Von: Ivd
Bozen – Kinder mit AD(H)S – Aufmerksamkeits-Defizit-(Hyperaktivitäts-)Störung und/oder Hochsensibilität stehen im Alltag und besonders in der Schule vor großen Herausforderungen. Sie reagieren sehr empfindlich auf äußere Reize. Sie tun sich schwer, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und sind sehr impulsiv. Auch für die Familie ergeben sich dadurch schwierige Situationen, die es zu bewältigen gilt. In Bozen laufen die Vorbereitungen zur Gründung einer neuen Eltern-Selbsthilfegruppe.
Der Alltag mit einem Kind mit AD(H)S kann laut, chaotisch und kräftezehrend sein. Gleichzeitig erleben Eltern eine enge emotionale Bindung, oft gepaart mit Unsicherheit, Überforderung und gesellschaftlichem Unverständnis. Eine neue Selbsthilfegruppe möchte genau hier ansetzen. „Der Alltag mit meinem Sohn ist manchmal wie ein Sturm, aber auch voller Wunder“, erzählt Judith, die Initiatorin der neuen Selbsthilfegruppe für Eltern von Kindern mit AD(H)S.
Ihr Erfahrungsbericht einer Alltagsepisode vor einiger Zeit zeigt, wie außergewöhnlich stark, entschlossen und sensibel Kinder mit AD(H)S sein können: „Mit fünf Jahren lief mein Sohn barfuß mehrere Kilometer durch einen Tunnel, um zu mir zu gelangen – einfach, weil er überzeugt war, dass er den Weg kennt. Dazu muss man wissen: Wir wohnen am Berg, 30 Autominuten von Bozen entfernt, wo ich an dem Tag gearbeitet habe. Was war passiert? Der Kleine hatte sich an jenem Nachmittag mit jemandem gestritten und sich dann entschlossen ‚Ich geh nach Bozen zur Mama!‘. Das tat er auch, allein und barfuß. Bald suchte ihn der Papa und das halbe Dorf.“
Die Mutter erzählt weiter: „Zum Glück hat ihn ein hilfsbereiter Vertreter zufällig auf der Hauptstraße entdeckt und das Kind heimgefahren. Ein Engel der Mann! Abends sagte mein Sohn zu mir: ‚Mama ich wusste, es war weit, aber ich wusste wohin.‘ Was dieser Satz bedeutet beziehungsweise ihn einordnen kann ich erst seit kurzem: Wenn ein AD(H)S-Mensch etwas wirklich will und überzeugt ist, kann ihn niemand aufhalten und er ist zu Höchstleistungen fähig. Schnelle Gehirne eben…”
Solche Geschichten sollen in der neuen Selbsthilfegruppe Platz finden – nicht nur, um Schwierigkeiten zu teilen, sondern auch, um die Stärken neurodiverser Kinder aufzuzeigen. Neurodiversität beschreibt die enorme Vielfalt, mit der unsere Gehirne verdrahtet sind.
Neurologische Variationen gehören zur menschlichen Vielfalt genauso wie unterschiedliche Augenfarben oder Körpergrößen. Das bedeutet, dass die Art und Weise, wie Menschen denken, wahrnehmen und Informationen verarbeiten, sehr unterschiedlich sein kann. Kinder mit AD(H)S, auch hochsensible Kinder reagieren sehr empfindlich auf äußere Reize. Sie tun sich schwer, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und sind sehr impulsiv. Gleichzeitig sind sie sehr kreativ, begeisterungsfähig und empathisch.
Die Selbsthilfegruppe möchte diese Eigenschaften sichtbar machen und Eltern helfen, ihre Kinder besser zu verstehen und auch einmal über die verrückten Seiten des Familienlebens zu lachen. In monatlichen Treffen in Bozen können sich betroffene Mütter und Väter austauschen und ihre Erfahrungen teilen. Sie können Tipps für den Umgang mit den Besonderheiten ihrer Kinder sammeln und sich gegenseitig stärken.
Auch das wichtige Thema der Geschwisterkinder soll berücksichtigt werden – denn Geschwister erleben den turbulenten Familienalltag intensiv mit und sollen ebenfalls nicht vergessen werden. „AD(H)S ist in aller Munde, aber nur wenige wissen wirklich Bescheid”, sagt Judith: „Menschen mit AD(H)S haben Gehirne, in denen Dopamin nicht richtig gut verteilt wird, und dies führt zu unterschiedlichen Ausprägungen des AD(H)S. Auch das Wort ‚Hochsensibilität‘ hört man immer öfter. AD(H)S und Hochsensibilität sind nicht dasselbe, aber oft sind AD(H)S Kinder auch hochsensibel und umgekehrt. Es gibt sehr wohl einige Parallelen. Deshalb sollten sich auch jene Eltern angesprochen fühlen, die hochsensible Kinder haben, nämlich Kinder, die schnell überreizt sind, Gefühle anderer stark wahrnehmen und ständig den Sinn hinterfragen und somit sehr abwesend und verträumt wirken.”
Sie lädt Eltern herzlich ein, gemeinsam Wege zu finden, mit den Herausforderungen und Besonderheiten ihrer Kinder umzugehen – mit Respekt, Verständnis und Humor. Interessierte sind aufgerufen, sich zu melden. Die monatlichen Treffen finden jeden zweiten Montag um 19.30 Uhr in Bozen statt. Anmeldung & Kontakt: E-Mail: selbsthilfe@dsg.bz.it, Telefon: 0471 1888110.
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