Langzeitstudie untersucht Zusammenhang

Ernährung, Gesundheit und Klimawandel

Freitag, 24. April 2020 | 00:01 Uhr

Bozen – Im Rahmen der weltweiten Diskussion über Gesundheit und Klimawandel wird häufig auf das Potential einer „nachhaltigen Ernährung“ verwiesen. Die Studie von Professor Christian Fischer und Forscher Pier Paolo Miglietta untersucht, wie sich die Nachhaltigkeit der Ernährung global und auf einzelnen Kontinenten verändert hat und welche Zusammenhänge zur menschlichen Gesundheit und zum Klimawandel bestehen. Wie die Ergebnisse zeigen, hat sich die Nachhaltigkeit der Ernährung im Zeitrahmen von 52 Jahren – 1961 bis 2013 – weltweit kaum verändert, allerdings ist eine Verschiebung in einigen Makroregionen zu einer nachhaltigeren Ernährung nachweisbar.

Die an der Fakultät für Naturwissenschaften und Technik der unibz tätigen Prof. Christian Fischer und Forscher Pier Paolo Miglietta haben basierend auf Daten der FAO (Food and Agriculture Organization) die Entwicklung einer nachhaltigen Ernährung im Zeitraum 1961-2013 untersucht. „Viele wird es sicher erstaunen, dass sich trotz wahrgenommenen eindeutigen Tendenzen in Richtung Vegetarismus und Veganismus die Kalorienzufuhr aus tierischen Produkten nicht wesentlich geändert hat“, so die beiden Studienleiter.

Nachdem die Weltbevölkerung in den vergangenen 50 Jahren von drei auf 7,7 Milliarden Menschen gestiegen ist und sich zudem ihre Lebenserwartung von 48 auf 70,8 Jahre gesteigert hat, herrscht die Angst vor, den Nahrungsmittelbedarf nicht mit der bestehenden Landwirtschaft decken zu können. Dabei werden derzeit 40 Prozent der weltweiten Flächen landwirtschaftlich genutzt, für die 70 Prozent des Frischwassers benötigt werden und die 30 Prozent der gesamten Treibhausgasemissionen verursachen. Aufgrund vieler Faktoren wie eine begrenzte Verfügbarkeit an Land, Erosionen, Rückgang der Biodiversität, Einsatz von Pestiziden, Verschmutzung der Meere und globale Erderwärmung setzt sich immer stärker die Meinung durch, dass die Art, wie unsere Lebensmittel landwirtschaftlich produziert werden, auf lange Sicht dem Fortbestand der Menschheit schadet.

Die Studie hat Daten in diesen fünf Jahrzehnten zu drei Faktoren analysiert:

  • Den Pro-Kopf-Anteil der verzehrten Kalorien aus pflanzlichen Produkten der Bevölkerung
  • Die Vielfalt der verbrauchten pflanzlichen Produkte gemessen durch den Simpson-Diversitätsindex
  • Die jährlich in einer Makroregion konsumierten Gesamtkalorien, berechnet als Produkt der Bevölkerungsanzahl und der Pro-Kopf-Kalorien-Aufnahme
    In diesem 50-Jahre-Zeitraum fiel die tägliche Aufnahme an Kalorien aus pflanzlichen Produkten von 84,6 Prozent im Jahr 1961 auf 82,2 Prozent im Jahr 2013 leicht, jedoch verdreifachte sich der gesamte Kalorienverbrauch weltweit. Die Vielfalt der konsumierten pflanzlichen Kalorien änderte sich kaum.

Aufschlussreich dabei der Blick auf die einzelnen Kontinente: In Afrika nahm der Anteil der pflanzenbasierten Kalorien an der Gesamternährung leicht ab von 92,2 Prozent auf 91,8 Prozent, die Kalorienaufnahme insgesamt verfünffachte sich hingegen. In Nord- und Südamerika wuchs der Anteil der Kalorienaufnahme auf Pflanzenbasis von 73,4 auf 76,2 Prozent an, die Gesamtanzahl an konsumierten Kalorien verdreifachte sich fast. Eklatant die Veränderung in Asien: Der Anteil der pflanzenbasierten Ernährung fiel von 93,9 Prozent auf 83,8 Prozent ab, die Vielfalt nahm etwas zu, aber die Kalorienzufuhr vervierfachte sich. Interessant in diesem Zusammenhang: „Die Vielfalt in unserer Ernährung ist groß, man denke nur beim Stichwort „Superfood“ an die ganze Palette von Chia-Samen bis Avocado. Fakt ist aber, dass manche Sorten wie Kohl oder Kartoffeln und auch Getreide im Konsum stark zurückgehen, weswegen die pflanzliche Vielfalt generell nicht signifikant gestiegen ist, sondern sich nur die Produktpalette geändert hat“, umreißt Prof. Fischer diesen Aspekt der Lebensmittelvielfalt.

Trotz vielleicht anderer Wahrnehmung in Hinblick auf Veganismus und vegetarische Ernährung in den vergangenen Jahren hat in Europa der Anteil an pflanzlicher Ernährung zwischen 1961 und 2013 von 75 Prozent auf 72,4 Prozent abgenommen, die pflanzliche Produktvielfalt stieg von 0,786 auf 0,849, und die gesamte Kalorienzufuhr stieg um 34 Prozent. Wichtig ist der Zusammenhang zwischen Ernährung, Gesundheit und klimatischen Indikatoren.

Die Lebenserwartung stieg im untersuchten Zeitraum in allen Makroregionen: Laut Weltgesundheitsorganisation WHO stieg die Lebenserwartung von 48 Jahren im Jahr 1950 auf 70,8 Jahre im Jahr 2013 – also um ganze 48 Prozent im weltweiten Durchschnitt. Dabei gibt es so bemerkenswerte Unterschiede wie einen Anstieg um 73 Prozent in Asien (auf 71,8 Jahre) bis hin zu 25 Prozent in Europa auf 80,6 Jahre. In Europa ist die Lebenserwartung am höchsten, in Afrika mit 58,8 Jahren am niedersten. „Gleichzeitig zeigen die aktuellsten und umfassendsten Gesundheitsstudien, dass eine nicht optimale Ernährung zu 22 Prozent für einen verfrühten Tod verantwortlich ist, also weniger wichtig, als es viele von uns wahrscheinlich erwarten würden“, resümiert Prof. Fischer.

Wenn man über Gesundheitsfaktoren spricht, so umfasst dies bei weitem nicht nur die Ernährung, sondern eine erweiterte Palette an Lifestyle-Faktoren, zu denen Sport, Schlaf, Genussmittelkonsum, soziale Kontakte zählen, hinzu kommen biologische und genetische Faktoren (ererbte Risiken, Alter), Umweltfaktoren (wer also Umweltgiften wie Verstrahlung, Luftverschmutzung, Lärm… ausgesetzt ist) und nicht zuletzt auch einfach das Glück hat, nicht in ein Kriegsgebiet hineingeboren worden oder von Unfällen verschont geblieben zu sein. Demzufolge ist die eigene Gesundheit von sehr viel mehr als einer optimalen Ernährung abhängig.

Schließlich wurde auch der Zusammenhang zwischen kontinentaler Ernährungsnachhaltigkeit und dem Treibhausgasausstoß der örtlichen Nahrungsversorgungssysteme untersucht. Im Allgemeinen ergibt sich ein positiver Zusammenhang, also je höher der Anteil der konsumierten tierischen Kalorien ist, desto größer sind auch die Klimagasemissionen. Allerdings bildet Europa eine Ausnahme: Hier ist der Anteil der konsumierten Kalorien aus tierischen Produkten der zweithöchste, die CO2-Equivalente des zugrundeliegenden Nahrungsversorgungssystems sind allerdings die zweitniedrigsten – laut Prof. Christian Fischer ein Hinweis auf die im allgemeinen gute land- und ernährungswirtschaftliche Praxis hierzulande. Insgesamt sind die landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen in den vergangenen 50 Jahren pro Kopf weltweit um 19 Prozent und pro Kilokalorie produziertes Nahrungsmittel um 39 Prozent gefallen.

Als Fazit der Studie lässt sich festhalten, dass unsere Ernährung nur einen begrenzten Einfluss auf unsere Gesundheit gemessen an der Lebenserwartung hat. Unsere Ernährung, insbesondere der Verzehr von tierischen Produkten, wirkt sich jedoch auf das Klima aus, allerdings lässt sich dieser Einfluss mit guter Produktionspraxis minimieren. „Ein übertriebener Ernährungspessimismus sollte demnach vermieden werden“, resümieren die zwei Verfasser der Studie.

Diese und andere Aspekte des globalen und regionaler Nahrungsversorgungssysteme werden im Rahmen der Studium Generale-Vorlesung an der unibz von Prof. Fischer behandelt. Die Studium Generale-Vorlesungen können von jedermann nach Anmeldung besucht werden.

Publiziert wurde die Studie von Prof. Christian Fischer und Forscher Pier Paolo Miglietta in der Fachzeitschrift für Umwelt und Gesundheit International Journal of Environmental Research and Public Health.

Von: bba

Bezirk: Bozen