Fresko von Andrea Mantegna aus dem 15. Jahrhundert sorgt für Debatten

Kunst und seltene Krankheiten

Donnerstag, 18. Mai 2017 | 18:19 Uhr

Bozen – Im Oktober letzten Jahres, wurde in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet Neurology“, ein Artikel veröffentlicht, in dem behauptet wurde, dass die sogenannte „Hofzwergin“, die in einem berühmten Fresko des „Hochzeitszimmers“ von Mantua (1465-1474) von Andrea Mantegna gemalt, an zwei seltenen Krankheiten litt: den hypophysären Kleinwuchs und an der Neurofibromatose Typ 1 (NF1). Nach dieser Auffassung hätte Mantegna eine an der NF1 erkrankten Person dargestellt, deren Krankheitsbeschreibung, laut Autoren, erst viele Jahrzehnte nach der Entstehung des Freskos im Jahre 1592 bekannt wurde. Die NF1, die sich auch mit Hautflecken bemerkbar macht, anders Recklinghausen-Krankheit genannt, ist eine der häufigsten auftretenden seltenen genetischen Erkrankungen: etwa 1 Person auf 3.000 ist davon betroffen und weltweit leiden schätzungsweise rund 2,5 Millionen Menschen an dieser Krankheit. Deshalb überrascht es nicht, zumal auch ein sehr berühmtes Kunstwerk involviert ist, dass der Artikel in den Medien großes Aufsehen erregte.

Allerdings haben Dr. Francesco Benedicenti, Verantwortlicher des Genetischen Beratungsdienstes in Südtirol und des Zentrum für Koordination für seltene Krankheiten der Provinz Bozen, und Prof. Andrea Superti-Furga, Direktor der Abteilung für Genetische Medizin, Universität Lausanne in der Schweiz, in derselben Zeitschrift einen neuen Artikel „The multiple faces of artwork diagnoses“ gerade veröffentlicht, in dem sie beweisen, dass die beiden Diagnosen NF1 und hypophysärer Kleinwuchs nicht korrekt sind und dass, die vom großen Künstler aus Padua porträtierte Frau, nur an einer, zwar auch seltenen Erkrankung litt: die Achondroplasie (Kleinwüchsigkeit die aber nur die Extremitäten betrifft).

Der Fehler liegt darin, dass die Autoren des vorhergehenden Artikels ihre Schlussfolgerungen ausschließlich aufgrund der Beurteilung der im Internet verfügbaren Fotos von der „Hofzwergin“ zogen. Diese Fotos stammen aus der Zeit vor der konservativen Restaurierung, bei der in den 80er Jahren das Fresko von Schmutz und Ablagerungen gereinigt wurde.

Deshalb wurden einfache Verschmutzungen und Veränderungen der Bildoberfläche, die nach der Restaurierung verschwunden waren oder sich als reale Artefakte erwiesen, fälschlicherweise als klinische Anzeichen von NF1 interpretiert. Wenn man in der Tat die jeweiligen Bilder der „Hofzwergin“ nach der Restaurierung beurteilt (bis jetzt nicht im Internet, sondern nur in Fachtexten verfügbar) oder noch besser, die Malerei in Echtheit beobachtet, ist es offensichtlich, dass die Mindestkriterien um eine Diagnose dieser Krankheit NF1 zu stellen, nicht gegeben sind, die außerdem schon vor dem Jahr 1592 erstmals beschrieben wurde.

„In diesem Fall stellt die diagnostische Präzisierung keine akademische Übung dar“, hat Dr. Francesco Benedicenti erklärt, „sondern hat grundsätzlich den Zweck, die korrekte Information über eine seltene genetische Krankheit wie NF1 zu geben. Die Assoziation dieser Pathologie und der von kleiner Gestalt gekennzeichneten Frau, von Mantegna porträtiert, ist nicht nur falsch, sondern potentiell auch sehr irreführend. Der veröffentlichte Artikel vor unserem Beitrag, mit dem Titel „Painting neurofibromatosis type1 in the 15th century“ wurde ausschließlich auf NF1 fokussiert und hatte somit eine außergewöhnliche Resonanz zwischen den NF1-Patientenorganisationen und ihren Familienangehörigen und wurde auf den Webseiten vieler dieser Organisationen veröffentlicht. Denkt man an die Eltern eines Kindes mit NF1, die diese Malerei sehen, wissend, dass diese eine Person mit NF1 darstellen, könnten fälschlicherweise glauben, dass der Phänotyp ihres Kindes im Erwachsenenalter jener der Achondroplasie entspricht! Die diagnostische Abklärung soll somit in einem gewissen Sinne auch der von Mantegna porträtierten Frau gerecht werden, welcher unglücklicherweise nach fünf Jahrhunderten eine Diagnose von zwei Pathologien „angehängt“ wurde, an denen sie in Wirklichkeit nicht gelitten hat“, erklärt der Verantwortliche des genetischen Dienstes Dr. Benedicenti.

Von: mk

Bezirk: Bozen