Unparteilichkeit, Transparenz und Wirtschaftlichkeit. Verwaltungsvereinfachungen gehörten auch zum guten Verwaltungsablauf. Die öffentliche Verwaltung gebe es nicht zum Selbstzweck, sondern für die Menschen. Zwei weitere Prinzipien seien wesentlich für eine gute Verwaltung: das Prinzip des Wettbewerbs beim Zugang zu öffentlichen Stellen laut Art. 38 der Verfassung sowie der Art. 28 der Verfassung, in dem es um die rechtliche Verantwortung der öffentlichen Bediensteten geht. Dies seien die „Leitplanken”, wenn sich das Recht auf gute Verwaltung in der italienischen Verfassung auch nicht fände – wohl aber im Art. 41 der europäischen Grundrechtecharta. In diesem würden Unparteilichkeit, angemessene Fristen und Gerechtigkeit angeführt. Die Volksanwaltschaft sei ein unabdingbarer Pfeiler, um das Wohl aller zu verwirklichen. Es müsse jedoch auch an der Verwaltungskultur selbst gearbeitet werden.
Gundi Gadesmann, Kabinettschefin der Europäischen Ombudsfrau in Brüssel, legte den Schwerpunkt ihres Beitrags auf das Europäische Verbindungsnetz der Bürgerbeauftragten und Petitionsausschüsse, kurz ENO, schickte aber voraus, dass derzeit das „Katar-Gate” in Brüssel vieles in der Ethikdiskussion überschatte. Die Frage sei, welche Verbesserungsmöglichkeiten es gebe. Das Europäische Parlament habe strengere Regeln vorgeschlagen, doch die Transparenz- und Ethikregeln auf EU-Ebene seien bereits streng, allerdings sei alles eine Frage der Implementierung. Bei der Europäischen Ombudsfrau gingen alljährlich 2.200 Beschwerden ein, der Großteil betreffe die EU-Kommission. Die Bearbeitung der Beschwerden würden dadurch erschwert, weil in allen 24 Amtssprachen gearbeitet werde. Zu den wichtigen Arbeitsbereichen zähle u.a. der „Seitenwechsel”, also wenn gewählte Politikerinnen und Politiker nach ihrer Amtszeit in die freie Wirtschaft wechselten. Das Büro der Europäischen Ombudsfrau koordiniere das ENO; dieses Netzwerk umfasse rund 100 Büros in 36 Ländern und habe es zum Ziel, die Zusammenarbeit zwischen europäischen, nationalen und regionalen Ombudsstellen zu erleichtern. „In 45 Prozent der Fälle, in denen die EU-Ombudsstelle nicht helfen kann, raten wir Beschwerdeführern, sich an ENO-Büros zu wenden“, so Gadesmann. Dies weil die Beschwerden nicht EU-Institutionen beträfen, sondern andere Einrichtungen, und die EU-Ombudsfrau damit nicht zuständig sei. „Die Pflichten der Volksanwälte Italiens. Schwierigkeiten und Chancen.“ waren das Thema von Marino Fardelli, Präsident des Koordinierungskomitees der Volksanwälte Italiens und Volksanwalt des Latium. „Seien wir ehrlich“, sagte Fardelli. „Trotz der Bedeutung dieser Figur wird die Rolle des Volksanwalts oft unterschätzt und ist wenig bekannt.“ Es sei in Italien aber kein Staatsgesetz zur Einrichtung von Volksanwaltschaften erforderlich, sondern viel eher eine Stärkung des nationalen Koordinierungskomitees. Die Volksanwälte fungierten oft als „Brücke“ oder Psychologen; Menschen würden sich an die Volksanwaltschaften wenden, weil sie kein Vertrauen mehr in die öffentliche Verwaltung mehr hätten. Eine Schwierigkeit bei der Arbeit der Volksanwälte in Italien sei, dass die Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung zur Klärung der Beschwerden mitunter schwierig sei. Doch auch das komplexe und sich ständig verändernde Umfeld sei herausfordernd. Dies schrecke die Bürgerbeauftragten nicht ab – wenn sie sich oft auch allein gelassen fühlten. Obwohl sie dazu beitragen könnten, die Qualität der Justiz, die Transparenz und die Fairness der Politik zu verbessern. Die Arbeit der Volksanwälte müsse am besten leise erfolgen. Es gebe die Notwendigkeit, die Volksanwaltschaften verfassungsrechtlich zu verankern; noch gebe es in Italien Regionen ohne Volksanwaltschaften.
Gaby Schwarz, Volksanwältin der Republik Österreich, betonte in ihrem Referat, dass es darum ginge, allen Seiten ein wenig auf die Finger zu schauen. Man müsse nicht nur Beschwerden nachgehen, sondern die Bedingungen für alle verbessern, indem die öffentliche Verwaltung zu mehr Geschwindigkeit angehalten und Gesetzesänderungen vorgeschlagen würden. Österreich sei gut verwaltet, aber ein bisschen Schwung tue mitunter gut. 5.000 Einrichtungen in Österreich überprüfe die Volksanwaltschaft – von Seniorenheimen bis zu Justizanstalten. Die österreichische Volksanwaltschaft in Wien sei auch Sitz des Generalsekretariats des IOI, des International Ombudsman Institute. Das Anliegen der Kolleginnen und Kollegen auf allen Kontinenten sei es, Menschenrechte weltweit zu schützen und zu fördern. Sie wünsche sich, dass sich die Volksanwaltschaften auf europäischer Ebene stärker vernetzten.
Samiah El Samadoni, Bürgerbeauftragte von Schleswig-Holstein, erzählte in ihrem Redebeitrag, dass, seitdem in Schleswig-Holstein alle Corona-Beschränkungen weggefallen seien, auch ein großer Teil der Beschwerden weggefallen sei. Nun gelte es noch die Geschehnisse während der Pandemie aufzuarbeiten. Sie wolle eine Gemeinsamkeit aller Bürgerbeauftragten hier besonders hervorheben: Im Verhältnis Bürger-öffentliche Verwaltung gebe es mitunter eine große Macht-Asymmetrie – hier brauche es die Bürgerbeauftragten, die sich für die Bürger einsetzten. Volksanwaltschaften seien ein Instrument zur Verbesserung der öffentlichen Verwaltung. In Deutschland gebe es auch Polizeibeauftragte, die ebenso wie die Bürgerbeauftragten parlamentarisch gewählt würden. Wichtig sei, dass die Bürgerbeauftragte niedrigschwellig erreichbar seien und tätig würden, es gehe ganz oft darum, den Menschen erst einmal zuzuhören – die Menschen fühlten sich oft von den Behörden nicht gehört bzw. wahrgenommen. Es sei an der Zeit, auch darüber nachzudenken, wo man auf Bürokratie verzichten könne, damit die Behörden besser arbeiteten.
Viviane Sobotich, Ombudsfrau der Stadt Rapperswil-Jona, gab einen Überblick über die Ombudsstellen in der Schweiz, die sich in drei Kategorien einteilen lassen: von Parlamenten gewählte Ombudsstellen, Spezial-Ombudsstellen, welche nur für einen bestimmten Sektor zuständig sind, sowie Spezial-Ombudsstellen, die sich auf einzelne Segmente der Bevölkerung fokussieren. Die Kompetenz für die Gesetzgebung liege grundsätzlich bei den Kantonen. Die erste parlamentarische Ombudsstelle der Schweiz sei im Jahr 1971 in Zürich eingerichtet worden; in Aargau, Schwyz und Schaffhausen sollen 2023 solche eingerichtet werden. Landeshauptmann Arno Kompatscher habe gesagt, dass Ombudsstellen für die Demokratie wichtig seien, weil sie ein Auseinanderdriften von Bevölkerung und Verwaltung verhinderten – auch deshalb hoffe sie, dass in der Schweiz weitere Ombudsstellen eingerichtet würden. „Die Suche nach einvernehmlichen, allseits befriedigenden Lösungen in Konfliktfällen”, so Sobotich, „ist Ombudsstellen häufig besser möglich als den Gerichten”.
Für die musikalische Umrahmung der 40-Jahr-Feier sorgte die Inklusionsband The Rolling Wheels.