Von: Ivd
Bozen – Mitten drin in den Sommerfeiern: Freizeit, Hitze, Langeweile und unendlich viele digitale Verlockungen. Gerade jetzt steigt für viele Jugendliche die Zeit vor dem Bildschirm. Dabei sind Videospiele längst mehr als harmlose Freizeitbeschäftigung: Sie können faszinieren, verbinden, aber auch fesseln. Young Hands warnt vor der unterschätzten Gefahr der sogenannten Gaming Disorder und ruft Eltern dazu auf, hinzusehen statt zu verbieten.
Videospiele können bei ausgewogenem Gebrauch eine Erfahrung mit großem Potenzial sein. Heutzutage sind viele Videospiele nicht nur ein Zeitvertreib, sondern können auch Fähigkeiten fördern, die nützlich sind, wie Logik, Kreativität oder Zusammenarbeit. Strategische Spiele, Simulationen oder Teamspiele helfen Jugendlichen, komplex zu denken, schnelle Entscheidungen zu treffen und mit Gleichaltrigen weltweit zu kommunizieren. Alessia Corazza, Psychotherapeutin bei Young Hands, erklärt: „Wenn der Bildschirm zur Ersatzwelt wird, ist das oft kein Zeichen von Faulheit, sondern ein Signal.” Viele Jugendliche flüchten ins Spiel, weil sie sich in der Realität nicht gehört, gesehen oder gebraucht fühlen.
Gaming Disorder – von der WHO als offizielle psychische Störung anerkannt – beschreibt eine problematische Nutzung von Videospielen, die Schule, Schlaf- und Wachrhythmus, Freundschaften oder Humor deutlich beeinträchtigt. Besonders gefährdet sind Jugendliche, deren Alltag kaum Routine bietet oder die emotionale Beziehungsschwächen haben. Je weniger echte Erlebnisse es „offline“ gibt, desto größer die Anziehungskraft virtueller Welten.
Ein typischer Einstieg?
Sommerferien, wenig Beschäftigung, die Freunde im Urlaub. Plötzlich sind junge Menschen zehn Stunden täglich vor dem Bildschirm. Das digitale Spiel regt an, befriedigt und schafft Zugehörigkeitsgefühle, indem es die Belohnungsschaltkreise im Gehirn aktiviert, die bei Jugendlichen besonders empfindlich sind. Anfangs scheint alles harmlos. Wenn das Spiel aber der einzige Weg wird, um Problemen zu entkommen, oder wenn es andere wichtige Erfahrungen wie Sport, Freundschaften oder Schule ersetzt, kann dies negative Auswirkungen auf das psychische und soziale Wohlbefinden haben. Aus gelegentlichem Spiel kann schleichend ein suchtähnliches Verhalten werden. „Viele Eltern erkennen die Gefahr erst, wenn der digitale Rückzug schon da ist“, sagt Alessia Corazza. Es geht nicht darum, das Gaming zu verteufeln, sondern zu verstehen, wann es eine gesunde Leidenschaft ist und wann es zur Flucht vor der Realität wird.
Regeln funktionieren nur in einer guten Beziehung
Die Rolle der Eltern ist wertvoll und basiert mehr auf der Qualität der Beziehung als auf strikter Kontrolle. Es geht nicht ums Ausspionieren, Durchsetzen oder Bestrafen. Präsenz zeigen und sich für die Interessen der Kinder interessieren ist ein erster Schritt. Besser ist es, das Gespräch zu suchen: „Lassen Sie sich ein Spiel erklären, spielen Sie vielleicht auch mal mit.” Dann entsteht Nähe und auf dieser Basis können auch Regeln vereinbart werden. Gemeinsam kann entschieden werden, wann es Zeit ist, das Spiel auszuschalten, Pausen zu vereinbaren und Rituale zur digitalen Entspannung zu schaffen wie beispielsweise keine Bildschirme am Esstisch oder vor dem Schlafengehen. Solche Maßnahmen verleihen den Regeln Glaubwürdigkeit. Wichtig ist es auch, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen. Sehen die Kinder ihre Eltern ständig am Handy, werden sie den Aufruf des Ausschaltens kaum ernst nehmen.
Sinnvolle Alternativen suchen
Alternativen vorzuschlagen heißt nicht, etwas aufzuzwingen, was nicht gefällt, sondern dabei zu helfen, Leidenschaften zu entdecken, die das Leben bereichern, erklärt Alessia Corazza. Sport, künstlerische Aktivitäten, Musik, kreative Werkstätten oder Zeit im Freien stärken das Selbstbewusstsein und Zugehörigkeitsgefühl. Auch einfache tägliche Routinen wie gemeinsam kochen, spazieren gehen, Gesellschaftsspiele spielen oder Ausflüge mit Freunden organisieren, können einen Unterschied machen. Entscheidend ist, dass die Alternativen für die Jugendlichen sinnvoll sind: Fühlen sie sich gehört und frei zu experimentieren, fällt es ihnen leichter, nicht ausschließlich Zuflucht in Videospielen zu suchen.
Bei Bedarf Hilfe suchen
Es ist nicht immer leicht, problematisches Nutzungsverhalten zu erkennen, doch es gibt Warnsignale, auf die Eltern achten sollten. Wenn Jugendliche stundenlang spielen und dabei Schlaf, Essen oder soziale Kontakte vernachlässigen, ist Aufmerksamkeit gefragt. Weitere Hinweise sind der Verlust der Freude an früheren Hobbys, Lügen über die Spielzeit oder starke Reizbarkeit bei Spielpausen. Kontrollverlust über die Spielzeit oder wenn Gaming zur obersten Priorität wird, sind wichtige Warnzeichen. Kommen Probleme wie Schulschwierigkeiten, Angst oder Isolation dazu, ist professionelle Hilfe ratsam. Wichtig ist es, den Jugendlichen klarzumachen, dass sie selbst nicht das „Problem“ sind, sondern dass eine externe Perspektive helfen kann, Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen. Zum Beispiel helfen Formulierungen wie: „Möchtest du, dass wir zusammen Unterstützung holen, um zu verstehen, was gerade los ist?“ Statt Drohungen oder Schuldzuweisungen sollte das Kind in die Auswahl der Fachkraft einbezogen werden. Wichtig ist auch zu erklären, dass diese Person Verbündete:r und kein Richter ist. YoungHands ist so eine Anlaufstelle.
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