Studien sollen Klarheit schaffen

Der Lockdown und die psychischen Folgen: Kein Grund zur Panik, aber…

Donnerstag, 02. Juli 2020 | 10:21 Uhr

Bozen – Die medizinischen Herausforderungen von COVID-19 sind zumindest für den Augenblick relativ unter Kontrolle. Viele Fragen sich aber zurecht, wie es mit den psychischen Folgen dieser Pandemie bestellt ist. Die Antwort auf diese scheinbar so einfache Frage ist in Wirklichkeit aber sehr schwierig.

„Zweifelsohne haben sich in der Zeit des Lockdowns viele Dramen abgespielt: Alte Menschen durften ihre Angehörigen nicht treffen, Kinder und Jugendliche konnten nicht mehr mit ihren Freunden spielen, wurden aus dem Schulalltag gerissen und manche von ihnen waren auch mehr denn je und ohne Schutz der Willkür von oft selbst belasteten Eltern ausgesetzt. Andere mussten und müssen immer noch um ihren Arbeitsplatz bangen und müssen zusehen, wie sie finanzielle Existenzgrundlage verlieren“, erklärt Dr. Roland Keim, der Direktor vom psychologischen Dienst in Brixen und Mitglied der Einsatzleitung PSYHELP Covid. Gleichzeitig seien viele wichtige Gesundheitsdienste und soziale Einrichtungen nur sehr eingeschränkt oder gar nicht mehr verfügbar gewesen. „Das sind schon mal viele Elemente, die eine deutliche Zunahme der psychischen Probleme in allen Gesellschaftsschichten nahelegen.“

Dennoch gibt es da auch ausgleichende Elemente, die wir in der „Postlockdown-Zeit“ nur allzu oft vergessen: der vor allem anfangs spürbare Zusammenhalt der Bevölkerung, die Solidarisierung mit besonders geforderten Berufsgruppen, die Abkehr vom Alltagsstress, sei es sozialer als auch beruflicher Art. „Wir hatten endlich mal wieder Zeit für unsere Familien, Alleinstehende mussten sich nicht andauernd mit sozial erfolgreicheren Menschen vergleichen. Wir alle waren einfach daheim, wir alle waren gleich. Es gab für viele keinen Leistungsdruck mehr, für Schüler keine Schulangst“, betont Keim. Nach dem Lockdown ist freilich alles wieder anders. Nur die Probleme bleiben.

Was nun dieser Lockdown tatsächlich mit unserer Psyche macht, kann nicht gleich beantwortet werden. „Die psychischen Probleme haben ähnlich wie das Virus selbst eine Inkubationszeit. Nur beträgt diese nicht ein paar Tage, sondern Monate. Es laufen gerade sehr viele Studien, um die Tragweite der psychischen Auswirkungen der Covid-19 Krise genauer zu erheben“, betont Keim. Auch die Task-Force Psy-Help beobachtet die Entwicklung sorgfältig. Zu diesem Zwecke laufen auch landesweit einige Erhebungen, um ein genaueres Bild zu bekommen, das sich weniger auf subjektive Vermutungen und Meinungen stützt als vielmehr auf Daten aus unserer Realität. Nur anhand solcher Daten könnten konstruktive Gegenmaßnahmen eingeleitet werden.

In diesem Sinne besteht nach Ansicht der Psy-Help-Task Force aktuell kein Anlass zur Panik, sehr wohl aber zu Wachsamkeit. Die involvierten Fachdienste befürchten eine zunehmende Verunsicherung der Bevölkerung in Bezug auf die psychischen Folgen dieser Krise. Die Psy–Help-Task Force wünscht sich schon aus diesem Grunde eine sachliche Auseinandersetzung mit diesem heiklen Thema. Dabei spielen auch die Medien eine entscheidende Rolle.

„Wenn wir seriös sind, dann müssen wir zum aktuellen Zeitpunkt eingestehen, dass noch nicht einmal die kurzfristigen Folgen abschließend beurteilt werden können, geschweige denn die langfristigen. Dazu können uns nur seriöse Studien Auskunft geben, die es erst vereinzelt gibt. Aus diesen wenigen Studien geht hervor, dass es wohl eine Zunahme der Probleme geben dürfte, aber auf Grund des Lockdowns von einer Coronavirus-Geschädigten-Generation zu reden scheint uns jedenfalls übertrieben, unseriös und zumindest verfrüht. Wir tun gut daran, die Daten zu erheben, zu analysieren und dann sorgfältig und konstruktiv gegenzusteuern“, erklärt Keim abschließend.

Von: mk

Bezirk: Bozen