Abtritt eines Schwergewichts – ein Kommentar

Rückzug des Cavaliere

Donnerstag, 27. Januar 2022 | 06:41 Uhr

Bozen – Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Silvio Berlusconi, dessen ewiger Traum es war, italienischer Staatspräsident zu werden, verzichtete auf eine Kandidatur für das höchste Amt im Staat. „Ich möchte vermeiden, dass mein Name in Kontroversen verwickelt wird, die keine Rechtfertigung haben und die sich die Nation heute nicht leisten kann“, so der Cavaliere, der hinzufügte, dass er diesen Schritt aus Verantwortung gegenüber Italien getan habe.

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In Wirklichkeit dürfte sein Verzicht auf die Präsidentschaftskandidatur viele Gründe haben. Einerseits könnten seine angeschlagene Gesundheit – Berlusconi musste in den vergangenen Monaten mehrmals ins Krankenhaus eingeliefert werden – und die Erkenntnis, dass sein hohes Alter es ihm nicht mehr erlaubt, das Amt ganz auszufüllen, dabei eine Rolle gespielt haben. Andererseits könnte er dem Rat seiner Angehörigen und seiner jungen Lebensgefährtin Marta Fascina gefolgt sein, dass es mit 85 Lenzen endlich Zeit sei, sich ins Privatleben zurückzuziehen.

Instagram/Marta Fascina mf9milan

Vor allem aber spürte er vermutlich, dass sein politischer Rückhalt in der eigenen Koalition immer stärker schwindet. Allen öffentlichen Treueschwüren zum Trotz wurde von vielen römischen Beobachtern erwartet, dass der Cavaliere in der geheimen Abstimmung auch von seinen eigenen Leuten zu wenig Unterstützung erhalten würde.

In seinen besten Jahren war der Medienunternehmer Silvio Berlusconi das Zugpferd seiner Koalition gewesen und hatte das Mitte-Rechts-Lager zweimal mit ihm an der Spitze zur Regierung geführt. Mehr als ein Vierteljahrhundert lang hatten er und seine Forza Italia nicht nur in Rom, sondern teilweise auch in Bozen die Politik geprägt.

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Zuletzt war der 85-Jährige, dessen politische Laufbahn auch von vielen Skandalen geprägt war, aber selbst im eigenen Lager immer stärker zur Belastung geworden. Von seinen politischen Erben wollte allerdings niemand öffentlich als Königsmörder ins Buch der Geschichte eingehen. Der politische Fuchs verstand es wahrscheinlich, dass seinem Einfluss nichts mehr schaden würde, als in einer geheimen Abstimmung um das Präsidentenamt abgeschossen zu werden. Kriege, die man mit hoher Sicherheit nicht gewinnen kann, sollte man nicht führen

Im politischen Italien ist das Aufatmen groß. Allgemein gilt, dass für das höchste Amt im Staat nur Persönlichkeiten infrage kommen, die über alle Parteigrenzen hinweg hohes Ansehen genießen, integer sind und eine weiße Weste besitzen. Der Cavaliere, der wie kein anderer italienischer Politiker Italien emotional in Befürworter und Gegner teilt, besitzt keine dieser Eigenschaften.

Italien steht am Beginn des politischen Abschieds von Silvio Berlusconi. Der Rückzug des Schwergewichts könnte den Weg für eine starke moderat konservative Partei, wie sie auch andere europäische Länder besitzen, freimachen. Das wäre eine positive Entwicklung, die Italien guttun würde.

Von: ka

Bezirk: Bozen