Von: mk
Bozen – Am Donnerstag, den 18. Juli richtet sich Tanz Bozen mit drei Veranstaltungen an ein breit gefächertes Publikum. Mit der Performance Ophelia von Yoann Bourgeois im Kapuzinergarten begeben wir uns an die Grenzen der menschlichen Existenz, im Studiotheater entbrennt mit Golden Variations von Camilla Monga und Filippo Vignato ein Dialog zwischen zeitgenössischem Tanz und Jazz, während im Museion mit Witches gestures von Latifa Laabissi die Vergangenheit zurückgeholt wird, indem der berühmte Hexentanz von Mary Wigman in neuer Interpretation erstrahlt. Dazu wird auf der Fassade des Museums das Video Silent von Renate Lorenz und Pauline Boudry zu sehen sein. Drei Veranstaltungen also, die den zeitgenössischen Tanz in verschiedensten Facetten widerspiegeln, zwischen Nouveau Cirque, Apnoe, Improvisation, Videokunst und Tanzhistorie.
Während es für „Ophelia“ im Kapuzinergarten drei Vorstellungen um 19.30, 20.00 und 20.30 Uhr gibt, beginnen die „Golden Variations“ im Studiotheater um 20.00 Uhr und die „Witches gestures“ im Museion um 22.00 Uhr.
Yoann Bourgeois, neben Rachid Ouramdane Direktor am CCN2-Grenoble, ist im zeitgenössischen Zirkus groß geworden und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dem Thema „suspension“ (dt. etwa: „Aufhebung”, „Unterbrechung“). In Bozen war 2016 bereits seine Performance Les Yeux tournent autour du soleil im Museion zu sehen, bei der eine Frau in weiß an einem mechanischen Arm hängend kreiste. Diesmal nähert sich Bourgeois dem Thema über die Unterbrechung der Atmung. Das kurze, intensive Stück Ophelia, das im Rahmen des Festivals erstmals in Italien zu sehen sein wird (Kapuzinergarten, drei Vorführungen ab 19.30 Uhr), ist ein faszinierender Apnoe-Akt. In Anlehnung an Shakespeares Hamlet, IV. Akt, 7. Szene, arbeitet Bourgeois Ophelias Suizid auf poetische Weise neu auf, indem er ein zartes Bild der Auflösung im Rahmen einer überraschenden Bühnengestaltung zeigt, die aus einem Bett, einem Aquarium und einem Kran besteht. Als Interpretin ist Marie Vaudin zu sehen.
Im Studiotheater geht um 21.00 Uhr die Welturaufführung von Golden Variations über die Bühne, einem Stück von Camilla Monga, Tänzerin und Choreografin, die ihre Ausbildung an der Scuola Civica Paolo Grassi in Mailand und am P.A.R.T.S. in Brüssel absolvierte, und Filippo Vignato, Jazz-Posaunist, der der unter anderem 2016 als bester Newcomer ausgezeichnet wurde. Die Koproduktion von Tanz Bozen und Novara Jazz begibt sich in Form eines Trios aus Posaune und zwei Tänzern auf die Spuren der Improvisation, die als verbindendes Element zwischen Jazzmusik und zeitgenössischem Tanz gilt. Nicht ohne Grund erinnert Golden Variations an die Goldberg Variations von Johann Sebastian Bach, immerhin wurde die legendäre Version von Glenn Gould bereits vom Vater der Contact Improvisation, Steve Paxton, in Tanz umgesetzt. Die Goldberg Variationen lassen den Interpreten von Natur aus viel Spielraum, gerade deshalb eignen sie sich besonders für ein Tanzduett: Dieselbe choreografische Vorgabe kann von den jeweiligen Tänzern anders ausgelegt werden. Das ‚Golden“ im Titel spielt auf die Farbe von Vignatos Instrument an, dessen klangliche Möglichkeiten der versierte Posaunist vom tiefsten bis zum allerhöchsten Ton ausreizt. Der Tanz von Camilla Monga und Pieradolfo Ciulli unterstützt den Klangalchimisten dabei, das Publikum mit auf eine Reise in das kollektive Musikgedächtnis zu nehmen, die an die Polyphonie alter sardischer Lieder, futuristische Klänge, die Musique concrète, den Blues sowie Motive aus Music Hall und eleganten Blue-Note-Rhapsodien erinnert. Instrument und Körper verwandeln die Musik in eine inspirierende Wissenschaft der Emotionen, die dank einer überraschenden Abfolge von immer neuen Bildern und Klängen die Wahrnehmung des Publikums verändert.
Der Abend des 18. Juli findet seinen Abschluss im Museion (22.00 Uhr), wo Tanz Bozen und das Museum für zeitgenössische Kunst erneut eine gemeinsame Veranstaltung auf die Beine gestellt haben: Das Projekt, das auf der Fassade des Museion und in der Passage zu sehen sein wird, dreht sich dieses Jahr um die französische Tänzerin und Choreografin Latifa Laâbissi und das Künstlerinnenduo Renate Lorenz und Pauline Boudry, deren Ästhetik sich seit Jahren in vielerlei Hinsicht überschneidet. In Witches gestures (Hexengesten) verschmelzen die Performance Ecran Somnambule (2012) von Latifa Laâbissi und Silent (2017), eine Videoinstallation von Renate Lorenz und Pauline Boudry.
Der choreografische Part von Laâbissi hat historische Wurzeln: den berühmten, nur eine Minute 40 Sekunden langen Videomitschnitt von Mary Wigmans Hexentanz (1927), der hier auf 32 Minuten ausgedehnt wird. Im Zeitlupentempo und mit viel Geduld nimmt die Choreografin den subversiven, beunruhigenden Tanz dieser Frauenfigur, die zur Ikone des deutschen Ausdruckstanzes avancierte, auseinander. Auch das Video Silent setzt sich frontal mit einer Figur am Rande der Gesellschaft auseinander: der queeren Sängerin Aérea Negrot. In Anlehnung an das experimentelle Musikstück 4’33 des Komponisten John Cage aus 1952, in dem die Vorgabe an die Musiker ist, für den angezeigten Zeitraum nicht zu spielen, flirten Lorenz und Boudry mit dem Musikvideo der Sängerin. Lorenz und Boudry benutzen die Stille als intensive Erfahrung, aus der Überzeugung heraus, dass zur Stille gezwungen zu werden, keine Stimme zu haben, einen ausdrucksstarken Akt performerischen Widerstandes darstellt. Beide Werke bereichern sich bei der Neuaufbereitung der zugrundeliegenden Klassiker gegenseitig durch die Resonanz ihrer Archetypen, die so bahnbrechend wie unbegreiflich sind und bleiben. Indem sie Figuren in den Vordergrund rücken, die erschrecken, weil sie schlichtweg „anders“ sind, stellen sie mit den Mitteln der Ausdehnung, Verlangsamung und der Stille als Aktion des politischen Widerstandes die gängigen Sichtweisen in Frage.
Weitere Infos und Tickets für die Veranstaltungen im Kapuzinergarten und im Studiotheater:
Stadttheater Bozen
www.bolzanodanza.it / www.haydn.it