Klauen, Parasiten, Kannibalismus oder Lungenentzündung als Folgen der "industriellen Produktion"

Schweinezucht auf dem Vollspaltenboden bleibt qualvoll

Sonntag, 29. Juni 2025 | 06:15 Uhr

Von: apa

Ein Ende des Vollspaltbodens in Österreich ist weiterhin nicht in Sicht. Die am 1. Juni in Kraft getretene Novellierung des Tierschutzgesetzes brachte eine “leicht veränderte Version”. Die Folgen dieser Haltung auf Beton mit einem Minimum von 0,8 Quadratmetern Platz pro Tier sind aber nur ein Teil dessen, was eine “industrielle Produktion, in der alles automatisiert abläuft” für die intelligenten Säuger in der kurzen Zeit ihres Daseins bedeutet.

Im Gespräch mit der APA erläuterte Martin Balluch vom Verein gegen Tierfabriken (VGT) weitere Begleiterscheinungen der Massentierhaltung wie offene Klauen, Kratzwunden, geschwollene Gelenke oder Parasiten. Am häufigsten leiden die Tiere als Folge ihrer Lebensumstände jedoch an einer Lungenentzündung. Diese Erkrankung wurde zumindest bei knapp über 45 Prozent im Rahmen einer veterinärmedizinischen Untersuchung festgestellt, berichtete Balluch aus den Erkenntnissen von 3. 777 “Schlachtkörperuntersuchungsscheinen”, die in einem südsteirischen Schlachthof erstellt und dem VGT zugespielt wurden. “Im Mittel haben diese Schweine in Vollspaltenbodenhaltung im Mittel rund 1,3 Krankheiten. Das heißt, die sind alle krank in irgendeiner Form” – und auch die Sterblichkeit der Tiere erhöht sich laut den Angaben des Tierschutzvereins gegenüber den auf Stroh gehaltenen Artgenossen um den Faktor drei.

Mit fünf Monaten geht es auf die Schlachtbank

Dabei muss festgehalten werden, dass diese Tiere bereits im Alter von etwa fünf Monaten und damit vor dem Eintritt der Pubertät auf die Schlachtbank kommen. Die normale Lebenserwartung würde laut Balluch ansonsten bei 13 bis 15 Jahren liegen – meist wäre die Todesursache dann ein Herzinfarkt als Folge der durch Zucht erfolgten Überdimensionierung. “Dieses Haltungssystem ist also in der Lage, aus diesen Tieren in kurzer Zeit gesundheitliche Wracks zu machen”, stellt Balluch fest.

Wenn diese Tiere dann am Schlachthof auf die kleine Minderheit ihrer Artgenossen aus Freilandhaltung treffen, dann sei der Unterschied sofort erkennbar. Er habe dies selbst auf einem derartigen Betrieb in Linz erlebt. Die Tiere aus der “konventionellen” Haltung gingen “als hätten sie steife Beine”, zudem zeige sich wegen der bisherigen Lebensbedingungen auch ein gemindertes Selbstbewusstsein. Er hätte zudem wahrgenommen, dass manche Tiere samt ihren Eiterbeulen weiterverarbeitet wurden: “Wer einmal gesehen hat, was in so eine Wurst rein kommt, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass man diese noch gerne isst”, lautet das Resümee des Erlebten.

Tics und Kannibalismus als Begleitumstände der Haltung

Das Leben der rund 2,5 Millionen Schweine, dem ungefähren “Lebendbestand” in Österreich, beginnt bereits unerfreulich, ehe es im Schlachthof endet und sie dann weiterverarbeitet auf dem Mittagstisch oder in einer Semmel landen: Es werden die Zähne gestutzt, die Schwänze oft durch “wegbrennen” kupiert, denn die Einschränkungen der Haltung führt bei den Tieren neben psychischen Folgen wie etwa Tics zu Aggressionen bis hin zu Kannibalismus: “Sie beißen sich die Ohren ab, sie beißen sich die Schwänze ab, sie haben Kratzwunden, weil sie sich gegenseitig verletzen, weil sie bei jedem Schritt einem anderen Schwein auf die Zehen steigen.”

Derart vorbereitet beginnt die Mast bei künstlicher Beleuchtung. “Die Schweine kommen nie ins Freie, haben nie frische Luft, bekommen nie Pflanzen zu essen, sondern fast immer nur ‘diesen’ Brei”, weiß Balluch aus der Praxis. Es ist ein Leben “auf einem völlig verkoteten Boden, denn diese Tiere haben meist auch Durchfall – und der liegt dann auf den Spalten.” Die Idee dahinter sei eigentlich, dass die dicht aneinander gedrängten Tiere den Kot nach unten durchtreten.

Gewächshaus für Tiere mit schlechter Luft

“Natürlich bleibt ein Großteil kleben und so liegen die Tiere eigentlich ständig in ihrem eigenen Kot”, so der VGT-Obmann. Das sorge dann nicht nur für eine entsprechende Parasitenbelastung, denn die Exkremente, die wie vorgesehen in der unter den Schweinen liegenden Güllegrube landen, vermischen sich dort mit dem Urin. Aus diesem Gemisch entsteht das stechend riechende Gas Ammoniak, “das nach oben dampft und eine fürchterlich schlechte Luft schafft.” Eine Luft, deren Inhaltsstoffe nicht nur den Lungen der Tiere zusetzt, sondern laut mehrerer Studien stellt diese haltungsbedingte Luftverschmutzung auch für Landwirte und Personen, die in der Nähe solcher Mastbetriebe leben, eine Belastung dar.

Den Ursprung dieser “Tierhaltung” die fast wie ein Gewächshaus für Tiere wirkt, sieht Balluch zeitlich in den 1960er-Jahren verortet. “Mit der Industrialisierung der Landwirtschaft wurde die Idee des Vollspaltenbodens geboren”, sie sei die Entsprechung des Gitterbodens beim Huhn in der klassischen Legebatterie – auch hier dient der Boden der automatischen Kotentsorgung. Seien die Schweine erst einmal in ihrer Bucht gelandet, bliebe nicht mehr viel, worum man sich zu kümmern hätte: “Dann macht man die Tür zu und schaltet draußen den Schalter für die Nahrung und für die Belüftung um”.

Umstände der Massentierhaltung wenig bekannt

In der Öffentlichkeit seien die Umstände der Massentierhaltung wenig bekannt. Balluch kritisiert in diesem Zusammenhang die Rolle der “gesamten Schweineindustrie inklusive Landwirtschaftskammer und Landwirtschaftsministerium”, welche die Unwahrheit verbreiten würden. “Österreichisches Fleisch ist eigentlich eh gut im Vergleich”, wäre die Botschaft, die beim Konsumenten landen würde.

Andererseits zeigte erst eine Eurobarometer-Umfrage im Vorjahr, dass sich die österreichische wie auch die europäische Bevölkerung in Summe in einem hohen Ausmaß für gute Haltungsbedingungen von Zuchttieren aussprechen. “Es fehlt eigentlich nur die Politik, die auf die Mehrheit hört. Und das macht sie momentan noch nicht”, stellt Balluch fest und sieht in einer Kennzeichnungspflicht zu den Haltungsbedingungen eine andere Möglichkeit, dieser Art der Massentierhaltung zu begegnen.

Kennzeichnungspflicht als möglicher Weg aus der Misere

“Hier müsste die Gastronomie genauso in die Pflicht genommen wie die Verarbeiter”, so Balluch unter dem Hinweis, dass die Käfighaltung von Hühnern in Österreich zwar seit 2020 verboten ist, jedoch Produkte aus Ländern importiert werden, wo dies nicht der Fall ist. Das Verbot in Österreich habe als positiven Nebeneffekt den Selbstversorgungsgrad an Frischeiern von rund 60 auf über 90 Prozent deutlich erhöht. Kennzeichnungsregeln, wie sie für Eier in der EU seit 2004 Pflicht sind, wären dann ein erster Schritt, der im Idealfall doch noch in ein Vollspaltverbot münden könnte. Eine Änderung brauche es, man könne nicht dabei zuschauen, dass die Schweine weiter so leben müssen, “das ist doch für eine moderne Gesellschaft, in der Tierschutz als Staatsziel Verfassungsrang hat, nicht erträglich.”

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