Von: ka
Riese Pio X – Nach der schrecklichen Bluttat, der Vanessa Ballan zum Opfer fiel, steht Venetien unter Schock. Unter die große Trauer um die junge Mutter mischt sich aber auch Wut. Viele fragen sich, warum Vanessas Anzeige gegen ihren späteren Mörder Bujar Fandaj als „nicht dringend“ klassifiziert wurde und warum gegen den 41-jährigen, ursprünglich aus dem Kosovo stammenden Gewalttäter abgesehen von einer Hausdurchsuchung keine weiteren Maßnahmen ergriffen wurden. Dem Eingeständnis des zuständigen Staatsanwalts Marco Martani zufolge sei „die Dringlichkeit des Falles unterschätzt“ worden. Marco Martani fügt aber auch hinzu, dass auch ein Annäherungsverbot den Mord an der jungen Frau nicht verhindert hätte.
Im Fall von Vanessa Ballan sei keine Vorschrift der Strafprozessordnung verletzt worden, erklärt die Staatsanwältin Barbara Sabattini in dem Bericht, der nun dem Staatsanwalt von Treviso, Marco Martani, vorliegt. Der Staatsanwalt selbst stellt jedoch fest, dass bei der Behandlung des Falles der 26-jährigen Frau, die am Dienstag, dem 19. Dezember, kurz vor Mittag in ihrem Haus in Riese Pio X mit acht Messerstichen ermordet wurde, „die Dringlichkeit des Falles unterschätzt“ worden sei. Auf der anderen Seite kann die Staatsanwältin Sabbatini jedoch eine Vielzahl von Gründen vorweisen, die sie dazu veranlassten, gegen den 41-jährigen Kosovaren nach der Hausdurchsuchung vorerst keine weiteren Maßnahmen zu ergreifen.
Martani scheint mit dem Vorgehen der Staatsanwaltschaft allerdings nicht ganz einverstanden zu sein. Laut seinem Dafürhalten seien ausreichend Gründe vorhanden gewesen, um zumindest ein Annäherungsverbot zu verhängen. Der Staatsanwalt von Treviso, der im Mordfall ermittelt, räumt aber auch ein, dass selbst ein von einer elektronischen Fußfessel kontrolliertes Verbot, sich der jungen Frau zu nähern, Bujar Fandaj kaum davon abgehalten hätte, Vanessa Ballan zu ermorden.
Einzig und allein seine Verhaftung und Überführung in ein Gefängnis hätten diese schreckliche Bluttat verhindern können, aber zum Zeitpunkt der Anzeige seien keine ausreichenden Gründe vorgelegen, die diese einschneidende Maßnahme hätten rechtfertigen können.
Einer der Gründe, die Staatsanwältin Barbara Sabattini nennen kann, ist die Tatsache, dass Bujar Fandaj vor Vanessas Anzeige unbescholten war. Am 26. Oktober zeigte Vanessa Ballan zusammen mit ihrem Lebensgefährten den Kosovaren wegen Stalking, Rache-Pornografie, sexueller Nötigung, Hausfriedensbruch und rechtswidrigem Eingriff in ihr Privatleben bei den Carabinieri an.
Wie die Staatsanwältin erklärt, wurde nach der Anzeige umgehend ein „Codice Rosso“-Verfahren eingeleitet. Am Tag nach der Anzeige, am 27. Oktober, wurde die Wohnung von Bujar Fandaj in Altivole von den Carabinieri durchsucht, wobei neben vier Smartphones weitere elektronische Geräte wie Computer und Smartphones beschlagnahmt wurden. Im Speicher eines der Smartphones wurden in der Tat mehrere Videos, mit denen Bujar Fandaj die junge Frau erpresst hatte, sichergestellt.
#VanessaBallan Il femminicidio di #Vanessa. Emergono nuovi dettagli dall'autopsia. E spunta anche un filmato che inquadra il 41enne Bujar Fandaj, accusato del delitto e ora in carcere, entrare furtivamente in casa della vittima
Giuseppe Lisi #GR1 pic.twitter.com/FNKVa6CUyl— Rai Radio1 (@Radio1Rai) December 23, 2023
Das Problem war, dass Vanessa aus Angst, dass ihr Mann ihre Affäre entdecken könnte, alle Nachrichten, die der 41-Jährige ihr geschickt hatte, gelöscht hatte. Da der mit dem Stalkingfall betrauten Staatsanwältin vorerst kein Ergebnis der Auswertung ihres Smartphones und keine Ausdrucke und Abschriften aller geschickten Nachrichten vorlagen, wurden gegen Bujar Fandaj nach der Hausdurchsuchung vorläufig keine weiteren Maßnahmen ergriffen. Zudem hörte Bujar Fandaj nach der Durchsuchung angeblich auf, Vanessa Ballan zu belästigen, was den Eindruck erweckte, dass die Anzeige den gewünschten Effekt erzielte.
Leider trog dieser Schein. Den Ermittlern zufolge sei im 41-Jährigen in den Tagen und Wochen nach der Anzeige der Entschluss gereift, seine Drohung wahrzumachen und Vanessa zu ermorden. Laut den letzten Ermittlungserkenntnissen erneuerte er nicht nur seinen Pass, sondern beschaffte sich am Tag vor der Bluttat auch eine neue SIM-Karte. Um nicht aufzufallen und um zu verhindern, dass Kameras an der Ortseinfahrt von Riese Pio X das Kennzeichen seines Autos lesen könnten, fuhr er am Dienstag, dem 19. Dezember, gegen 12.00 Uhr mit dem Fahrrad zum Haus des Opfers.
Bei sich hatte er eine große Tasche, die neben Einbruchswerkzeug auch zwei Messer enthielt. Da er wusste, dass sich am Hauseingang eine Sicherheitskamera befand, überstieg er den nahen Zaun, was aber von der Kamera des Nachbarn gefilmt wurde. Er brach ins Haus ein und griff im Flur die junge Frau an. Wie die Autopsie später bestätigen sollte, wurde Vanessa Ballan zuerst verprügelt und dann mit acht Messerstichen in die Brust ermordet.
Bujar Fandaj sitzt seit seiner Festnahme in Untersuchungshaft. Trotz der vielen Fragen der Ermittler schweigt der 41-jährige Kosovare beharrlich zu allen Vorwürfen. Vanessa Ballan wird am kommenden Freitag, den 29. Dezember, in ihrem Geburtsort Castelfranco zu Grabe getragen werden.
In der italienischen Öffentlichkeit werden Meinungen laut, ob es nicht etwa an der Zeit sei, alle Gesetze, die den „Codice Rosso“ betreffen, weiter zu verschärfen. Angesichts der Tatsache, dass manche Femizide offenbar nur durch eine sofortige Inhaftierung zu verhindern seien, mehren sich die Stimmen, die fordern, dass bereits eine Anzeige genügen müsse, um Stalker und Erpresser hinter Gitter zu bringen.