Von: apa
Martin Suter lässt in seinem neuen Roman “Wut und Liebe” Verzweiflung auf Rachsucht treffen. Der Schweizer Erfolgsautor widmet sich darin einem wenig erfolgreichen Künstler, der trotz wechselseitiger Liebe von seiner ihn durchfütternden Freundin verlassen wird. Im APA-Interview teilt Suter seine Ansichten zur “Fear of missing out”, Schriftstellern auf Sofas und seiner persönlichen Seitenanzahlobergrenze. Im September kommt der 77-Jährige für eine inszenierte Lesung nach Wien.
Den Menschen, nicht das Leben mit ihm lieben
APA: Ein zentraler Satz in Ihrem Buch “Wut und Liebe” ist: “Ich liebe dich, aber nicht das Leben mit dir.” Wie sind Sie darauf gekommen?
Martin Suter: Ich denke, das betrifft viele Leute. Irgendwann denkt man bei aller Liebe wie Camilla, die im Buch einen erfolglosen Künstler durchfüttert: “Ich mache hier einen Job, der mir überhaupt nicht gefällt, nur damit er den Job machen kann, den er liebt, aber davon nicht leben kann.” Das ist eine schwierige Situation. Moderne Frauen sagen dann vielleicht irgendwann: “Schau mich an, ich bin schön, und ich weiß es. Ich habe nicht im Sinn, dieses Leben weiterzuführen.”
APA: Bei der Lektüre und speziell Camillas Verhalten, die ihren Partner Noah trotz bestehender Liebe zu Beginn des Romans verlässt, drängt sich das Phänomen “Fear of missing out” – FOMO – auf. Erachten Sie Ihren Roman als Warnung davor, übereilt nicht gänzlich Perfektes aufzugeben in der Hoffnung auf noch Besseres?
Suter: Nein, ich erzähle eigentlich nie zu einem bestimmten Thema eine Geschichte. Meine Bücher sind keine pädagogischen Werke. Ich will keine Botschaft oder die Menschheit vor etwas warnen. Ich will ein Buch schreiben, das man gerne liest. Das einen für ein paar Stunden oder Tage zu einem untauglichen Mitglied der Gesellschaft macht, das vergisst, aus dem Bus auszusteigen oder das Licht zu löschen. Ich habe früher immer etwas überspitzt gesagt, man kann nichts verpassen im Leben. Es passieren jede Sekunde Milliarden Dinge. Man kann aber nicht an zwei oder mehr Orten sein. Es ist viel gescheiter, man konzentriert sich darauf, was man gerade nicht verpasst.
APA: Noah will nichts sehnlicher als Camilla zurück an seiner Seite. Er kann sie nicht loslassen. Hegen Sie für eine der beiden Figuren eine größere Sympathie?
Suter: Ich kann beide Situationen verstehen. Ich mag selbst meine ganz bösen Figuren mit der Zeit. Ich halte es nicht lange mit Leuten aus, die ich nicht mag. Und während des Schreibens verbringt man viel Zeit mit dem Personal eines Romans.
Ein Faible für Intrigen und Geheimnisse
APA: Intrigen, Doppelleben und Geheimnisse tauchen immer wieder in Ihren Romanen auf. Fasziniert Sie etwas daran oder lässt sich damit einfach nur eine gute, spannende Geschichte erzählen?
Suter: Es fasziniert mich. Schon bei meinen ersten Büchern hat mich die Frage umgetrieben: “Wer bin ich, und wer könnte ich noch sein?” Das Thema Schein und Sein spielt in der Literatur generell eine große Rolle. Das ist die Kunstform, in der man Gedanken am besten darstellen kann. Belletristik ist geschaffen für Schein und Sein.
APA: Ihr Roman ist mit 300 Seiten relativ schlank. Was Sie erzählen, füllt bei anderen aber mitunter doppelt so viele Seiten. Verspüren Sie nie die Lust, länger bei Ihren Figuren und Themen zu verweilen, Sie breiter auszuwälzen?
Suter: Jetzt im Moment schreibe ich ein neues Buch, das ein bisschen weniger Tempo hat. Ich fand es für “Wut und Liebe” aber gut, dass es Schlag auf Schlag geht. Mehr als 350 Seiten schreibe ich eigentlich nie. Ich bin ja für mich selbst ein sehr wichtiger Maßstab. Ich schreibe nur das, was ich selbst gerne lesen würde. Und ich lese nicht gerne Geschichten, die nur von Stimmung oder Sprache leben. Mich treibt die kindliche Frage “Und dann?” an. Wenn ich ein 800-seitiges Buch sehe, ist es nicht mein erster Impuls, zuzugreifen. Und das ist jetzt sehr untertrieben.
Kein Schriftsteller auf dem Sofa
APA: Sie haben es vorhin schon angesprochen, dass Sie nicht unbedingt das Bedürfnis haben, dass Ihre Bücher über die eigentliche Lektüre hinauswirken. Sie haben keine klare Message, die Sie weitertransportieren wollen. Warum denn nicht? Hat es Sie nie gereizt, etwas zu schaffen, das einen nachhaltig aufwühlt, aufrüttelt oder verstört?
Suter: Wenn das passiert, habe ich natürlich nichts dagegen. “Small World” ist ein Lehrbuch für die Ausbildung in der Geriatrie geworden. Das habe ich nicht beabsichtigt. Natürlich freut es mich aber. Ich finde nicht, dass Schriftsteller eine Leuchtturmfunktion haben müssen. Ich finde, es ist ein bisschen überheblich, wenn Schriftsteller sagen: “Ich erkläre jetzt den dummen Mitmenschen, was richtig ist, wie man die Welt sehen muss.” Ich habe es auch nicht gern, wenn sich Schriftsteller vor mir aufs Sofa legen und ihre Probleme ausbreiten. Das ist eine Form von Voyeurismus, die mich nicht sehr fasziniert.
APA: Sie stehen vor einer “Wut und Liebe”-Premierentour, die Sie am 11. September auch ins Wiener Konzerthaus führt. Die Tournee wird als doppelte Premiere angekündigt. Erstmals stehen Sie gemeinsam mit einem ausgewählten Ensemble und einer eigens entwickelten Fassung des Werks auf der Bühne. Was kann man sich darunter vorstellen?
Suter: Das ist das erste Mal, dass ich eine dramatisierte, inszenierte Lesung mache. Der große Theatermann Joachim Lux, der auch hier in Wien an der Burg Dramaturg war, inszeniert sie. Wir möchten nicht einfach nur den Originaltext lesen, wie ich es sonst immer gemacht habe. Es sind tolle Schauspielerinnen dabei – hier in Wien Caroline Peters -, mit denen ich inszeniert lese, wobei Dialoge eine große Rolle spielen. Der zweite Teil wird ein moderiertes Gespräch sein. Da freue ich mich auf Dirk Stermann. Er ist sehr schnell sehr lustig.
APA: Wird man Sie also in Ansätzen als Schauspieler erleben?
Suter: Nein, das nicht. Aber ich werde versuchen, über den Text zu verfügen, wie Joachim Lux das nennt. Ich werde ihn ein paar Mal üben. Gegen die Schauspielerinnen werde ich total abfallen, aber ich möchte es doch noch irgendwie so halten, dass man deswegen nicht aufsteht und geht. Ich bin schon ein bisschen ehrgeizig.
Schriftstellerei als einsamer Beruf
APA: Lesen Sie eigentlich gerne vor Leuten oder ist es ein notwendiges Übel?
Suter: Das Schriftstellern ist an sich ein einsamer Beruf. Und dann kommt dieser Moment, wo das Buch erscheint. Dann bin ich gerne einen Moment lang der Mittelpunkt der Party und sehe einen Haufen Leute. Früher habe ich auch signiert, das mache ich seit Corona nicht mehr. Ich bin inzwischen in einem Alter, in dem ich nach einer zweistündigen Veranstaltung nicht auch noch zwei Stunden signieren und mit den Leuten plaudern kann. Das schaffe ich einfach nicht mehr.
APA: Sie haben einst erzählt, dass Ihnen nach Ihrem Erfolg mit Ihrem Debütroman “Small World” das nächste Projekt “Die Gedächtnislagune” “abverreckt” sei und nicht gedruckt wurde. Seitdem ist das offenbar nicht mehr vorgekommen, oder?
Suter: Es ist davor bereits vorgekommen. Das erste Buch, das ich dem Diogenes-Verlag geschickt habe, wurde nie gedruckt. Dann kam “Small World”, und ich habe mir gedacht: “Geht ja”. Ich habe das nächste geschrieben – dummerweise ohne die Angst, die man haben sollte, wenn man einen erfolgreichen Erstling veröffentlicht hat. Ich habe den Fehler gemacht, loszuschreiben, ohne das Ende zu kennen. Wenn man das Ziel nicht kennt, dann kommt man nicht an. Es darf kein Freejazz sein. Es muss komponiert sein, damit es nicht konstruiert wirkt.
Verstorbene Ehefrau nach wie vor Erstleserin
APA: In den Dankesworten zu “Wut und Liebe” schreiben Sie, dass Ihre 2023 verstorbene Frau Margrith immer Ihre erste Leserin war. Wie kritisch ist Sie mit Ihnen ins Gericht gegangen?
Suter: Sie war immer sehr ehrlich, und das war für uns beide schwierig. Aber ich war immer sehr froh darüber. Sie hat bei “Small World” gesagt: “Du würdest dieses Buch nicht lesen.” Sie hatte recht. Ich habe dann noch intensiv daran gearbeitet. Auch bei “Melody”, dem letzten Buch, das sie von mir lesen konnte, hat sie noch ein paar entscheidende Dinge gesagt.
APA: Haben Sie neue Erstleser?
Suter: Es ist immer noch meine Frau. Sie ist vor zwei Jahren gestorben. Vor ein paar Wochen wären wir 50 Jahre zusammen gewesen. Wenn man so lange ein Paar ist, dann ist der Unterschied zwischen einem nicht mehr so groß. Ich schreibe und frage mich, was sie dazu sagen würde. Sie bleibt meine erste Leserin. Und natürlich habe ich eine sehr gute Lektorin. Sie muss jetzt ein bisschen mehr arbeiten als früher.
(Das Gespräch führte Lukas Wodicka/APA)
(S E R V I C E – Martin Suter: “Wut und Liebe”, Diogenes Verlag, 304 Seiten, 26,80 Euro. Lesung am 11. September im Wiener Konzerthaus (Mozart-Saal) mit Martin Suter, Caroline Peters und Dirk Stermann. www.konzerthaus.at/)
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