Durnwalder und Erhard wollen in Berufung gehen

Wildtier-Urteil: Jagdverband will Spendenkonto einrichten

Dienstag, 19. Juni 2018 | 10:00 Uhr
Update

Bozen/Rom – Die Nachricht schlug in Bozen wie eine Bombe ein. Laut Medienberichten wurden der ehemalige Landeshauptmann und Heinrich Erhard, ehemaliger Direktor des Amts für Jagd und Fischerei, wegen der Abschusserlaubnis für mehrere Wildtierarten zu einer Zahlung von mehr als einer Million Euro verurteilt.

Die Zentralsektion des Rechnungshofes gab einem Rekurs der Staatsanwaltschaft am Bozner Rechnungshof, welche gegen ein Urteil, in dem Durnwalder und Erhard nur zu einer geringfügigen Zahlung verurteilt worden waren, Rekurs eingelegt hatte, Recht. Die römischen Richter kamen zur Ansicht, dass dem Land Südtirol ein enormer Schaden entstanden war und verurteilten Durnwalder und Erhard zu einer Zahlung von jeweils 568.125 Euro.

Durnwalder und Erhard wurden verurteilt, weil sie in ihrer Amtszeit Dutzende von Dekreten ausgestellt hatten, die es den Südtiroler Jägern erlaubt hatten, Tausende von Wildtieren, die laut europäischen und italienischen Gesetzen geschützt sind, abzuschießen. Diese Dekrete waren von der Tierschutzvereinigung LAV regelmäßig vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochten worden, wo die Dekrete aufgrund mangelhafter Begründung suspendiert worden waren.

Die Richter sahen es als erwiesen an, dass aufgrund diesem mehrmals wiederholten illegitimen Verhaltens dem Land Südtirol ein finanzieller Schaden entstanden war, den die Richter auf mehr als eine Million Euro bezifferten. Daher wurden Durnwalder und Erhard am Montag in Rom zu einer Zahlung von jeweils 568.125 Euro verurteilt.

Südtirol News/lu

Dieses Urteil stellt ein Grundsatzurteil an und ist in Italien ein Novum. Das erste Mal erkannte ein Gericht an, dass einer öffentlichen Verwaltung durch das wiederholte Verabschieden von Dekreten, welche trotz der Aufhebungen der Verwaltungsjustiz den Abschuss von geschützten Wildtierarten wie Murmeltieren und Steinböcken erlaubt hatte, ein finanzieller Schaden entstanden war.

Tierschützer sprechen von “historischem Urteil”

Tierschützer sind über die Entwicklungen erfreut und sprechen von einem historischen Urteil. Sie sind überzeugt, dass dieses Urteil eine Warnung ist an die derzeitigen Verwalter von Bozen und Trient, damit keine Gesetze erlassen werden, die den Abschuss von Wölfen und Bären in Südtirol zulassen. Auch die Liga gegen Tierversuche ist erfreut über dieses Urteil. Die Tierschützer sagen, es sei zugleich eine Warnung an alle Verwalter in Bozen und Trient, was ein mögliches Abschussdekret für Wolf und Bär betrifft.

Durnwalder und Erhard werden Berufung gegen das Urteil einlegen

Der Alt-LH und der ehemalige Direktor im Amt für Jagd und Fischerei, Erhard, werden gegen das Urteil in Berufung gehen. Sie sind enttäuscht. Für sie ist das Urteil des Rechnungshofes überraschend gekommen. „Anscheinend haben mich einige Leute beim Rechnungshof besonders fest ins Herz geschlossen“, lautet Durnwalders erste Reaktion auf das Urteil. Er erwarte sich nun, dass auch das Land tätig wird und vor den Verfassungsgerichtshof zieht. „Denn wenn schon, dann müsste dieses Geld ans Land und nicht an den Staat gehen, denn schließlich ist ja das Land für das Wild zuständig“, so Durnwalder.

Ähnlich auf das Urteil reagiert auch Heinrich Erhard. „Für mich ist dieses Urteil der beste Beweis dafür, dass die Landesgesetze das Papier nicht wert sind, auf dem sie geschrieben stehen“, sagt er enttäuscht.

Die Verteidigung will nun zum einen Kassationsbeschwerde einlegen, um die Rechtszuständigkeit abklären zu lassen, erklärt Durnwalder-Anwalt Gerhard Brandstätter. Aber auch vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte werde man ziehen. „Schließlich waren diese Abschuss-Dekrete ja nicht Akte der Willkür, sondern von Expertisen klar untermauert und teilweise die Umsetzung von EU-Richtlinien“, so Brandstätter. Für ihn ist dieses Urteil „autonomiepolitisch bedenklich und rechtlich nicht nachvollziehbar“.

Bauernbund: “Total überzogenes Urteil”

Weil sie zwischen 2010 und 2014 Murmeltier, Dachs und Co. per Dekret zum Abschuss freigegeben hatten, müssen Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder und Ex-Amtsdirektor Heinrich Erhard zusammen 1,14 Mio. Euro Schadensersatz zahlen. Für den Südtiroler Bauernbund ist das Urteil total überzogen, unverständlich und absolut weltfremd. Mit den Abschussdekreten sei nicht ein Schaden entstanden, sondern Schäden verhindert worden. Der SBB spricht Durnwalder und Erhard seine volle Solidarität aus.

Zu je 568.125 Euro Schadensersatz wurden Luis Durnwalder und Heinrich Erhard von der Zentralsektion des Rechnungshofes in Rom verurteilt, weil sie Abschussdekrete ausgestellt hatten und dem Staat durch den Abschuss von verschiedenen Tierarten ein Schaden entstanden sei, so das merkwürdige Urteil des Rechnungshofes. „Durch den Abschuss ist kein Schaden entstanden, sondern es wurden Schäden verhindert. Immer wieder gibt es in der Berg- und Almwirtschaft Probleme, besonders mit den Murmeltieren. Wenn sie sich unkontrolliert vermehren und ausbreiten, ist an eine Bewirtschaftung der Bergwiesen nicht mehr zu denken“, erklärt Bauernbund-Obmann Leo Tiefenthaler. Zudem seien Murmeltiere eine Gefahr für die gealpten Tiere. „Murmeltiere graben Löcher und Gänge. Wenn Kühe und Kälber drauftreten, können sie einbrechen und sich ernsthaft an den Beinen verletzen. Gleiches gilt auch für die Bewirtschafter. Hinzu kommt noch, dass Murmeltiere gerne Almhütten untergraben und so die Statik gefährden. Durch den Abschuss von verhältnismäßig wenigen Tieren wurden Schäden in der Berglandwirtschaft verhindert“, stellt Tiefenthaler klar.
Das Urteil des Rechnungshofes zeige, dass man in Rom die Südtiroler Realität nicht kenne. Zudem bestätige das Urteil ein allgemeines Problem. „In Italien werden Tiere entweder überhaupt nicht geschützt oder der Schutz ist so hoch, dass Entnahmen kaum möglich sind, auch wenn die Population überhandnimmt. Ein Mittelmaß scheint es nicht zu geben. Das sieht man aktuell auch bei der Wolfsdiskussion“, so Tiefenthaler. Und noch etwas zeige das Urteil: „Anstatt die Population bzw. die Art als Ganzes zu sehen, wird jedes Einzeltier für unantastbar erklärt. Das hat nichts mehr mit Artenschutz zu tun, sondern ist tiefste Ideologie“, sagt SBB-Direktor Siegfried Rinner. Zu hinterfragen sei auch die Rolle der Tierschützer und ob sie den Tierschutz manchmal nicht falsch verstehen.

Der SBB ist überzeugt, dass das Urteil in der nächsten Instanz vom Tisch gefegt wird und sowohl Alt-LH Durnwalder als auch Ex-Amtsdirektor Erhard freigesprochen werden.

Jagdverband völlig überrascht: Spendenkonto denkbar

Völlig überrascht vom Urteil des römischen Rechnungshofes möchte der Südtiroler Jagdverband dem früheren Landeshauptmann Luis Durnwalder und dem ehemaligen Amtsdirektor Heinrich Erhard seine Solidarität bekunden. “Wir sind sicher, dass in weiteren Instanzen das Urteil nicht halten kann und wird.”

“Der Abschuss von Murmeltieren und anderen Arten, die Schäden verursachen, hat den Beständen keinen Schaden zugefügt. Die Murmeltiere sind in Südtirol so zahlreich wie in keiner anderen italienischen Provinz. Das hängt mit der Almwirtschaft zusammen, denn die Murmeltiere lieben das alpine Grasland, das es in unserem Land – vom Menschen geschaffen und gepflegt – gibt wie in kaum einer anderen Alpenregion. Die Entnahmen wurden auf der Grundlage der geltenden Bestimmungen genehmigt, wobei auch direkt Bezug auf die einschlägigen EU-Richtlinien genommen wurde. Die EU sieht ausdrücklich die Möglichkeit des Abschusses in Problemfällen vor. Geschützt werden von den EU-Bestimmungen nämlich nicht einzelne Exemplare, die Schaden anrichten, sondern die Populationen als solche. Dass an den Wildtierpopulationen selbst kein Schaden entstanden ist, belegen die Zahlen: Trotz der durchgeführten Entnahmen ist die Anzahl an Murmeltieren, Steinböcken und Kormoranen weiterhin angewachsen”, so der Jagdverband.

“Mit den verfügten Murmeltierabschüssen, die nur in tiefer gelegenen Bergzonen, also im Almbereich, möglich gemacht worden waren, sollte Konflikten mit der Berglandwirtschaft vorgebeugt werden. Denn die Nager hatten sich sukzessive in tiefere Lagen ausgebreitet und waren auch schon an Gehöften zu sehen gewesen. Die Zählungen der Murmeltiere wurden und werden gewissenhaft und genau durchgeführt und bestätigen eine immer noch im Gang befindliche Zunahme der Art. Die Murmeltiere, die schon zu Zeiten der Antike von den Römern als „Bergmäuse“ bezeichnet wurden, als „Murmontis“, wofür der Dialektname „Murment“ heute noch zeugt, verfügen, wie alle Nagetiere, über ein großes Vermehrungspotential. Mit den lokal beschränkten Abschüssen sollte vor allem der Ausbreitungstendenz in bewirtschaftete Almen Einhalt geboten werden. Südtirol hat zudem mit Einfang- und Aussetzungsaktionen in andere Gebiete und Provinzen dazu beigetragen, dass Murmeltiere neue Kolonien in geeigneten Gebieten gründen konnten. Der Umgang mit dem Alpenmurmeltier in unserem Land ist alles andere als Schaden stiftend gewesen. Dies wird sich in weiterer Folge sicher bestätigen. Sollte das Urteil aber vollstreckbar werden, so erwägt Landesjägermeister Berthold Marx die Einrichtung eines Spendenkontos”, heißt es abschließend.

SVP: Völliges Unverständnis für Verurteilung von Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder

Der Obmann der Südtiroler Volkspartei Philipp Achammer reagiert mit Unverständnis auf die Verurteilung von Alt-Landeshauptmann Luis Durnwalder und Amtsdirektor a.D. Heinrich Erhard zu je fast 600.000 Euro für Abschussverfügung von Murmeltieren.

„Das Urteil der Zentralsektion des Rechnungshofes in Rom ist nicht nachvollziehbar,“ so Obmann Achammer, „da die Dekrete im Wesentlichen eine Umsetzung von EU-Richtlinien darstellten“. Würden Urteile wie diese Schule machen, wäre dies eine weitere gravierende Einschränkung des politischen Handlungsspielraums und ein Schritt zur Lähmung der Verwaltung, so der Obmann. Die Südtiroler Volkspartei zeige sich deshalb solidarisch mit Luis Durnwalder und Heinrich Erhard.

Auch Landeshauptmann Arno Kompatscher nahm heute zum Urteil Stellung. „Diese Verurteilung macht deutlich, dass Südtirol dringend die primäre Zuständigkeit für den Bereich Natur- und Umweltschutz braucht“. Laut Kompatscher sei dies in Anbetracht der Höhe der Strafe auch als Angriff auf unsere Autonomie zu werten.

 

Von: ka

Bezirk: Bozen