Von: ka
Aosta – Der Berg Becca di Monciair (französisch: Pic de Montchair) in der Paradiso-Gruppe zwischen dem Aostatal und dem Piemont war Schauplatz eines besonders tragischen Bergunfalls mit tödlichem Ausgang.
Der Deutsche Reinhard Janssen war am Sonntag allein auf dem Nordostgrat des 3 .544 Meter hohen Berges in den Grajischen Alpen unterwegs, als er in dem brüchigen Fels plötzlich den Halt verlor und tödlich abstürzte. Da Janssens Telefon stumm blieb, schrieb seine tief besorgte Frau Karin am frühen Montagmorgen an die Schutzhütte Rifugio Federico Chabod eine E-Mail, in der sie um Informationen bat, ob die Hüttenbetreiber Nachricht von ihrem Mann hätten. „Haben Sie meinen Mann gesehen?“, so Karin in ihrer auf Englisch verfassten Mail.
Als der Hubschrauber der Bergrettung Aostatal am Montagnachmittag unter dem Nordostgrat die Leiche des 55-jährigen Deutschen entdeckte, erlosch jedoch Karins letzte Hoffnung, ihren Mann lebend wiederzusehen.
Reinhard Janssen war ein passionierter und erfahrener Bergsteiger, der bereits viele schwierige Touren in den Alpen bewältigt hatte – zusammen mit Bergführern, aber auch allein. Seine Frau Karin, mit der er in der Nähe von Berlin lebte, wusste, dass er in den Bergen des Aostatals unterwegs war. Als sie am Sonntag jedoch keine Nachricht mehr von ihm erhielt, geriet sie in Sorge. Da Reinhard Janssen auf ihre Anrufe nicht antwortete, schrieb Karin am frühen Montagmorgen gegen 6.30 Uhr eine E-Mail an die Schutzhütte Rifugio Federico Chabod in Valsavarenche, in der sie fragte, ob die Hüttenbetreiber Nachricht von ihrem Mann hätten. „Haben Sie meinen Mann gesehen?“, so Karin in ihrer auf Englisch verfassten Mail.
„In ihrer E-Mail schrieb mir die Frau, dass ihr Mann immer noch nicht zurückgekehrt sei und sie nichts von ihm gehört habe. Sie bat mich um Informationen und fügte hinzu, dass sie eine Vermisstenanzeige bei der Polizei erstattet habe. Das letzte Mal, dass sie von Herrn Reinhard Janssen gehört hatte, war am Abend des 19. Juni, als er und sein Bergführer die Vittorio-Emanuele-II.-Hütte erreicht hatten. So erfuhren wir, dass der Bergsteiger die Nacht auf der Hütte verbracht hatte und am nächsten Morgen gen Monciair aufgebrochen war“, erklärt Tiziana Berthod, die Hüttenwirtin, die der Berlinerin geantwortet hat.
Dank der von Tiziana Berthod und der Polizei eingeleiteten Ermittlungen gelang es, die letzten Tage des 55-jährigen Deutschen nachzuzeichnen. Nach seiner Anreise mit dem Flugzeug aus Deutschland fuhr Janssen mit einem Mietwagen nach Valsavarenche, um zur Schutzhütte Rifugio Federico Chabod aufzusteigen. Dort wurde er von seinem Bergführer Marco Giudici aus der Lombardei erreicht. Giudici ist ein Mitarbeiter des Bergführerunternehmens Peakshunter. Gemeinsam wollten sie am frühen nächsten Morgen die bergsteigerisch sehr anspruchsvolle Nordwand des Gran Paradiso besteigen.
Die Nordwand des Gran Paradiso ist sicherlich keine Route, die man als Anfänger in Angriff nehmen sollte. Es handelt sich um einen Aufstieg, der vollständig auf dem Gletscher verläuft und beträchtliche Steigungen aufweist, die nahezu senkrecht sind. Um sie zu bewältigen, muss man über eine gefestigte Technik im Umgang mit Steigeisen und Eispickeln verfügen.
Nach dem Durchstieg der vereisten und vergletscherten Nordwand des Viertausenders erreichten Janssen und Giudici über den Grat den Gipfel des mit 4.061 Metern höchsten Berges der Grajischen Alpen. Dann stiegen sie auf der gegenüberliegenden Seite den Gletscher zur großen Vittorio-Emanuele-II-Hütte ab, wo sie zu Mittag aßen.
Offensichtlich ist diese schwierige Tour sehr gut verlaufen. „Giudici hat mir erzählt, dass Janssen, der seit einigen Jahren unser Kunde ist, bei der Besteigung der Paradiso-Nordwand sehr gut unterwegs war, sodass auch Marco Spaß hatte. Der deutsche Alpinist war gut vorbereitet und hatte keine Schwierigkeiten. Tatsächlich weist er einen bemerkenswerten bergsteigerischen Lebenslauf auf. Er war sicher kein Anfänger“, so Elis Martis, Gründer und Chef des Bergführerunternehmens Peakshunter.
Am Nachmittag kehrte der Bergführer zurück, während der deutsche Bergsteiger die Nacht auf der Vittorio-Emanuele-II-Hütte verbrachte.
Da Janssen noch ein paar Tage Urlaub hatte, beschloss er, eine Solo-Besteigung zu unternehmen. Von der Schutzhütte aus machte er sich auf den Weg, um den Monciair zu erreichen. Die pyramidenförmige Spitze liegt auf der Linie des Südwestgrats des Gran Paradiso zwischen der Tresenta und dem Ciarforon. Der deutsche Bergsteiger folgte der Normalroute auf dem Geröllkamm. Um dorthin zu gelangen, musste er Gletscher und Moränen, Grate und Kämme überqueren, bis er schließlich die dem Sonnenuntergang zugewandte Geröllhalde erreichte.
Es ist schwierig, den tödlichen Bergunfall zu rekonstruieren, aber es gilt als wahrscheinlich, dass Janssen in einem Gelände, das zwar keine technischen Schwierigkeiten aufweist, aufgrund der Brüchigkeit des Gesteins aber sehr tückisch ist, entweder den Halt verlor oder von Steinschlag überrascht wurde. Nach einer mehrere Stunden dauernden Suchaktion wurde seine Leiche am Montagnachmittag vom Hubschrauber der Bergrettung Aostatal unter dem Nordostgrat des Monciair entdeckt.
Dadurch erlosch Karins letzte Hoffnung, ihren Mann lebend wiederzusehen.
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