Der Dichter wuchs in Karlsruhe auf

Poesie und Pose, Stil und Stilisierung: Wondratschek wird 80

Montag, 14. August 2023 | 05:48 Uhr

Vor seinem 80er ist er abgetaucht und auch für seinen Verlag nur über E-Mail zu erreichen. Wolf Wondratschek muss nicht mehr funktionieren. Sich und der Welt etwas beweisen braucht er schon lange nicht mehr. Eher hat er einen Ruf zu verlieren – den des Rebellen, des Literatur-Cowboys, des Rock-Poeten, der zum einsamen Wolf wurde. Kurz vor seinem 80. Geburtstag am 14. August ist ein schmaler, weißer Band ausgeliefert worden. Er trägt den lapidaren Titel “Einige Gedichte”.

Im Unterschied dazu legte der Dichter in den Anfangsjahren seiner Karriere großen Wert auf knallige, breitenwirksame Titel: Sein 1969 erschienener erster Prosaband hieß “Früher begann der Tag mit einer Schusswunde” (“Ein einflussreicher, mir damals aber völlig unbekannter Herr namens Marcel Reich-Ranicki schrieb eine ziemliche Lobeshymne.”), es folgten u.a. Titel wie “Ein Bauer zeugt mit einer Bäuerin einen Bauernjungen, der unbedingt Knecht werden will” (1970), “Im Dickicht der Fäuste”, “Die Einsamkeit der Männer” oder “Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre” (1986), ein episches Gedicht, in dem er seine Selbststilisierung als Außenseiter auf die Spitze trieb.

“Meine Biographie in Stichworten” begann Wondratschek vor einigen Jahren so: “Wenn es nach mir ginge, stünde da nur: Geboren 1943 in Rudolstadt/Thüringen, lebt in Wien. Schließlich gibt es ja – ab dem Jahr 1969 – die viel interessantere Biographie meiner Bücher.” Zu lesen gab es dann aber doch sehr lebendige Betrachtungen über Kindheit (“Ich konnte es kaum abwarten, erwachsen, arm und ein Dichter zu sein und mich zu verlieben.”), Erfolg (“Was für ein Wunder, mit Gedichten Geld zu verdienen!”) und seine Wahlheimat (“Ich nahm Wien nicht als Stadt, sondern als Echokammer einer untergegangenen Welt wahr. Und es spielte Musik, unaufhörlich.”).

In Karlsruhe aufgewachsen, haute er mit 15 Jahren nach Paris ab, schloss dann aber doch die Schule ab und fing ein Studium der Literaturwissenschaft, Philosophie und Soziologie an – “Zu den kostbaren Erinnerungen meiner Studentenzeit in Heidelberg gehören die Vorlesungen der beiden Philosophen Hans-Georg Gadamer (griechische Philosophie) und Karl Löwith (Nietzsche).” -, um mitten in der 68er-Bewegung zu landen: “Ich habe erlebt, was es heißt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein.”

Die antibürgerliche Attitüde kennzeichnete lange sein literarisches Schaffen. Über den Versandbuchhandel hatte er zunächst auch abseits des offiziellen Literaturbetriebs großen Erfolg. Der Gedichtband “Chuck’s Zimmer” verkaufte sich 1974 unglaubliche 300.000 Mal. In einem einzigen Exemplar gibt es dafür den Roman “Selbstbildnis mit Ratte” (2014), den sich der Wiener Investor Helmut Meier um 40.000 Euro exklusiv in seinen Safe legen durfte.

Das Box- und das Rotlichtmilieu waren zentrale Schauplätze vieler seiner Werke, den Vorwurf eines literarischen Machos nahm er weniger als Kritik denn als Ehrentitel, den er auch in so manchen zwischen betonter Inszenierung und herzlicher Offenheit schwankenden Interviews zu verteidigen wusste. Mit seiner Übersiedlung nach Wien schlug er auch ein neues Kapitel seines Schreibens auf. Bücher wie “Mozarts Friseur” (2002), “Mara” (2003) oder “Das Geschenk” (2011) waren von einem nachdenklicheren, gelasseneren Ton gekennzeichnet.

Zuletzt brachte er sich immer mehr selbst ins Spiel: “Selbstbild mit russischem Klavier” (2018) erwies sich als Doppelporträt und Zwiegespräch, in “Dante, Homer und die Köchin” (2021) leben die Dichterfürsten von einst als schrullige alte Männer in der Gegenwart und versuchen verzweifelt, mit dem Denken aufzuhören – wohl ein wenig die Rolle, in die sich Wondratschek selbst selbstironisch einzufinden sucht.

“Mit Zunder und Zartheit – Die Neuerfindung des Schriftstellers Wolf Wondratschek” hieß ein Geburtstagsfeature, das der Sender WDR 3 für 12. August (12.04 Uhr) angekündigt hatte: “Große Poesie und große Pose – bei Wolf Wondratschek lagen sie immer zum Verwechseln nah beieinander. Jetzt arbeitet er im Stillen an einem beeindruckenden Alterswerk.”

Von: apa