Aufräumarbeiten nach russischem Angriff auf Kinderspital in Kiew

UNO: Kinderspital von russischer Rakete getroffen

Dienstag, 09. Juli 2024 | 12:11 Uhr
Update

Von: APA/dpa/Reuters

Das Kinderkrankenhaus in Kiew ist nach vorläufigen Untersuchungen des UNO-Menschenrechtsbüros von einer russischen Kh-101 Rakete direkt getroffen worden. Zu diesem Schluss kommen Experten, die Videoaufnahmen ausgewertet und die Schäden vor Ort direkt untersucht haben, wie Danielle Bell, die Leiterin der UNO-Beobachtermission für Menschenrechte in der Ukraine, sagte. Sie nennt dies “einen der ungeheuerlichsten Angriffe, die wir seit Beginn der Invasion erlebt haben”.

Nach russischer Darstellung wurde das Spital von der ukrainischen Luftabwehr getroffen. Einen Beweis für diese Behauptung legte der Sprecher des Präsidialamtes in Moskau, Dmitri Peskow, nicht vor.

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU hat nach eigenen Angaben neue Beweise dafür, dass das Kinderkrankenhaus von einer russischen Rakete vom Typ Kh-101 Kalibr direkt getroffen wurde. “Die Schlussfolgerungen der Experten sind eindeutig – es war ein direkter Angriff”, erklärt der SBU auf dem Kurzmitteilungsdienst Telegram. Er zeigt Bilder von einem Fragment eines Raketentriebwerks, das an der Stelle des Einschlages gefunden worden sein soll. Die Analyse der Flugbahn und der Art des verursachten Schadens beweise, dass es sich um einen direkten Treffer gehandelt habe.

Auch andere Städte in der Ukraine wurden mit Raketen angegriffen. Bei dem schwersten Luftangriff seit Monaten kamen nach ukrainischen Angaben mindestens 41 Zivilisten ums Leben.

In Kiew ist für Dienstag ein Trauertag angesetzt. Aus den Trümmern eines beschädigten Wohnhauses in Kiew wurde in der Nacht ein vermisster Bub tot geborgen. Durch die Einschläge mehrerer Raketen und Marschflugkörper in der Dreimillionenstadt wurden nach letztem Stand 27 Menschen getötet, darunter 4 Kinder, teilte der Katastrophenschutz Kiews nach dem verheerenden russischen Luftangriff vom Montag mit. 117 Menschen wurden demnach verletzt. Weitere Opfer gab es im Gebiet Dnipropetrowsk im Süden.

In einem großen Wohnhaus in der Nähe der Klinik wurden sieben Menschen getötet, darunter drei Kinder. Zwei Menschen starben in einer nicht näher bezeichneten Industrieanlage. Inoffizielle Berichte gehen von Angriffen auf ein Rüstungsunternehmen aus. In einem weiteren teilweise zerstörten Krankenhaus kamen neun Menschen ums Leben, in einem Geschäftszentrum sieben Menschen.

Über den verheerenden Angriff will am Nachmittag der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York beraten. Da Russland im Sicherheitsrat Veto-Recht hat, ist keine einstimmige Verurteilung des Vorgehens der russischen Streitkräfte zu erwarten. “Wir müssen Russland für den Terror zur Rechenschaft ziehen und (Kremlchef Wladimir) Putin für die Befehle zur Durchführung der Angriffe”, forderte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj während eines Besuchs in Warschau. “Wann immer jemand versucht, mit ihm über Frieden zu sprechen, antwortet Russland mit Angriffen auf Wohnhäuser und Krankenhäuser.”

US-Präsident Joe Biden nannte die Angriffe “eine grausame Erinnerung an die Brutalität Russlands”. Es sei von entscheidender Bedeutung, dass die Welt in diesem wichtigen Moment weiterhin an der Seite der Ukraine stehe, mahnte er. Der UNO-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, verurteilte die Raketenangriffe und forderte, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. “Unter den Opfern waren die kränksten Kinder der Ukraine”, sagte der Österreicher in Genf. “Der Raketenangriff auf eine Kinderklinik ist ein furchtbares Kriegsverbrechen, das erneut zeigt, mit welch unfassbarer Unmenschlichkeit Putin seinen Krieg gegen die Ukraine führt”, erklärte die deutsche Innenministerin Nancy Faeser.

Auch in Österreich sorgte der Angriff auf das Kinderkrankenhaus für Entsetzen. Bundeskanzler Kar Nehammer (ÖVP) verurteilte den russischen Angriff am Montag als “grausam und auf das Schärfste”. Bundespräsident Alexander Van der Bellen betonte: “Dieser Horror, der den Menschen in der Ukraine zugefügt wird, muss aufhören.” Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) bot der Ukraine auf X Unterstützung für die Überlebenden an. “Putin ist ein brutaler Kriegstreiber, Kindermörder und Erpresser”, schrieb Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) auf der Plattform. Das Außenministerium bezeichnete die Tat als “mehr als widerwärtig!” Das Krankenhaus Okhmatdyt habe von der österreichischen Hilfe profitiert. “Wir werden unsere Unterstützung fortsetzen und #StandWithUkraine”, betonte das Ministerium auf X.

Die Weltgesundheitsorganisation hat seit Beginn des russischen Angriffskriegs im Februar 2022 fast 1900 Angriffe auf Krankenhäuser, Arztpraxen, Krankenwagen und ähnliche Ziele gezählt. Nach dem universell geltenden humanitären Völkerrecht dürfen solche Einrichtungen zur Gesundheitsversorgung nicht angegriffen werden, wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz schon oft auf X erklärt hat. “Unsere Teams beobachten zunehmend Angriffe auf die zivile und medizinische Infrastruktur durch die russischen Streitkräfte in der gesamten Ukraine, in den Städten und Dörfern an der Front und im Landesinneren”, sagte Christopher Stokes, Notfallkoordinator von Ärzte ohne Grenzen in der Ukraine.

Die Ukraine reagierte mit Drohnenangriffen auf den jüngsten schweren russischen Raketenbeschuss. Ganze Drohnenschwärme erreichten Gebiete in Russland. Ein Tanklager des Ölkonzerns Lukoil im Gebiet Wolgograd wurde dadurch in Brand gesetzt. Gebietsgouverneur Andrej Botscharow machte dafür Trümmer abgeschossener Drohnen verantwortlich. Diese seien auf das Lager in der Stadt Kalatsch am Don gefallen. Das Feuer werde gelöscht. Außerdem sei eine Trafostation getroffen worden, sagte er.

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit, in der Nacht seien 38 ukrainische Kampfdrohnen über den Gebieten Belgorod, Kursk, Woronesch, Rostow und Astrachan abgefangen worden. Die Angaben waren zunächst nicht unabhängig überprüfbar; das Gebiet Wolgograd tauchte in der Aufzählung nicht auf. Russische Behörden bestätigten aber, dass auf den Verkehrsflughäfen von Wolgograd und Astrachan vorübergehend keine Flugzeuge starten oder landen konnten.