Von: mk
Bozen – Im Gehaltsstreit zwischen Land und Lehrpersonen lenkt das Land ein – zumindest auf den ersten Blick. Neben einer Inflationsanpassung wird den Lehrkräften in Südtirol mehr Geld in Aussicht gestellt. Trotzdem: Beim Großteil der Schulen fallen „unterrichtsergänzende Tätigkeiten“ und Ausflüge ins Wasser. Warum die Lehrkräfte an ihrem Protest festhalten, erklärt Andrea Perger von der Initiative „Qualitätsmarke Bildung Südtirol“ im Interview.
Südtirol News: Lehrpersonen und Erzieher an Grund-, Mittel- und Oberschulen erhalten zwischen 4.000 Euro und 5.190 Euro mehr Bruttoentlohnung im Jahr. In Kürze steht zudem die Aufnahme der Verhandlungen zur Reallohnerhöhung der pädagogischen Fachkräfte ab 2026 an, für die die Landesregierung 330 Millionen Euro im Zeitraum 2026-28 vorsehen wird. Das klingt nach viel Geld. Warum ist das ihrer Ansicht nach nicht genug?
Andrea Perger: Bei den genannten “4.000 Euro bis 5.190 Euro mehr Bruttoentlohnung” handelt es sich nicht um eine Gehaltserhöhung, sondern um eine überfällige Inflationsanpassung, welche allen anderen Landesbediensteten bereits gewährt wurde und die ausgerechnet die Lehrpersonen an Schulen staatlicher Art wieder verspätet erhalten – der genaue Auszahlungstermin lässt immer noch auf sich warten. Was die angekündigte “Reallohnerhöhung” der pädagogischen Fachkräfte betrifft, so ist festzuhalten, dass die angekündigten Geldmittel nicht nur für die Staatslehrpersonen, sondern auch für Landeslehrpersonen, das Kindergartenpersonal, Sozialpädagogen und Mitarbeitern für Inklusion reichen sollen. Aufgrund der Säumigkeit der Politik in den vergangenen Jahren und den daraus resultierenden massiven Reallohneinbußen im Bereich Schule und Erziehung ist bereits jetzt klar, dass die versprochenen Geldmittel bei weitem nicht einmal ausreichen werden, um den erlittenen Kaufkraftverlust auszugleichen, von einer “Reallohnerhöhung” kann somit keine Rede sein. Damit ist eine Fortsetzung der Lehrerflucht in andere Berufe oder ins benachbarte Ausland vorprogrammiert.
Im Rahmen des Protests reduzieren Lehrpersonen „unterrichtsergänzenden Tätigkeiten“ und organisieren keine Schulausflüge mehr. Warum streiken Lehrer nicht auf traditionelle Weise und ziehen stattdessen die Schüler mit hinein?
Gegenfrage: Wäre das Bestreiken des regulären Unterrichts weniger schlimm als der Verzicht auf Ausflüge?
Kann man von einem „Bestreiken“ der Schulausflüge überhaupt reden?
Bei den Protestmaßnahmen handelt es sich nicht um einen Streik, sondern um den Verzicht auf freiwillige Zusatzangebote. Wir möchten damit ein unübersehbares Zeichen setzen – nicht gegen Schülerinnen und Schüler oder Eltern, sondern für eine engagierte Bildungspolitik, die Qualität, Zukunft und Attraktivität des Lehrerberufs sichert. Der reguläre Unterricht wird während der Protestmaßnahmen in der gewohnten Qualität aufrecht erhalten, um – anders als bei einem Streik – die Kontinuität der Bildung für die Schülerinnen und Schüler zu gewährleisten.
Laut Aussagen der Landesregierung wird die Zulage für die Begleitung bei Ausflügen und außerschulischen bzw. schulbegleitenden Aktivitäten verdoppelt. Wie viel macht das konkret aus?
Die nun beschlossene Verdopplung der Begleitzulage ist aufgrund des lächerlich geringen Ausgangsbetrages von 2,80 Euro pro Stunde nichts weiter als Kosmetik und steht nach wie vor in keinem Verhältnis zur enormen Verantwortung, welche die begleitenden Lehrpersonen bei Ausflügen mit Schülerinnen und Schülern tragen. Zudem ist es sinnlos, wenn an diesem Posten gefeilt wird, während der Hauptteil unserer Arbeit weiterhin unterbezahlt ist.
Ist von den Protestmaßnahmen der Lehrkräfte die Rede, entsteht oft der Eindruck, es geht nur ums Geld. Stimmt das?
Effektiv geht es uns um die Qualität und die Zukunft unserer Bildung: Wenn wir gute Leute für diesen Beruf gewinnen und halten wollen, dann müssen wir die Gehälter anpassen an jene von Berufen mit ähnlicher Ausbildungsanforderung und als Grenzregion eben auch an die Gehälter der benachbarten Länder. Damit sichern wir langfristig den Personalstand. Ebenso wichtig ist es, das Bildungssystem als Gesamtes mit den nötigen Geldern auszustatten, um den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Es geht darum, allen Kindern und Jugendlichen die Chance auf eine gute Ausbildung zu garantieren. Die Anzahl von Kindern mit fehlenden Sprachkenntnissen hat ebenso zugenommen wie etwa die Anzahl der Kinder mit psychischen oder sozialen Schwierigkeiten. Dazu kommen technische Entwicklungen wie KI oder die Problematiken um Mediennutzung und Einfluss der sozialen Netzwerke. Um mit diesen Herausforderungen und der gestiegenen Heterogenität im Unterricht umzugehen, braucht es tragfähige Lösungen, die gemeinsam mit den Betroffenen entwickelt werden sollten. Sonst riskieren wir, dass Kinder auf der Strecke bleiben, dass Unterrichtsqualität verloren geht. Das wollen wir als Lehrpersonen nicht und als Gesellschaft können wir uns das schlicht nicht leisten. Da setzen wir unsere Zukunft und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes aufs Spiel.
Was werden die Lehrpersonen unternehmen, falls ihnen die Landesregierung nicht weiter entgegenkommt – trotz aller Protestmaßnahmen?
Die bislang angekündigten Schritte der Landesregierung gehen uns nicht weit genug – vor allem die vorgesehenen finanziellen Mittel sind deutlich zu gering. Wir fordern, dass hier wesentlich mehr investiert wird, um das Bildungssystem langfristig zu stabilisieren und zukunftsfähig zu machen. Wir sehen es als unsere Verantwortung darauf hinzuweisen, dass wir dabei sind, ein gutes Bildungssystem an seine Grenzen zu bringen. Ohne ausreichende finanzielle Ausstattung wird es nicht gelingen, genügend qualifiziertes Personal zu gewinnen und die steigenden Anforderungen zu bewältigen. Andernfalls lässt sich die derzeitige Bildungsqualität nicht halten – mit spürbaren Folgen für unsere Schülerinnen und Schüler, uns Lehrpersonen und letztlich für die gesamte Gesellschaft. Bleibt ein deutliches Signal aus, ist zudem damit zu rechnen, dass weitere Lehrpersonen das Bildungssystem verlassen werden, da Frust und Unzufriedenheit bei vielen bereits sehr groß sind. Wir hoffen daher, dass die Landesregierung endlich die notwendigen Mittel bereitstellt und dass es auch der Gesellschaft ein Anliegen ist, unserer Forderung nach einem adäquat ausgestatteten Bildungssystem Nachdruck zu verleihen.
Die Proteste der Lehrer haben ein starkes, öffentliches Echo ausgelöst. Zahlreiche Akteure aus der Politik, aber auch aus Kultur und Wirtschaft haben sich zu Wort gemeldet. Wie erklären sie sich das?
Es wird sichtbar, dass die Tätigkeiten an den Schulen auch wirtschaftlich eine gewisse Bedeutung haben. Es haben sich jetzt sehr viele Akteure gemeldet, die Einbußen befürchten und deshalb über die aktuellen Geschehnisse nicht glücklich sind. Da geht’s dann oft aber nicht mehr um Bildung an und für sich. Denn diese ist weit mehr als die paar unterrichtsergänzenden Tätigkeiten, die nun reduziert werden. Wer sich um Bildung sorgt, müsste ein Interesse haben, dass dort auch in Zukunft ausreichend qualifiziertes Personal tätig ist und dass Kinder und Jugendliche die Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Und genau dafür stehen wir ja ein.
Kritiker werfen Lehrpersonen immer wieder vor, sie würden Privilegien genießen, etwa durch die langen Sommerferien.
Wir haben schon das Gefühl, dass Arbeitnehmer in Südtirol – wie auch anderswo – manchmal gegeneinander ausgespielt werden. Gerade bei Lehrpersonen hört man oft das Argument der „langen Ferien“. Dabei wird aber nicht unterschieden zwischen wirklicher Freizeit und der Zeit, in der zwar kein Unterricht stattfindet, Lehrkräfte aber trotzdem arbeiten – sei es bei Abschlussprüfungen und Nachprüfungen, Vor- und Nachbereitungen, Korrekturen oder Fortbildungen. Anstatt Gruppen gegeneinander auszuspielen, wäre es sinnvoller, die jeweiligen Arbeitsbedingungen und Belastungen realistisch zu betrachten und anzuerkennen. Jede Berufsgruppe hat ihre spezifischen Herausforderungen, und ein Vergleich „wer hat es besser“ führt selten weiter.
Wie bewerten Sie die aktuelle Debatte in der Öffentlichkeit?
Die momentanen Diskussionen werden teils recht emotional und hitzig geführt. Mit seltsamen Bildern und reißerischen Schlagzeilen wurde ein verzerrtes Bild konstruiert. Manche Meldungen waren irreführend oder gar falsch. Wir haben weder zahlreiche Erhöhungen erhalten, noch fügen wir unseren Kindern und Jugendlichen Schaden durch unsere Protestmaßnahmen zu. Wir setzen uns für die Bildung und eine gute Schule ein, weil wir miterleben, dass die Baustellen zu viele und die Lösungen nach wie vor nicht da sind. Da können und wollen wir nicht zuschauen. Ein chancengerechtes inklusives Bildungssystem muss uns als gesamte Gesellschaft ein Anliegen sein. Das mediale Hickhack sollte nun aber etwas zurückgefahren werden, es wäre gut, wenn wieder mehr Ruhe einkehrt und wir das Schuljahr nutzen, gemeinsam an Lösungen statt an Konfrontation zu arbeiten.
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