Von: luk
Bozen – Den Entwurf für den Landeshaushalt 2020 hatte die Landesregierung Ende Oktober genehmigt. Heute stellte ihn Landeshauptmann Arno Kompatscher im Südtiroler Landtag vor. Mit rund 6,2 Milliarden Euro sei der nächstjährige Starthaushalt der höchste in der Geschichte dieses Landes, erklärte der Landeshauptmann. Dies sei dem bilateral abgesicherten Finanzabkommen zu danken, das Planungssicherheit und Gestaltungsspielraum gleichermaßen biete. Letzteren habe man genutzt, um Investitionen vor allem im öffentlichen Bauwesen vorzuziehen, den Mittelstand steuerlich zu entlasten und damit „ein Signal für eine weitere Verbesserung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und der Solidarität zu setzen”. Gleichzeitig würden Unternehmen, die ihre Mitarbeitenden untertariflich bezahlen, von Südtiroler Vorteilen ausgeschlossen.
Ernst zu nehmende Herausforderung
“Wir haben also den größten und sichersten Starthaushalt aller Zeiten”, betonte Landeshauptmann Kompatscher, der in seiner Rede aber auch den Blick in die Zukunft richtete und zu bedenken gab, dass es wenig Mittel für einen Nachtragshaushalt geben werde und dem Land Südtirol in den nächsten drei Jahren insgesamt weniger Finanzmittel zur Verfügung stehen würden: “Mit Ausnahme der Bereiche, in denen gleich viele oder mehr Mittel vorgesehen sind, werden im Schnitt Einsparungen von sieben bis acht Prozent je Ressort nötig.” Kompatscher bezeichnete dies als “ernst zu nehmende Herausforderung”, die Mut und Anstrengung abverlange und der gesamten Handlungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung bedürfe. In diesem Zusammenhang verwies der Landeshauptmann auch auf den grundlegenden Umbau, der in der Landesverwaltung bevorstehe. “Bis 2030 wird nahezu die Hälfte der derzeit Beschäftigten in den Ruhestand getreten sein”, prognostizierte Kompatscher. Mit Hilfe organisatorischer Veränderungen solle eine moderne und digitale Verwaltung entwickelt werden. In den nächsten Jahren sollen 200 Verwaltungsverfahren digitalisiert sein.
Mit Gesundheit verantwortungsvoll umgehen
Das Gesundheitswesen stellt mit rund 1,34 Milliarden Euro das umfassendste Haushaltskapitel dar. Das seien rund 100 Millionen Euro mehr, als noch vor zehn Jahren. Demografischer Wandel, medizinisch-technische Fortschritte und steigende Erwartungen an die Gesundheitsversorgung, mehr chronisch Kranke bei gleichzeitigem Fachkräftemangel stellten die öffentliche Hand vor immer größere Herausforderungen. Maßnahmen zum Wartezeitenabbau, die Aufwertung der medizinischen Grundversorgung, die Einrichtung neuer Anlaufstellen zur Entlastung der Notaufnahme, eine zügige Besetzung der Primariate, die Facharztausbildung nach österreichischem Modell zählte der Landeshauptmann als Maßnahmen auf. Es sei unerlässlich, für Fachpersonal attraktiver zu werden, um auch künftig “die Sicherheit einer guten und zeitgemäßen medizinischen Versorgung in allen Landesteilen zu garantieren”. Der Landeshauptmann rief dazu auf, mit der eigenen Gesundheit verantwortungsvoll umzugehen.
Familie und Beruf möglichst vereinbar machen
Mit 700 Millionen Euro sollen elf Prozent des Landeshaushaltes 2020 in den Bereich Familie, Soziales und Wohnen fließen. Obwohl Mittel, Angebote und Leistungen angewachsen seien – so die Anzahl der Kindertagesstätten von 37 von vor zehn Jahren auf 90 – bleibe “die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein zentrales Anliegen der Landesregierung”, sagte der Landeshauptmann. Eine Reform kündigte Kompatscher für den Wohnbau an, um das Dickicht an Vorschriften zu lichten und einen schlanken und klaren Rahmen zu schaffen. Die Beziehungen zwischen Verwaltung und Bürgern müssten von “loyaler Zusammenarbeit, Redlichkeit und gutem Glauben geprägt sein”. Diskutiert werde über neue Wege der Wiedergewinnung, der Realisierung von Wohnraum in alter Bausubstanz, über die Ankurbelung des Mietmarktes und einen Garantiefonds zur Absicherung des Mietrisikos, über die Besteuerung von Leerstand, über Airbnb und anderes. Die umfangreiche Neuordnung soll in zwei Jahren vollzogen sein.
Für Verteilungsgerechtigkeit einstehen
Übergeordnetes Thema der Haushaltsrede war die Nachhaltigkeit. Für Landeshauptmann Kompatscher ist sie “die soziale Frage des 21. Jahrhunderts” mit Wechselwirkung auf alle Lebensbereiche. “Bedeutsame Veränderungen prägen die Gegenwart und wirken wie eine Hypothek auf die Zukunft”, sagte der Landeshauptmann zu Beginn seiner Rede, “Begriffe wie Klimakrise, Globalisierung, Migration, Digitalisierung, demografischer Wandel oder Biodiversitätsverlust sind nur Schlaglichter auf die überbordend komplexen Herausforderungen unserer Zeit.” Geändert hätten sich auch gesellschaftliches Klima und politischer Diskurs. Mehr denn je gefragt seien “Verteilungsgerechtigkeit, das rechte Maß und Regionalbezug, um das lokale Handeln bei globalem Denken”. Mutige Entscheidungen seien gefragt. Solche seien nur in einem Klima gegenseitigen Vertrauens möglich.
Nachhaltiges Klimaland gestalten
“Südtirol soll zu einem nachhaltigen Klimaland werden”, forderte Kompatscher, “in dem nicht nur an 300 Tagen die Sonne scheint, sondern auch das zwischenmenschliche Klima im Mittelpunkt der politischen Aufmerksamkeit steht.” Bereits im Jahr 2011 hat die Landesregierung einen Klimaplan erlassen, mit dem das “Pariser Abkommen” zum Klimaschutz von 2015 in Teilen vorweggenommen wurde. “Auch jetzt wollen wir wieder vorausgehen und arbeiten konkret daran”, erklärte Landeshauptmann Kompatscher und führte verschiedenste Maßnahmen an: von der nachhaltigen Mobilität über die Erhaltung der Biodiversität bis hin zur Bauwirtschaft mit der neuen Strategieachse Wald-Holz-Kohlenstoffbindung. Unter anderem sagte Landeshauptmann Kompatscher, Umweltbelastungen längs der Brennerachse durch ständigen Lärm, Abgase und überlastete Verkehrsinfrastruktur könnten nicht weiter hingenommen werden. Auch der touristischen Übererschließung, dem “Insta-Tourismus” gelte es etwas entgegenzusetzen, um die Akzeptanz der Bevölkerung für den Tourismus mit zehnprozentiger Wertschöpfung und über 33.000 Arbeitsplätzen nicht zu gefährden.
Lebensstil neu ausrichten
“Es ist unser Anspruch, das für 2050 festgelegte Klimaziel der CO2-Null-Emission wesentlich früher zu schaffen”, sagte Kompatscher. Der Landeshauptmann sprach auch von einem nachhaltigen Lebensstil: “Eine nachhaltige Veränderung und Neuausrichtung unseres Lebensstils und unserer Wirtschaft eröffnet eine Reihe von ökonomischen Chancen. Nachhaltigkeit bedeutet nicht Verzicht oder Rückschritt, sondern Fortschritt und höhere Lebensqualität.” Diese Transformation bezeichnete Kompatscher als eine der schwierigsten politischen Aufgaben.
Kompromissbereit und verantwortungsbewusst handeln
Wenn Neugeborene in Südtirol italienweit die höchste Lebenserwartung hätten, Menschen in Südtirol pro Arbeitstag am wenigsten Zeit in die Mobilität steckten, über das höchste verfügbare durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen verfügten und der Anteil der Armutsgefährdeten weit unter dem gesamtstaatlichen Durchschnitt liege, könne man behaupten, dass “es sich in Südtirol sehr gut leben lässt”, zeigte sich der Landeshauptmann überzeugt. “Südtirol ist längst ein Modell dafür, dass friedliches Zusammenleben gelingen kann.” Die Geschichte der Südtirol-Autonomie habe gezeigt, dass die Voraussetzung dazu im Mut zum Kompromiss liege, betonte Landeshauptmann Kompatscher und nahm dabei auch Bezug auf die Paketabstimmung vor 50 Jahren. “Südtirol ist und bleibt ein mutiger Kompromiss, der sich als Laboratorium für Europa empfiehlt“, sagte der Landeshauptmann, der abschließend aufrief, die faire Chance, die Südtirol zuteilwurde, “weiterhin bestmöglich und mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein” zu nutzen.
Güne: “Ganz schön. Ganz schön gespalten”
“Viel, ganz viel Klimaschutz. Ganz viel ASTAT. Nachhaltigkeit als Schlüsselbegriff. Soziales und Frauen fehlen völlig. Und über Wohnbau reden wir auch diesmal wieder erst am Ende der Legislaturperiode. So würden wir in Stichworten die heutige Haushaltsrede von Landeshauptmann Arno Kompatscher zusammenfassen”, schreiben die Grünen in einer Stellungnahme.
“Für uns Grüne ein skurriles Schauspiel. Einerseits nehmen wir zufrieden zur Kenntnis, dass es die grünen Grundthemen in die Agenda der Landesregierung geschafft haben. Andererseits die Erinnerungen an die Diskussionen zum Raumordnungsgesetz letzte Woche, hier im selben Saal, in der die SVP ein völlig anderes Bild zu Raum und Landschaftsschutz gezeichnet hatte. Skurril auch die Tatsache, dass doch der Lega-Vize neben Kompatscher sitzt. Für die Lega gab es nur Statistenrolle – und ein kleines Trösterle (nämlich die Zusage, dass man die Ärmsten der Armen weiterhin und verstärkt zurück in den Hunger schicken wird). Unser Fazit: Entweder diese Rede war eine Art Weihnachtsrede, oder Kompatscher regiert mit dem falschen Partner”, so die Grünen.
Lanz: “Eigenverantwortung als Erfolgsrezept”
„Es geht uns gut“, sagt SVP-Fraktionsvorsitzender Gert Lanz. „Damit es so bleibt, müssen wir weiterhin bereit sein, mutige Entscheidungen zu treffen und die Herausforderungen der Zukunft als Chance sehen. Doch Geldmittel allein garantieren noch lange keine gute und gesunde Zukunft. Dazu gehört die Mithilfe aller, die in Südtirol leben“, so Lanz. Deshalb sei die Entscheidung zu mehr Nachhaltigkeit gepaart mit der Bereitschaft zu mehr Eigenverantwortung das Erfolgsrezept schlechthin – und zwar in allen Bereichen unseres Lebens.
„Die Südtiroler Volkspartei ist seit nunmehr 70 Jahren Garant für das Wohlergehen Südtirols. Wie ein Blumenstrauß, vielfältig und bunt, präsentiert sich die Südtiroler Gesellschaft heute. Das Band, welches die verschiedenen Blumen zusammenhält, ist unsere Autonomie, für die die SVP steht, wie keine andere Partei“, zieht Lanz einen anschaulichen Vergleich. Südtirol habe seine Autonomie in den letzten Jahren wesentlich ausbauen können. „Mehr Selbständigkeit macht uns selbstbewusster und es darf uns auch ein wenig stolz machen. Wir haben dank des großen Einsatzes unseres Landeshauptmannes in dieser Hinsicht noch sehr viel erreicht“, so Lanz. Die Rahmenbedingen seien gegeben, denn mit der Autonomie habe Südtirol eine große Chance bekommen. „Es ist uns besser als anderswo gelungen, Ungleichheiten zu beseitigen und so den sozialen Frieden zu sichern. Dies muss auch weiterhin unser vorrangiges Ziel bleiben. Dieser Haushalt ist ein Schritt in diese Richtung“. Nur dank der Autonomie hätte Südtirol diese Möglichkeiten. Die erfolgreiche Umsetzung dieser Möglichkeiten setze natürlich ein gutes Miteinander und einen konstruktiven Austausch mit allen Beteiligten voraus. Lanz ist überzeugt davon, dass dies auch weiterhin gelingen werde.
Mit gutem Gewissen könne Südtirol den Großteil seiner Finanzmittel in die Gesundheit und in die soziale Absicherung seiner Bürgerinnen und Bürger investieren. “Allerdings verlangen weitere Themen wie Klimawandel, Mobilität, Bildung, Digitalisierung oder Migration eine noch höhere Aufmerksamkeit als bisher. Diese Herausforderungen wollen wir als Chance sehen. Als Chance für unsere Weiterentwicklung. Gehen wir die Herausforderung positiv an, mit klaren Zielen und mit dem nötigen Verantwortungsbewusstsein“, sagt Lanz. Ein mutiges Ziel der Landesregierung sei es, Südtirol als Ganzes, als Klimaland nachhaltig zu gestalten. „Das kann und wird uns gelingen. Wir sind bereit, erste Maßnahmen zu ergreifen. Sie sind im Haushalt 2020 bereits vorgesehen“, meint Lanz und spricht das „Nachhaltigkeitskonzept“ an, an welchem die Landesregierung schon seit geraumer Zeit arbeitet. Unter Berücksichtigung der vier Säulen Ökologie, Ökonomie, Ethik und Kultur werde Südtirol die „Nachhaltigkeitsbereitschaft“ seiner Menschen nutzen und damit zusammenhängende Aufgaben übernehmen und weiterentwickeln.
Minderheitenbericht zum Haushaltsentwurf
Zum Haushaltsentwurf (Gesetzentwürfe Nr. 39, Nr. 40 und Nr. 41/19) haben Paul Köllensperger und Josef Unterholzner (Team K) einen Minderheitenbericht vorgelegt. Sie sehen in diesem Haushalt die Fortschreibung eines Trends und vermissen einen langfristigen Horizont. Die versprochene Durchforstung des Haushalts stehe immer noch aus. Sie räumen ein, dass LH Kompatscher das Erbe einer langjährigen politischen Kultur übernommen hat, die nur das Wachstum kannte, auch der Ausgaben und des Apparats. Die Folgen dieser Politik machten sich nun in einer Knappheit bei einzelnen Bereichen sichtbar, Wirtschafts- und Wohnbauförderung, aber auch Gesundheit, Pflege und Familienfürsorge. Anders als anderswo seien in Südtirol die politischen Verwalter auch weit entfernt davon, ihre Position zum persönlichen Vorteil auszunutzen. Aber die Zeit für eingehende Reformen sei reif, denn diese müsse man unter guten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen angehen und nicht dann, wenn nur mehr dramatische Einschnitte helfen. “Mutige Reformschritte sind unumgänglich, wenn das Niveau der bisherigen Lebensqualität in Südtirol gehalten werden soll und in neuen Bereichen mehr Lebensqualität einkehren kann – Stichwort Pendler, Wohnen, Gesundheit, Pflege, Kinderbetreuung, und vor allem Stichwort Schulbildung und Familien.” Es herrsche der Eindruck, dass es auch an der Verwaltungsspitze Widerstand gegen neue Denkanstöße gebe. Daher sollten nicht nur die Ausgaben durchforstet werden, sondern auch die Organisation der Landesämter und der Körperschaften des Landes, so das Team K.
Zu einzelnen Aspekten des Haushalts merkten die Autoren an, “dass immerhin 4,5 von 6,2 Mrd. zur Deckung laufender Ausgaben dienen und wenig Spielraum übriglassen.” Ohne markante Reformen, vor allem durch Digitalisierung, würden sich schwer Freiräume für Investitionen finden lassen. Im Vergleich zu Tirol habe das Land Südtirol weniger Beteiligungen an Kapitalgesellschaften, aber auch diese seien zu durchforsten. Begrüßenswert sei die höhere Besteuerung der Betriebe mit schlechterer Entlohnung. Durch Beibehaltung der Sanitätsbezirke sei die gewünschte Kostenreduktion nicht erreicht worden, gleichwohl sei die Aufrechterhaltung aller sieben Krankenhäuser begrüßenswert. Im Bereich Bildung wären monetäre Anreize für die Pädagogen, während das Budget der Uni zu durchforsten wäre, z.B. bei einer ingenieurwissenschaftlichen Fakultät für weniger als 20 Studenten. Mögliche Synergieeffekte sahen Köllensperger und Unterholzner bei der Zusammenarbeit der Gemeinden, während eine Überprüfung des Leistungskatalogs in der Sozial- und Familienpolitik dringend notwendig wäre. Bei der Förderung der E-Mobilität seien die Kriterien zu überdenken.