Von: luk
Bozen – Im Südtiroler Landtag wurden heute diverse Anträge behandelt.
Präsident Josef Noggler erinnerte zu Beginn der Sitzung daran, dass vor genau 100 Jahren die Teilung Tirols vollzogen wurde und die Südtiroler Abgeordneten aus dem Tiroler Landtag ausschieden. Er erinnerte die die Abgeordneten auch daran, dass nächste Woche der Dreier-Landtag stattfindet, und teilte einige Details zum Ablauf der Sitzung mit. Alessandro Urzì wollte präzisieren, dass vor 100 Jahren auch das Trentino zu Italien zurückgekehrt ist, er hoffe aber, dass der Dreier-Landtag nicht im Geiste der Nostalgie stattfinde.
Die Behandlung des Begehrensantrags Nr. 1/18, Begnadigung der Süd-Tiroler Freiheitskämpfer (eingebracht von den Abg. Atz Tammerle und Knoll am 15.11.2018), wurde im Einvernehmen zwischen Einbringern und Landesregierung vertagt. Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) forderte eine Begründung für die Vertagung; der Landtag müsse informiert werden, wenn z.B. Verhandlungen zwischen Landes- und Staatsregierung stattfänden. Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) erklärte, dass ihn der Landeshauptmann über anstehende bilaterale Treffen zum Thema informiert habe. Dem wolle man nicht vorgreifen. Urzì forderte eine genaue, offizielle Information darüber, wer mit wem über die Begnadigung über verurteilte Terroristen verhandle. LH Arno Kompatscher zeigte sich zu Auskünften bereit, aber nun solle man mit der festgelegten Tagesordnung fortfahren.
Beschlussantrag Nr. 40/19: Anerkennung und Gleichstellung der italienischsprachigen Staatsprüfungen (Maturazeugnisse) (eingebracht von den Abg. Foppa, Dello Sbarba und Staffler am 4.2.2019). Der Landtag möge die Landesregierung beauftragen, sich in internationalen Verhandlungen für eine künftige Gleichstellung einzusetzen und insbesondere: • eine einheitliche Lösung für die österreichischen Hochschulen anzustreben, was die automatische Anerkennung des Abschlusszeugnisses von italienischen Oberschulen in Südtirol betrifft; • die Gleichstellung der Abschlüsse von italienischen Oberschulen mit jenen der deutschsprachigen für den Zugang zur medizinischen Fakultät in Österreich zu erwirken, indem beide gleichermaßen in die reservierte Quote für österreichische Staatsbürgerinnen aufgenommen werden; • bei der Kulturministerkonferenz Deutschlands zu erwirken, dass die Abschlusszeugnisse von italienischen Oberschulen Südtirols jenen der deutschen gleichgestellt werden und keine weiteren Sprachzertifikate vorgelegt werden müssen.
Der eklatanteste Fall betreffe die Zulassung zum Medizinstudium, erklärte Brigitte Foppa (Grüne). Die derzeitige Regelung sei nicht mehr sinnvoll, auch weil viele zwischen deutscher und italienischer Schule wechselten.
Sven Knoll (Süd-Tiroler Freiheit) sah in dem Antrag mehrere Fehler. So seien Maturazeugnisse italienischer Schulen bereits anerkannt. Zudem betreffe die Regelung die österreichische Minderheit in Südtirol, und dazu gehörten Deutsche und Ladiner. Wenn diese Bevorzugung bzw. Gleichstellung mit Österreich fallen würde, wären die Südtiroler etwa mit den Bundesdeutschen oder anderen Ausländern gleichgestellt. Österreich garantiere den Südtirolern ein Hochschulstudium in deutscher Sprache, das dürfe man nicht aufs Spiel setzen.
Alessandro Urzì (L’Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia) sah das Problem als innerösterreichische Angelegenheit. Daher werde er sich der Stimme enthalten.
Alex Ploner (Team Köllensperger) plädierte dafür, die Frage einmal von der praktischen Seite zu sehen. Wenn ein italienischsprachiger Südtiroler in Innsbruck Medizin studieren wolle, müsse man ja angesichts des Mangels an zweisprachigen Ärzten heilfroh sein. Zwar nicht für berufliche, aber für Studienzwecke könne man die Matura durchaus als Zweisprachigkeitsprüfung anerkennen, da man ja während des Studiums die Kenntnis der anderen Sprache beweisen müsse. Ohne den Gedanken des Minderheitenschutzes schmälern zu wollen, plädiere er für den Antrag der Grünen.
Diese Debatte hätte mehr in die 70-er oder 80-er Jahre gepasst, meinte Sandro Repetto (Demokratische Partei), der für den Antrag plädierte. Die Initiative fördere die Zweisprachigkeit.
Diese Initiative sollte eigentlich als Begehrensantrag vorgebracht werden, meinte Andreas Leiter Reber Freiheitliche), der bei Foppa und Ploner autonomiepolitische Standfestigkeit vermisste. Die derzeitige Regelung entspringe dem Minderheitenschutz, von dem man nicht abrücken dürfe.
Auch Gerhard Lanz (SVP) sprach sich gegen den Antrag aus, der übrigens nur die deutsche und die italienische Sprache berücksichtige. Der Antrag wolle nur polarisieren, er stelle Grundwerte in Frage. Einige Grundlagen der Autonomie seien eben bilaterale Abkommen mit Österreich. Die derzeitige Regelung sei für die österreichische Minderheit in Südtirol, und er frage sich, warum man ihr diesen Weg verbauen wolle.
Riccardo Dello Sbarba (Grüne) erinnerte daran, dass diese Unterteilung bereits auf europäischer Ebene angefochten werde. Der Antrag wolle auf keinen Fall den Minderheitenschutz schmälern, sondern eine Öffnung erreichen. Man sollte nicht zu oft von “Ethnien” reden, da komme man der “Rasse” in die Nähe, genauso sollte man die Autonomie nicht als ethnisch darstellen. Das Statut betreffe alle drei Sprachgruppen.
Österreich habe eine Schutzfunktion für die deutsche und die ladinische Sprachgruppe, das könne man nicht in Frage stellen, erklärte LR Philipp Achammer. Die Gleichstellung der deutschen und ladinischen Südtiroler in Österreich erfolge auf dieser völkerrechtlichen Schutzfunktion. Für die Einschreibung genüge übrigens der Nachweis von Deutsch auch als Zweitsprache, damit erübrige sich Punkt 1 des Antrags. In Deutschland zähle die Kenntnis der deutschen Sprache, als Erstsprache oder als Zweitsprache mit Nachweis.
LR Giuliano Vettorato berichtete, dass er bereits bei Minister Bussetti zur Anerkennung der Zeugnisse vorgesprochen habe. Nun aber sei eine neue Regierung da, und das Thema müsse neu aufgegriffen werden.
Brigitte Foppa betonte, dass ihre Fraktion sich immer für den Frieden zwischen den Sprachgruppen eingesetzt habe, nie für die Polarisierung. Der Antrag sage nur, dass man die Muttersprache nicht mehr am Maturazeugnis ablesen könne.
Der Antrag wurde mit elf Ja, 19 Nein und einer Enthaltung abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 2/18: Bildungsurlaub für den Erwerb eines zweiten Studientitels oder der staatlichen Abschlussprüfung (eingebracht von den Abg. Köllensperger, Ploner A., Ploner F., Unterholzner, Faistnauer und Rieder am 20.11.2018); der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, dafür zu sorgen, dass das Recht auf Bildung voll ausgeschöpft werden kann und auch die Angestellten, die bereits einen Hochschulabschluss oder ein Maturadiplom besitzen, Bildungsurlaub gewährt wird, falls sie weitere Titel erwerben möchten.
“Das Arbeiterstatut sieht vor, dass Iohnabhängige Arbeitnehmer sowohl im öffentlichen als im Privatsektor für Studien- Oder Weiterbildungszwecke freigestellt werden können”, bemerkte Paul Köllensperger (Team Köllensperger). “Es handelt sich hierbei zudem um ein Recht, das in der Verfassung (Artikel 34) verankert ist. Sowohl aus Erhebungen als auch aus zahlreichen Maßnahmen, darunter die bekannte „Lissabon-Strategie 2010″, geht hervor, dass die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung in allen Arbeitsbereichen grundlegend ist, denn Professionalität braucht eine ständige Fortbildung. Die staatlichen Bestimmungen sehen hierfür vor, dass berufstätigen Studenten, die in planmäßigen Lehrgängen der Grund-, Mittel- und Oberschulen oder der beruflichen Ausbildung staatlicher, gleichgestellter und gesetzlich anerkannter Art oder zum Erlass gesetzlich anerkannter Studientitel ermächtigter Schulen eingeschrieben sind und diese auch besuchen, Bildungsurlaub gewährt wird. Diese Bestimmung gilt auch für jene, die Berufsbildungskurse besuchen. Südtirol ist aber die einzige Provinz Italiens, in der diese Vorteile (150 Stunden bezahlter Bildungsurlaub bzw. 75 für Lehrpersonen) den Bediensteten, die einen zweiten Studientitel erwerben wollen, nicht gewährt werden, wie auf der Homepage des Landes auch ausdrücklich erklärt wird: „Den Angestellten mit Hochschulabschluss oder Maturadiplom wird der Bildungsurlaub nicht gewährt, falls er für den Erwerb eines zweiten Doktortitels oder zweiten Maturadiploms verwendet werden soll.”
Brigitte Foppa (Grüne) unterstützte den Antrag. Weiterbildung sei immer ein Mehrwert.
LH Arno Kompatscher sah, wie auch die italienische Regierung, die Forderung nicht durch Arbeiterstatut und Verfassung abgedeckt. Die Materie sei vom bereichsübergreifenden Vertrag geregelt, der gegenüber der staatlichen Regelung Einschränkungen, aber auch Begünstigungen enthalte, etwa für befristete Arbeitsverträge oder für die Abfassung einer Doktorarbeit.
Paul Köllensperger räumte ein, dass Südtirol großzügiger sei als der Staat. Aber das sei kein Grund, nicht auch beim zweiten Studientitel großzügig zu sein.
Der Antrag wurde mit elf Ja, 14 Nein und fünf Enthaltungen abgelehnt.
Beschlussantrag Nr. 32/19: Entschädigungszahlung durch das Land an die Bürger und Unternehmen, die bei dem unerhörten Gewaltakt in der Bozner Galvani-Straße zu Schaden gekommen sind, dessen Verursacher, ein Migrant aus dem Togo, im Asylwerberzentrum des Landes im Ex-Alimarket-Gebäude Dienst leistet (eingebracht vom Abg. Urzì am 29.1.2019); der Landtag möge die Landesregierung verpflichten, im Rahmen ihrer Befugnisse und jener der Betreiber auch in Zusammenarbeit mit der italienischen Regierung Initiativen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass all jene, die infolge des in den Prämissen genannten Gewaltakts von schweren materiellen Schäden betroffen sind (sowohl Handelsunternehmen als auch Bürger), eine angemessene und vollumfängliche Entschädigung für die materiellen und immateriellen Schäden erhalten, falls diese nicht bereits durch Versicherungen abgedeckt sein sollten, sowie eine angemessene Form der Vorbeugung gegen derartige Vorfälle im Zusammenhang mit den Asylwerberzentren im Landesgebiet zu ermitteln.
“Angesichts der immer zahlreicheren Vorfälle von Sachbeschädigung und Gewalt reicht es nicht mehr, auf die Solidarität der Bürger gegenüber den betroffenen Betrieben zu zählen”, erklärte Alessandro Urzì (Alto Adige nel cuore – Fratelli d’Italia). “Der Vorfall in der Galvani-Straße in Bozen muss wegen seiner Tragweite Anlass zur Einführung eines Systems zum Schutze der Bürger sein. Das Land hat das Ex-Alimarket-Gebäude für das Asylwerberzentrum zur Verfügung gestellt und festgelegt, wie das Zentrum geführt werden soll; daher hat es nun auch gegenüber den Opfern der Gewaltakte, die auf die Existenz des Zentrums zurückzuführen sind, eine moralische Verpflichtung.”
Riccardo Dello Sbarba (Grüne) vermutete, dass Urzì mit seinem Antrag vom Jänner damals, vor den Wahlen, in Konkurrenz zur Lega treten wollte. Er habe sich dann aber nicht mehr über das weitere Geschehen informiert. Es sei klar, dass der verurteilte Täter für die Schäden aufkommen müsse. Man könnte sich auch fragen, ob eine Aufnahmeeinrichtung mit 180 Plätzen Sinn habe oder ob nicht doch die Aufteilung auf die Gemeinden laut SPRAR-Programm besser sei.
Laut Carlo Vettori (Lega Alto Adige – Südtirol) habe Urzì moralisch gesehen im Recht. Wenn man dem Land dafür die Schuld geben wolle, so müsse man auch berücksichtigen, dass das Land vom Staat dazu verpflichtet wurde, ein Aufnahmezentrum einzurichten. Außerdem sollte man noch das Urteil abwarten, um die Verantwortlichkeiten zu klären. Man werde sich zum Antrag enthalten.
Der Antrag gehe in die richtige Richtung, meinte Ulli Mair (Freiheitliche). Man höre fast täglich von eingeschlagenen Schaufenstern, Urin vor den Geschäften und ähnlichem. Die Region Lombardei unterstütze Bürger, die durch mutwillige Zerstörung Schäden erlitten hätten. In Südtirol habe sich Gleichgültigkeit breit gemacht, die Menschen fühlten sich nicht geschützt.
Der Antrag stamme aus einer Zeit, als die Rechte noch die öffentliche Debatte beherrscht habe, urteilte Sandro Repetto (Demokratische Partei). Die Aufnahmezentren hätten derzeit vor allem Probleme durch die Kürzung der öffentlichen Mittel für die Integration.
LR Waltraud Deeg erinnerte sich noch gut an den Fall. Sie empfinde Solidarität mit den Betroffenen, aber auch Mitleid mit dem Täter, der jetzt in Betreuung sei. Das Rote Kreuz arbeite schon seit Jahren in diesem Bereich und habe berichtet, dass der Mitarbeiter sich bis dahin unauffällig verhalten habe. Die Verantwortlichkeiten seien vor allem rechtlich zu klären, nicht politisch. Das Gericht werde klären, wer Schadenersatz zu leisten habe.
Alessandro Urzì erinnerte an Pilatus, der seine Hände in Unschuld gewaschen habe. Das Land habe eine moralische Verpflichtung gegenüber seinen Bürgern, die Lombardei z.B. komme ihrer Verpflichtung nach.
Nach einer Unterbrechung auf Antrag der Lega wurde der Antrag mit neun Ja, 17 Nein und sechs Enthaltungen abgelehnt.
Anschließend wurde mit Anträgen der Mehrheit fortgefahren.