Keine Türen zuschlagen – ein Kommentar

Enthaltung war die richtige Entscheidung

Donnerstag, 27. Oktober 2022 | 01:44 Uhr

Bozen – Auch wenn nicht wenige SVP-Parlamentarier über gute Kontakte zur Mitterechts-Koalition verfügen, schien es noch bis vor wenigen Wochen undenkbar, dass die Edelweißpartei einer Regierung, die von einer Frau geführt, deren Partei auch im Faschismus wurzelt, mit einer Enthaltung zumindest ein klein wenig ihr Vertrauen schenken könnte.

Angesichts ihrer eigenen Vergangenheit und der ihrer Partei – Fratelli d’Italia – galt ein klares Nein als ausgemacht. Zu sehr wog die Erinnerung an schlimme Jahrzehnte des vergangenen Jahrhunderts, an erlittenes Unrecht und die Verfolgung der deutschen und ladinischen Sprache und Kultur. Hinzu kamen unbedachte Sager, die die junge Giorgia Meloni von sich gegeben hatte.

APA/APA/AFP/ANDREAS SOLARO

Die Giorgia Meloni des Jahres 2022 ist aber nicht mehr die junge Giorgia Meloni. Ihr klares Bekenntnis zum Euro, zur EU, zur Nato und zur Unterstützung der Ukraine in ihrem Überlebenskampf sprechen Bände. Daher war es keine Überraschung, dass alle wichtigen Staatsmänner Europas und die Spitzenvertreter der USA ihr zum Wahlsieg gratulierten. Der Unterschied zur österreichischen Regierung Schüssel mit FPÖ-Beteiligung und den folgenden EU-Sanktionen ist frappierend.

Überraschenderweise finden sich in der Regierungsmannschaft der resoluten Ministerpräsidentin auch Persönlichkeiten wie Antonio Tajani, Roberto Calderoli und Giancarlo Giorgetti, die die Edelweiß-Parlamentarier gut kennen und mit denen sie bereits in den letzten Legislaturen gut zusammenarbeiten konnten. Sie bekleiden auch einflussreiche Ressorts wie jene für die Autonomien, für Äußeres und für die Wirtschaft, die für Südtirol von immenser Wichtigkeit sind. Zudem äußerte sich Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in ihrer Regierungserklärung überaus deutlich zur Wiederherstellung jener autonomen Kompetenzen des Landes Südtirol, welche 1992 zur Streitbeilegungserklärung geführt hatten.

Samantha Zucchi/Insidefoto

Die kontroverse Entscheidung, sich zu enthalten und nicht mit Nein zu stimmen, war richtig. Mit Blick auf die vielen Herausforderungen der kommenden Jahre wäre es ein Fehler gewesen, in Rom alle Türen zuzuschlagen und Fundamentalopposition zu betreiben. Dank der Südtirol wohlgesinnten Regierungsvertreter wäre es sogar möglich, die eine oder andere Kompetenz nach Bozen zurückzuholen und so die Autonomie zu stärken. Viele Fragen – vom Wolf über die Wirtschafts- und Agrarpolitik bis hin zur Verwendung der EU-Hilfen – lassen sich ohnehin nur im Verein mit Rom und Brüssel lösen.

An Kritik an dieser Entscheidung der SVP wird es in Südtirol nicht mangeln. Von denjenigen, die keine Verantwortung für das Land tragen müssen und deren Blick vor allem auf einen warmen Platz auch im nächsten Landtag gerichtet ist, wird erwartungsgemäß die schärfste kommen.

Die wahren Interessen des Landes zu vertreten, dafür die Verantwortung zu übernehmen und dafür einzustehen, sind aber ein anderes Paar Schuhe. Im Gegensatz zu den Wahlverlierern des 25. September wäre es für uns als Minderheit töricht, allein aus historischen Gründen zu einer Regierung, die erklärterweise nicht unser Gegner ist, einfach Nein zu sagen.

Gerade die Autonomieväter lehren uns, dass mit Gesprächen und Verständnis mehr zu bewegen ist, als von vornherein allen die kalte Schulter zu zeigen. Die Früchte dieser Erkenntnis können gerade mit Blick auf die Ukraine täglich bewundert werden.

Von: ka

Bezirk: Bozen