Von: bba
Bozen – Ein IDM-Event informierte Unternehmen über die Eckpunkte des neuen Handelsabkommens und wichtige praktische Aspekte.
Südtirol exportiert jährlich Waren im Wert von rund 130 Millionen Euro nach Großbritannien. Mit 31. Januar 2020 hat das Vereinigte Königreich die EU verlassen, nach langwierigen Verhandlungen wurde ein Handelsabkommen geschlossen, das nun mit Jahresbeginn in Kraft getreten ist. Wie sieht dieses Abkommen im Detail aus, und was bedeutet es für Südtirols Exporteure? Bei einer Online-Informationsveranstaltung von IDM Südtirol stellte Walter Obwexer, Professor für Europarecht und Völkerrecht an der Universität Innsbruck, heute die Eckpunkte des Austrittsvertrags vor. Im Anschluss konnten sich die Teilnehmer bei Expertinnen und Experten zu brennenden praktischen Themen des Brexits wie Zollabläufe oder Verträge informieren. Welche Auswirkungen der britische Austritt auch auf politischer Ebene haben wird, darüber sprach Südtirols EU-Parlamentarier Herbert Dorfmann.
Autoteile und –zubehör, landwirtschaftliche Produkte, Lebensmittel und Getränke: Das sind die Warengruppen, die den Löwenanteil der Südtiroler Exporte ins Vereinigte Königreich darstellen. „Insgesamt macht das nur drei Prozent des heimischen Exportvolumens aus, Großbritannien platziert sich als Exportmarkt für Südtirol derzeit auf Platz neun“, sagt Vera Leonardelli, Abteilungsdirektorin Business Development von IDM. „Dennoch ist und bleibt das Land ein interessanter Markt, gerade für die Hersteller der dort besonders gefragten Waren.“ Der zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich ausgehandelte Partnerschaftsvertrag trat am 1. Januar 2021 in Kraft und soll nun den von vielen Wirtschaftsteilnehmern favorisierten soften Brexit konkret umsetzen.
Herbert Dorfmann, der die langen Verhandlungen seit dem Referendum im Juni 2016 und nach dem offiziellen Austritt aus nächster Nähe miterlebt hat, ist sehr zuversichtlich, was den künftigen Handelsverkehr zwischen den beiden Märkten angeht: „Niemand hat Interesse an eingeschränkten Handelsbeziehungen. Deshalb werden sich im Bereich des Handels für die noch offenen Punkte sicher Lösungen finden. Ich glaube, dass das, was jetzt ausverhandelt wurde, für uns auch soweit ok ist.“
Der wirkliche Verlust des Brexits sei aber ein politischer Verlust. Die EU verliere mit Großbritannien einen großen, wirtschaftsliberalen Mitgliedsstaat und vor allem eine weitgehende europäische Einheit: „Ab sofort spricht die EU nicht mehr für einen Großteil des europäischen Kontinents, sondern es gibt eben die Europäische Union, und es gibt Großbritannien. Und beide werden ihre Interessen vertreten – die sich nicht unbedingt immer decken. Der Streit um die Lieferung des AstraZeneca-Impfstoffs war ein Vorgeschmack darauf.“
Wie es wirtschaftlich weitergeht, erläuterte Walter Obwexer beim IDM-Event. „Das Abkommen über Handel und Zusammenarbeit bildet nun die rechtliche Grundlage für eine breit angelegte Partnerschaft zwischen beiden Vertragsparteien. Diese Partnerschaft beinhaltet wesentlich weniger Rechte und Freiheiten als jene, die mit der EU-Mitgliedschaft von Großbritannien verbunden waren. Daraus resultieren für Unternehmen und Einzelpersonen in der EU – und natürlich auch aus Südtirol – grundlegende Änderungen in den Beziehungen mit dem Vereinigten Königreich“, so Obwexer.
Zu den wichtigsten Punkten des Abkommens zählen etwa unter anderem vereinfachende Bestimmungen für das Zollwesen, Vorgaben für einen fairen Wettbewerb, die in Bereichen wie Umweltschutz oder Sozial- und Arbeiterrechte hohen Schutz garantieren, und eine möglichst ungehinderte Mobilität zwischen dem Staat jenseits des Channels und der EU. Getroffen wurden auch Vereinbarungen zu den Themen Energie und Klima – etwa die Verpflichtung für Großbritannien, weiterhin das Pariser Klimaabkommen zu beachten – und über die weitere Zusammenarbeit im Bereich der Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung. Das Vereinigte Königreich hat außerdem eingewilligt, die sozialen Rechte von Arbeitnehmern, die ab 2021 nach Großbritannien umziehen, zu gewährleisten. Was Finanzdienstleistungen betrifft, wird der Zugang zum EU-Markt für Großbritannien voraussichtlich eingeschränkt, wobei hier wichtige Fragen noch offen sind. Das Land kann hingegen weiterhin an verschiedenen EU-Programmen teilnehmen, sofern es sich auch bei der Finanzierung beteiligt.
Unternehmen, die in den britischen Markt importieren wollen, sollten aber nicht nur die wichtigsten Eckpunkte des Abkommens kennen, unterstreicht Vera Leonardelli: „Sie benötigen auch eine Vielzahl an praktischen Informationen, etwa zu Fragen wie: ‚Unter welchen Voraussetzungen kann ich weiterhin Mitarbeiter nach Großbritannien entsenden?‘ oder ‚Wie sehen die Zollbestimmungen jetzt im Detail aus?‘. Deshalb hatten die Teilnehmer bei unserem Brexit-Event auch die Möglichkeit, individuelle Einzelgespräche mit Experten zu führen, die sie zu ihren konkreten Fragen kompetent und im Detail beraten haben.“