Von: ka
Viareggio – Cinzia Dal Pino, die beschuldigt wird, den 47-jährigen Obdachlosen Said Malkoun absichtlich überfahren und getötet zu haben, ist weniger als 24 Stunden nach der Tat wegen vorsätzlichen Mordes festgenommen worden.
Die 65 Jahre alte Inhaberin eines Strandbads, über die der Hausarrest verhängt wurde, riskiert im Falle einer Verurteilung eine hohe Haftstrafe. Wie der namhafte Rechtsexperte Valerio de Gioia, der dem Berufungsgericht von Rom angehört, darlegt, kann im Fall der 65-Jährigen aus Viareggio keine Notwehr zum Tragen kommen. Auch das Verhalten der Frau nach der Tat dürfte die Richter kaum gnädig stimmen.
Der Bluttat von Viareggio sorgt in der italienischen Öffentlichkeit für heftige Diskussionen. Kurz nachdem er sie mit einem Messer bedroht und ihr ihre Handtasche geraubt hätte, ist die 65-jährige Cinzia Dal Pino in ihren SUV gestiegen und hat den flüchtenden Räuber mit ihrem weißen Mercedes-SUV angefahren und getötet. Obwohl das veröffentlichte Video der Überwachungskamera wenig Spielraum für Interpretationen zulässt, stößt das abscheuliche Verhalten der Lenkerin des schweren Fahrzeugs bei einer Minderheit von Italienern, die von Notwehr sprechen, dennoch für so etwas wie “Verständnis”.
Von dem italienischen Onlinemedium Fanpage.it zu seiner Meinung befragt, legt der namhafte Rechtsexperte Valerio de Gioia, der dem Berufungsgericht von Rom angehört, jedoch mit unmissverständlichen Worten dar, dass im Fall der 65-Jährigen aus Viareggio keine Notwehr zum Tragen kommen kann.
Es sind insbesondere die Aufnahmen der Überwachungskamera, die die Frau, die unter Hausarrest steht, schwer belasten. Im Video ist deutlich zu erkennen, wie Malkoun, der auf dem Bürgersteig zu Fuß geht, von einem weißen SUV der Marke Mercedes angefahren und gegen ein Schaufenster geschleudert wird. Doch damit ist es nicht getan. Die Lenkerin des weißen Mercedes-SUV legt den Rückgang ein, um den am Boden liegenden 47-Jährigen zu überrollen. Obwohl das Opfer vor der zerbrochenen Schaufensterscheibe wehrlos auf dem Boden liegt, überfährt die Frau zwei weitere Male den Mann. Beim vierten Mal, als die Räder noch auf Said Malkouns Körper stehen, öffnet die Frau die Fahrertür. Sie steigt aus, hebt eine Handtasche vom Boden auf und fährt in die Nacht davon.
“In dem Video sieht es so aus, als bestehe ein Vorsatz, also ein Wille zu töten. Wenn sich der gegenüber der Frau erhobene Anfangsverdacht bestätigt, müssten wir von vorsätzlicher Tötung sprechen. Das für eine solche Tat vorgesehene Mindeststrafmaß beträgt 21 Jahre. Nach oben hingegen gibt es keine Grenze. Mord ist sogar das einzige Verbrechen, für das es keine Höchststrafe gibt”, erklärt Valerio de Gioia.
“Die Frau betont, dass sie auf einen Raubüberfall reagiert hat. Einige könnten sich daher fragen, ob ein Fall von Notwehr vorliegt. Diese sieht vor, dass man auf eine Gewalttat gewaltsam reagieren kann. Sie gilt allerdings nur in der Unmittelbarkeit der Straftat. Dem aus den Videoaufnahmen ersichtlichen Tathergang zufolge hat im Fall von Viareggio der Raubüberfall, der eine Reaktion hätte rechtfertigen können, hingegen vor der Tat der Frau stattgefunden. Da die Notwehr eine unmittelbare Reaktion erfordert, der Mann jedoch längst die Handtasche an sich genommen hat, kann man in diesem Fall nur sehr schwerlich von einer Notwehr ausgehen. Zudem muss sie in einem angemessenen Verhältnis zur Gewalttätigkeit des Täters und dem zu schützenden Gut stehen. Man kann nicht einen Menschen überfahren, weil er eine Handtasche gestohlen hat”, bringt es der angesehene Rechtsexperte auf den Punkt.
“Immer unter Berücksichtigung der Unschuldsvermutung könnten die Anwälte der Frau auf die Anerkennung des allgemeinen mildernden Umstands der Provokation (Art. 62 Nr. 2 des italienischen Strafgesetzbuchs, Anm. d. Red.), pochen. Ist in einem Zustand des Zorns gehandelt worden, der durch eine ungerechte Handlung eines anderen verursacht worden war, kann vor Gericht eine Strafminderung von bis zu einem Drittel erreicht werden. Da der mutmaßliche Täter aus Wut gehandelt haben könnte, beinhaltet der Handtaschendiebstahl sicherlich einen solchen Tatbestand. Anders als bei der Notwehr schließt die Rechtsprechung in diesem Fall die Unmittelbarkeit aus. Zudem besteht die Möglichkeit, durch ein verkürztes Verfahren eine weitere Strafminderung zu erreichen”, betont der Richter.
Allerdings dürfte das Verhalten der Frau nach der Tat die Richter kaum gnädig stimmen. “Allem Anschein nach hat sie nichts getan, um die Folgen ihrer Tat zu mildern. Das ist wichtig, denn wenn man nach der Straftat Maßnahmen ergreift, um den Schaden einzudämmen, kann man in den Genuss einer Art Strafminderung für das kommen, was in der Sprache des Rechts ‘Reue oder tatkräftige Reue’ genannt wird”, führt Valerio de Gioia aus.
Anschließend kommt der Richter des Berufungsgerichts auf die laufende Kontroverse in der italienischen Öffentlichkeit zu sprechen. “Leider erleben wir heute die Tendenz zum Missverständnis, das die Leute zum Gedanken verleitet, dass die Notwehr einen sehr weiten Anwendungsbereich hat. Aber der Angriff muss immer vorhanden und im Gange sein. Wenn zum Beispiel auf fliehende Diebe geschossen wird, kann man sich nicht auf Notwehr berufen”, stellt der Richter klar.
“Wir meinen damit nicht, dass im Fall von Viareggio vonseiten des Opfers kein kriminelles Verhalten vorliegt, aber niemand hat das Recht, Selbstjustiz zu üben. Ansonsten würden Strafen verhängt, die selbst unser Staat nicht zulässt. Die Todesstrafe ist absolut nicht erlaubt”, setzt der angesehene Rechtsexperte Valerio de Gioia am Ende des Interviews ein wahres Ausrufezeichen. Cinzia Dal Pino riskiert also eine hohe Haftstrafe.
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