Krankenhäuser vor dem Kollaps – VIDEO

Traurige Corona-Rekordzahlen: „Venetien ist die neue Lombardei“

Donnerstag, 17. Dezember 2020 | 08:18 Uhr

Venedig – In Südtirols Nachbarregion Venetien läuft die zweite Corona-Welle aus dem Ruder.

Venetien, das im Frühjahr von Covid-19 nur gestreift worden war, galt selbst noch zu Beginn der zweiten Welle als kaum betroffene Region. Aufgrund des geringen Infektionsgeschehens wurde Venetien sogar als „gelbe Zone“ mit nur sehr geringen Corona-Einschränkungen ausgewiesen.

Dies erwies sich jedoch als Fehler. In den vergangenen Tagen stieg die Anzahl der Corona-Opfer, der Neuansteckungen und jene der stationären Aufnahmen rapide an. Der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia, der in der Vergangenheit das modellhafte Konzept der Corona-Bekämpfung Venetiens herausgestrichen hatte, rief die Regierung dazu auf, Venetien in eine „rote Zone“ umzuwandeln.

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Die als „gelbe Zone“ gekennzeichnete Nachbarregion Venetien, über die im November kein harter Lockdown verhängt wurde, macht von außen betrachtet nicht den Eindruck einer hart unter der Coronaepidemie leidenden Region. Restaurants und Bars sind überfüllt und in den Einkaufszentren und Shoppingstraßen in den Stadtzentren gehen die Venezianer der weihnachtlichen Geschenkejagd nach. Dennoch ist die Region von SARS-CoV-2 stark betroffen. Mit 165 Corona-Toten an einem einzigen Tag – dies entsprach am selben Tag einem Fünftel aller italienischen Todesopfer – und 3.324 Neuansteckungen erreichte Venetien Anfang der Woche einen traurigen Rekord. „Venetien ist die neue Lombardei“, so das traurige Fazit eines Venezianers.

Zugleich wird der Druck auf die Krankenhäuser immer größer. Die Erkrankten stürmen die Notaufnahmen aller Krankenhäuser der Region. Um Plätze für die Covid-19-Patienten freizubekommen, versuchen von Verona über Vicenza bis nach Padua die Verantwortlichen der Gesundheitsbetriebe den normalen Krankenhausbetrieb auf ein absolutes Minimum hinunterzudrücken.

APA/APA (dpa)/Jens Büttner

Die Ärztin und Leiterin der Abteilung für Präventionsmedizin der Region, Francesca Russo, listete gegenüber den Medien dramatische Zahlen auf.

„Wird die Sterblichkeit der letzten drei Jahre betrachtet, erkennt man, dass sie zwischen Ende März und Anfang April durchschnittlich um 38 Prozent höher lag. Während des Sommers fiel sie wieder auf relativ normale Werte. In der ersten Novemberhälfte stieg die Sterblichkeit verglichen mit den Durchschnittswerten der vergangenen drei Jahre erneut um 32 Prozent an. In der zweiten Hälfte des Novembers wurde bei der Sterblichkeit sogar ein Anstieg von 44 Prozent verzeichnet. Die am stärksten infizierte Altersgruppe ist jene, die zwischen 25 und 64 Lebensjahren liegt. Das Durchschnittsalter der stationär aufgenommenen Covid-19-Patienten beträgt hingegen 75 Jahre. Ab diesem Alter steigt auch die Sterblichkeitsrate stark an“, so die unmissverständlichen Worte von Francesca Russo.

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„Insgesamt betrachtet kann man zusammenfassen, dass der aktiv im Arbeitsleben stehende Teil der Bevölkerung sich am häufigsten ansteckt. Diese relativ jungen Leute reichen dann das Virus an die älteren Menschen weiter. Letztere sind dann am Ende diejenigen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen und dort manchmal auch sterben“, so das traurige Fazit der Ärztin und Leiterin der Abteilung für Präventionsmedizin der Region Venetien.

Jenseits der nackten Zahlen ist die stark erhöhte Sterblichkeit auch an der Häufung der ausgehängten und in den Medien veröffentlichten Todesanzeigen zu erkennen. Wie im Frühjahr in Bergamo sind verschiedene Lokalzeitungen dazu übergegangen, den Todesanzeigen mehrere Seiten zu widmen.

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Infolge der stark gestiegenen Corona-Zahlen wird der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia, immer nervöser. Einerseits verurteilt der wortgewaltige Präsident seine Landsleute für die Menschenansammlungen in den Straßen und Geschäften sowie für deren laschen Umgang mit den Corona-Hygiene und Sicherheitsmaßnahmen. Andererseits möchte er aber trotz vorhandener Kompetenz per Verordnung erlassene Schließungen von Lokalen und Einkaufsmeilen vermeiden.

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Luca Zaia gibt vor, Venetiens Wirtschaft schützen zu wollen, und zieht es vor, an die Vernunft der Venezianer zu appellieren. Kritiker seiner Corona-Politik hingegen meinen, dass der sonst so auf die Autonomie Venetiens pochende Luca Zaia lieber darauf wartet, dass Rom für ihn die Kastanien aus dem Feuer holt und selbst  die unpopuläre Entscheidung trifft, Venetien von einer gelben in eine rote Zone zu verwandeln.

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Zugleich ist das misslungene Experiment der „gelben Zonen“, in denen relativ geringe Corona-Einschränkungen gelten, einer der Gründe dafür, dass die römische Regierung ernsthaft darüber nachdenkt, für die Festtage kaum Lockerungen zuzulassen. Vielmehr überlegen die Minister und die Experten, die sie beraten, für Italien einen Lockdown nach deutschem Modell zu verhängen.

Salopp formuliert könnte der „Coronafall Venetien“ Auslöser für weihnachtliche Einschränkungen in ganz Italien sein.

 

Von: ka