Von: mk
Kiew/Moskau – Eigentlich hat US-Präsident Joe Biden Militärhilfe für die Ukraine in Milliardenhöhe gefordert. Während das Geld vom Streit zwischen den Republikanern und den Demokraten weiterhin blockiert wird, verhinderte in der EU Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban eine Einigung auf weitere Milliardenhilfen. Trotzdem zeigt sich Militärökonom Dr. Marcus Keupp von der ETH Zürich zuversichtlich und sieht die Ukraine weiterhin im Vorteil – nicht zuletzt aus Kostengründen.
Der Westen steht nach wie vor hinter der Ukraine. Die Ukraine darf nicht nur nicht verlieren, sondern muss auch den Krieg gewinnen. Politisch ist dies erst kürzlich deutlich geworden, nachdem der Weg zu den EU-Beitrittsverhandlungen geebnet worden ist. Welchen Sinn hätten solche, wenn Russland in der Ukraine das Sagen hat? Trotzdem stockt die finanzielle Hilfe derzeit.
Jenseits des Ozeans scheint der Streit zwischen Demokraten und Republikanern nach wie vor wie ein Damokles-Schwert über der Ukraine zu schweben. Ohne US-amerikanische Unterstützung wird es Kiew kaum gelingen, dem Angriff des Kremls standzuhalten, der ungeachtet der Verluste an Menschenleben und Material seine Soldaten an die Front schickt. Und was wird erst passieren, sollte Donald Trump bei den kommenden Präsidentschaftswahlen gewinnen? Trump gilt bekanntermaßen als Bewunderer des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Militärökonom Marcus Keupp sieht all das gelassen. „Was sich im Parlament in den USA derzeit abspielt, ist eine innenpolitische Auseinandersetzung, bei der man eben versucht, möglichst viele politische Zugeständnisse von der politischen Gegenpartei zu erpressen“, so Keupp. Trotz allem gebe es eine nahtlose Außenpolitik der US-Administration gegenüber der Ukraine. Gerade die Trump Administration habe nach Minsk begonnen, die Ukraine militärisch aufzurüsten, ihr bei der Reform der Armee geholfen und dem Militär Kampftaktiken beigebracht. „Man darf nicht den Fehler machen, die politischen Figuren, also die Präsidenten der USA und die politischen Kämpfe im Senat oder im Repräsentantenhaus mit den eigentlichen geostrategischen Interessen der freien Welt zu verwechseln.
„Der Krieg ist keine Soap Opera“
Dieser Unterschied ist in der Tat entscheidend: In ideologischer Hinsicht prallen derzeit zwei Paradigmen aufeinander. „Ich glaube, den Leuten ist noch nicht bewusst, in was für einer welthistorischen Stunde wir uns im Moment befinden. Medien fassen den Krieg manchmal so ein bisschen wie eine Soap Opera auf. Wenn die Ukraine mal wieder Erfolge erzielt, dann herrscht Euphorie. Wenn sie mal irgendwo wieder zwei Baumlinien verliert, dann herrscht Panik“, kritisiert Keupp. Doch in Wahrheit gehe es um viel mehr als um irgendwelche Geländegewinne oder um Artillerie-Statistiken. „Es ist eine fundamentale ideologische Auseinandersetzung, welchem System Europa künftig angehört, und wenn Sie indifferent gegenüber der Ukraine dann sind, ist das implizit eine Unterstützung der russischen Position“, betont Keupp.
Hier werde ein souveräner Staat von einem Staat überfallen, der das genau gegenteilige Modell einer freien Weltordnung vertrete, ein Staat der sich nicht um das Völkerrecht oder um das das Westfälische System, also um die souveräne Gleichheit der Nationen kümmere, sondern stattdessen nach dem Recht des Stärkeren agiert. „Russland ist der Feind“, betont Keupp.
Bindung der Macht in US-Verfassung verankert
Nicht zuletzt aufgrund ihrer Verfassung seien die USA regelrecht gezwungen, zu reagieren. Die US-Verfassung ist nicht nur ein innenpolitisches, sondern auch ein ideologisches Werk, das besagt: Prinzipiell gilt die Bindung der Macht an das Recht. „Wenn man diesen Gedanken auf die internationale Ordnung überträgt, dann können die Amerikaner so etwas wie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine nicht tolerieren“, erklärt Keupp.
Schließlich gibt es noch einen ganz pragmatischen Grund, warum Russland nicht gewinnen darf. Keupp macht deutlich, dass ein Sieg Russlands dem Westen wesentlich teurer zu stehen komme, als es die derzeitigen Hilfen für die Ukraine tun. Angenommen Russland gewinnt, dann hätte das enorme Auswirkungen. „Die Ukraine hört als Staat auf zu existieren und wäre großflächig besetzt“, erklärt Keupp im ZDF-Interview. Allein die Flüchtlingswelle würde die Kassen des Westens sehr belasten. Er rechnet mit 15 bis 20 Millionen Ukrainern, die bei einem Sieg Russlands in den Westen strömen würden.
Doch ganz abgesehen davon: Wäre Moskaus Aggression gegen die Ukraine erfolgreich, würde Russland an der polnischen Grenze stehen. Der Kalte Krieg wäre auf massive Weise zurückgekehrt. „Dann können sich die Amerikaner aber auf eine Haushaltsdebatte gefasst machen, weil was da an Milliardenbeträgen so rauskommt, das will ich lieber gar nicht wissen und dann ist übrigens auch Schluss mit ‚Pivot to Asia‘“, warnt Keupp.
Im Gegenteil: Der Militärökonom ist davon überzeugt, dass der Westen durch seine Unterstützung der Ukraine Sicherheit zu einem sehr günstigen Preis erhält. „In die Ukraine wurden bisher Waffensysteme geschoben, die das Ende ihrer Lebensdauer erreicht haben. Das gilt etwa für die Leo-Panzer, aber auch für die Abrams, die ATACMS und die GLSDB“, so Keupp. Dabei handle es sich nicht um moderne Hightech-Waffen, sondern das seien Arsenale, die man in den 1990-er bzw. in den Nuller Jahren gebaut habe. „Wo man sagt: Okay, eigentlich sind die ausgemustert, aber man kann man sie noch verwenden.“
Selbst mit dieser überschaubaren Menge erreichen die Ukrainer bereits große operative Wirkung. Das liegt einerseits an den ukrainischen Streitkräften und ihrer Entschlossenheit, andererseits wiederholen die Russen immer wieder dieselben Fehler.
Keupp ist überzeugt: Würde man die Ukraine wirklich massiv mit Artillerie, mit Luftkampfmitteln und dergleichen ausstatten, hätte Russland kaum eine Chance. Nun begehe man aber einen ähnlichen Fehler wie im Sommer 2022: „Man hat Russland die Zeit gegeben, um Grabensysteme und Minenfelder einzurichten, und damit hat man die de facto den Krieg verlängert.“ Warum man sich dafür entschieden hat, mag an politischen Gründen liegen. Doch Keupp ist überzeugt, dass aufgrund der geostrategischen Interessenslage, aber auch aufgrund der militärischen Stärke ein Sieg Russlands letztendlich als nicht sehr wahrscheinlich gilt, um es gelinde auszudrücken.