Von: APA/dpa/Reuters
Ukraines Luftwaffenchef Mykola Oleschtschuk hat in einer Bilanz für das auslaufende Jahr die Abschusszahlen der Flugabwehr seines Landes gelobt. Insgesamt seien 85 Prozent der Kampfdrohnen und Marschflugkörper, die das russische Militär gegen Ziele in der Ukraine eingesetzt habe, abgeschossen worden. Am Sonntag griff Russland die Stadt Charkiw in der Nordostukraine nach ukrainischen Angaben erneut an. Mindestens 28 Menschen wurden demnach verletzt.
Oleschtschuk resümierte dennoch positiv. Auch die Abwehr ballistischer Raketen sei effektiver geworden, schrieb Oleschtschuk am Sonntagabend auf Telegram, dank der zu Jahresbeginn 2023 gelieferten Patriot-Systeme. Die Angaben ließen sich nicht unabhängig überprüfen. “Mit zunehmender Kampferfahrung und dem Erhalt zusätzlicher Waffen von Partnern wurde die Luftverteidigung jeden Tag stärker”, ließ der Luftwaffenchef wissen. “Wir warten auf weitere Systeme, die in der Lage sein werden, ballistische Raketen abzufangen.”
“Das Jahr 2023 neigt sich dem Ende zu, doch der Krieg um unsere Freiheit, um unsere Zukunft und unsere Werte ist nicht vorbei”, bilanzierte Oleschtschuk. Der Kampf gegen einen “mächtigen Feind” sei nicht einfach. “Wir hoffen auf die starke Unterstützung unserer Verbündeten im Jahr 2024, aber in erster Linie verlassen wir uns auf unsere eigene Stärke.”
Am Sonntag trafen sechs russische Raketen die Stadt Charkiw, wie Regionalgouverneur Oleh Syniehubow sagte. Es habe mindestens 28 Verletzte gegeben. Wohngebäude, Hotels und medizinische Einrichtungen seien getroffen worden. Wie Charkiws Bürgermeister Ihor Terechow mitteilte, gab es später einen Angriff mit Drohnen, die Wohngebäude im Zentrum der Stadt trafen und Brände auslösten.
Drei Tote habe es bei einer russischen Bombardierung eines Dorfes in der Region in der Nähe der Grenze gegeben, sagte Syniehubow. Laut ukrainischer Luftwaffe wurden 21 von 49 Drohnen abgeschossen. Die meisten Flugkörper seien auf die Frontlinie und die Regionen Charkiw, Cherson, Mykolajiw und Saporischschja ausgerichtet gewesen. Ein Drohnenangriff in der Region um die Hauptstadt Kiew sei abgewehrt worden.
Zuvor hatte ein Angriff der Ukraine auf die russische Stadt Belgorod viele Menschenleben gefordert. Die Zahl der Todesopfer ist laut russischen Angaben auf 24 gestiegen. Der Gouverneur des Gebietes, Wjatscheslaw Gladkow, berichtete am Sonntag von zwei weiteren Toten. Mehr als 100 Menschen seien durch Beschuss am Freitag und Samstag verletzt worden, schrieb er im sozialen Netzwerk Telegram. Am Sonntag gab es in der Großstadt mit etwa 350.000 Einwohnern Luftalarm, wie Gladkow mitteilte. Die Bewohner sollten sich in Schutzräume begeben.
In dem Krieg, den Russland seit Februar 2022 gegen die Ukraine führt, sind die Toten in Belgorod der bisher schwerste Verlust unter der russischen Zivilbevölkerung. Nach russischen Militärangaben soll die Ukraine die Stadt mit Kampfdrohnen und Raketenartillerie beschossen haben.
Nach Aussagen des russischen Verteidigungsministeriums war der Angriff auf Charkiw in der Nacht die Vergeltung für die Bombardierung Belgorods. Russland habe in Charkiw “Entscheidungszentren” und militärische Einrichtungen getroffen.
In Moskau teilte das Verteidigungsministerium außerdem mit, zwei präzisionsgesteuerte ukrainische Raketen seien mit Streumunition gespickt gewesen. Diese Raketen seien zwar durch die Flugabwehr abgeschossen worden, ihre Trümmer mit der Streumunition seien aber in das Stadtzentrum von Belgorod gefallen, teilte das Militär mit. Diese Angaben waren nicht sofort unabhängig überprüfbar. Streumunition sind kleinere Sprengsätze, die von einem größeren Geschoss freigesetzt werden und vor allem Fahrzeuge und Menschen treffen sollen.
Aus Kiew gab es bis Sonntagfrüh keine offizielle Stellungnahme. Das Nachrichtenportal “Ukrajinska Prawda” schrieb lediglich unter Berufung auf eine anonyme ukrainische Geheimdienstquelle, dass die ukrainische Armee auf militärische Objekte der Russen gezielt habe. Zivilisten seien aufgrund “unprofessioneller Aktionen der russischen Luftverteidigung sowie bewusster und geplanter Provokationen” zu Schaden gekommen. Am Freitag hatte die Ukraine mindestens 31 Tote nach Luftangriffen auf das Land gemeldet. Verteidigungsminister Rustem Umerow sprach vom “schwersten Luftangriff dieses Kriegs”.
Unterdessen teilte der russische Außenminister Sergej Lawrow mit, dass russische Gerichte seit Beginn der Militäroperation in der Ukraine mehr als 200 ukrainische Kämpfer zu Haftstrafen verurteilt hätten. “Die Gerichte der Russischen Föderation haben bereits mehr als 200 Vertreter ukrainischer bewaffneter Formationen zu langen Haftstrafen verurteilt, weil sie Gräueltaten begangen haben”, sagte Lawrow in einem Interview mit der staatlichen Nachrichtenagentur RIA Nowosti.
Russland hatte seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar 2022 begonnen und beschießt immer wieder auch zivile Ziele weit hinter der Front. Im vergangenen Winter waren vor allem Objekte der Energieversorgung Ziel russischer Angriffe. Experten warnen vor einer Wiederholung dieser Taktik in diesem Winter. Ziel Moskaus ist es, die Ukrainer in Kälte und Dunkelheit zu stürzen, um den Widerstandswillen der Bevölkerung zu brechen.