"Sexismus ist keine Frage des persönlichen Geschmacks"

Sexistische Werbung in Südtirol: SUSIs verleihen erstmals „Goldene Flasche“

Donnerstag, 19. Januar 2023 | 13:04 Uhr

Bozen – Brüste und Hintern in der Zeitung, auf Plakaten, auf Flyern und in Werbevideos – wer kennt es nicht? Ab und zu rügt der Landesbeirat für Kommunikationswesen, aber allzu oft bleiben sexistische Werbungen im Umlauf und werden schulterzuckend (und angewidert) hingenommen. Allein, Sexismus ist keine Frage des persönlichen Geschmackes und hat weitreichende Folgen. Deshalb verleihen die SUSIs (Südtirols Sisters) erstmals in der Geschichte Südtirols die “Goldene Flasche” an Südtiroler Unternehmen, die mit sexistischer Werbung auffallen.

Aus zahlreichen Einsendungen haben 1.116 abgegebene Stimmen im Online-Voting die drei “Gewinner” für das Jahr 2022 ermittelt. Unter den (leider) zahlreichen Einsendung wurden mittels Online-Voting aus acht Finalisten die drei „Gewinner“ eruiert.

Die goldene Flasche geht an ein Sportgeschäft in Seis, das, fixiert auf weibliche Hinterteile, zum Black Friday Frauen in Unterwäsche und von hinten fotografiert auf die Piste schickt – während die männlichen Models vollständig angezogen waren.

Die silberne Flasche geht an den absoluten Klassiker auf Südtirols Straßen und das uns am häufigsten zugesendete Motiv: Die „Brüste“ aus Holz auf den Transportern eines Sarner Holzunternehmens.

Die bronzene Flasche geht an einen Imker aus Vahrn, der seinen Honig mit einer eindeutig zweideutigen Bildsprache vermarktet.

Ein Immobilienmakler aus Bozen, der mit dem Hinterteil einer Frau seine Immobilien in „Szene“ setzte, teilte sich mit dem Sportgeschäft den ersten Platz, wurde allerdings aus dem Rennen genommen, weil der Landesbeirat für Kommunikationswesen hier bereits eine Rüge erteilt hatte und das Bild nicht mehr im Umlauf ist.

SUSIs

Ist das „nur“ stereotyp oder schon sexistisch?

„Sexismus ist keine Frage des persönlichen Geschmacks. Unsere Finalisten haben wir nach den Kriterien von Pinkstinks evaluiert. Unterschieden haben wir dabei zwischen Stereotyp und Sexismus: ‚Stereotype‘ Darstellungen in Medien und Presse zeigen der Regel normschöne, junge, schlanke und weiße Frau — und das ist zwar nervig und ausschließend, dass es keine Diversität in der Darstellung gibt, aber kein eindeutiger Sexismus“, erklären die SUSIs Barbara Plagg, Heidi Flarer und Claudia Oberrauch.

Sexistisch wird es dann, wenn weibliche Körper oder Körperteile ohne Produktbezug als Blickfang eingesetzt werden, wenn man Frauen aufgrund ihres Geschlechts Eigenschaften, Fähigkeiten und sozialen Rollen in Familie und Beruf zuordnet oder sexuelle Anziehung als ausschließlichen Wert von Frauen darstellt. Brüste zu zeigen, ist in demnach Ordnung, wenn man BHs verkauft, aber nicht, wenn man Schlagbohrer vermarkten will. Nicht nur Frauen, auch Männer betrifft Sexismus in der Werbung, wenngleich dieser weniger über körperliche Objektifizierung, sondern vor allem in Zuschreibungen wie nicht weinen zu dürfen, unfähig in Haushalt und Kindererziehung zu sein oder keine Emotionen zu spüren, dargestellt wird.

Genug vom „male gaze“!

Alle Kandidaten der „Goldenen Flasche“ bedienen sich in der Geschlechterinszenierung zur Vermarktung ihrer Produkte dem sogenannten „male gaze“, den männlichen Blick, und präsentieren Frauen aus einer männlichen heterosexuellen Perspektive als sexuelle Objekte. „Das mag für einige möglicherweise harmlos klingen, weil eine ‚einzelne‘ geschmacklose Werbung nicht schlimm zu sein scheint, doch zusammengenommen ergibt die wieder und wieder auftretende Objektifizierung von Frauenkörpern ein großes Problem: Rollenklischées werden verfestigt, geschlechtsbezogene Machtverhältnisse normalisiert, Possessivverhalten gegenüber Frauen gefördert und sexualisierte Zuschreibungen bereits Kindern vermittelt – denn man kann sie vor der allgegenwärtigen Darstellung auf Plakaten, Flyern und Lkw nicht schützen“, erklären die SUSIs.

Kein Kompliment, sondern Erniedrigung

Ähnlich wie beim Catcalling, wo Männer nach wie vor glauben, Frauen würden die „Aufmerksamkeit“ genießen, während Frauen sich erniedrigt fühlen und dem Belästiger möglichst schnell entkommen möchten, behaupten Unternehmen gerne, ihre Sexismen seien eine Form von „Wertschätzung“ der Weiblichkeit. „Dass dem nicht so ist, sollte man 2023 niemanden mehr erklären müssen, denn selbst Kinder fragen sich mit Blick auf Flyer, Zeitungen oder Transparente der Lkw inzwischen: Was haben Mamis Brüste und Mamis Hintern mit der Vermarktung von Holz, Honig, Möbeln oder Skischuhen zu tun?“, so die SUSIs.

Nachhaltig, sozial – aber sexistisch? Nein, danke!

Immer mehr Südtiroler Unternehmen würden auf sozial-ökologische Werte wie Nachhaltigkeit, Lokalität und faire Arbeitsbedingungen setzen, doch viele trotz aller Innovation überholten Sexismen in der Vermarktung treu bleiben, erklären die SUSIs. „Vielen kaufkräftigen Frauen ist Gleichberechtigung jedoch ein ebenso wichtiger Wert wie Nachhaltigkeit und kritische Konsumentinnen und Konsumenten kaufen im Zweifel nicht bei Unternehmen, die mit der sexualisierten Darstellung ihrer Körper Werbung machen. Wir schreiben jetzt das Jahr 2023 — lasst euch doch mal was Neues einfallen und bringt eure Bildsprache in die Gegenwart!“, fordern die SUSIs.

Von: mk

Bezirk: Bozen