Von: luk
Bozen – Zur Jahresmitte 2018 zeigt sich die Südtiroler Wirtschaft in recht guter Verfassung. Dem europäischen Konjunkturverlauf folgend, dürfte die wirtschaftliche Dynamik in der zweiten Jahreshälfte etwas an Schwung verlieren. So sehen es jedenfalls die Südtiroler Arbeitnehmer. Im Vergleich zum vergangenen Sommer sind alle Indikatoren im AFI-Barometer besser oder gleichgeblieben, nur wird seit dem Frühjahr die Wirtschaftsentwicklung in Südtirol von den Arbeitnehmern etwas vorsichtiger eingeschätzt: „Wir werten das als Signal und nicht mehr, denn die Gesamtstimmung liegt auf einem hohen Niveau und es wäre verfrüht, von einem Abwärtstrend zu sprechen“, stellt AFI-Direktor Stefan Perini klar.
Der weltweite wirtschaftliche Aufschwung ist zwar noch intakt, verliert aber laut ifo-Konjunktur-Uhr in Europa allmählich an Schwung. In Italien ist die Stimmung bei den Konsumenten recht gut, bei den Unternehmen hat sie sich letztlich etwas eingetrübt. Als Hauptrisiko für die internationale Konjunktur gilt im Moment das Aufflackern des Protektionismus, der den Außenhandel eindämmt und Auslandsinvestitionen weniger attraktiv macht. In den USA sind die Leitzinsen letzthin deutlich angehoben worden. Die Rohölpreise ziehen weltweit wieder stark an. Das Ifo München rechnet in seiner Sommerprognose mit folgenden Wirtschaftswachstumsraten für das laufende Jahr: USA +2,7 Prozent, Euro-Raum +2,1 Prozent, Deutschland +1,8 Prozent und Italien +1,1 Prozent.
Südtirol: Erwartungen zur Wirtschaftsentwicklung sinken etwas ab
Der aktuelle Blick auf die Stimmung der Südtiroler Arbeitnehmer zeigt, dass die Erwartungen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Südtirol zwar auf einem hohen Niveau sind (besser als im Sommer 2017), aber seit zwei Befragungen in Folge etwas absinken. „Es wäre aber verfrüht, von einem Negativtrend zu sprechen, denn im Zwölf-Monats-Vergleich hat sich kein einziger Indikator abgeschwächt, im Gegenteil, drei haben sich sogar nennenswert aufgehellt“, sagt AFI-Direktor Stefan Perini. Es sind dies die ‚Suche nach einem gleichwertigen Arbeitsplatz‘, das ‚Risiko des Arbeitsplatzverlusts‘ und die ‚Sparmöglichkeiten‘. Aktuell geben 32% der Südtiroler Arbeitnehmer an, nur mit Schwierigkeiten über die Runden zu kommen, weil das Geld nicht bis ans Monatsende reicht. Andererseits ist ein relativ großer Teil an Arbeitnehmern (61 Prozent) davon überzeugt, in den nächsten zwölf Monaten Geld ansparen zu können.
AFI bestätigt Wachstumsprognose von +1,5 Prozent
Für Südtirol hat das Wirtschaftsjahr 2018 gut begonnen. Die Zahlen, die den Jahresauftakt beschreiben, stimmen zuversichtlich: Arbeitnehmerzahl: +3,6 Prozent; Arbeitslosenrate: 2,9 Prozent; Exporte: +5,7 Prozent; Importe: +5,6 Prozent; touristische Nächtigungen: +5,6 Prozent; Inflationsrate: 1,6 Prozent; Kreditvolumen: +3,4 Prozent. Im Gleichzug mit der europäischen Konjunktur dürfte allerdings die Wirtschaftsdynamik in der zweiten Jahreshälfte etwas nachlassen. Das AFI hält vorerst an seiner Wachstumsprognose für 2018 von +1,5 Prozent für die Südtiroler Wirtschaft fest.
Durchschnittslöhne: Südtirol liegt sieben Prozent über dem gesamtstaatlichen Wert
Die Löhne sind im Durchschnitt in Südtirol tatsächlich höher als auf nationaler Ebene, allerdings um nur sieben Prozent, wie Daten aus INPS-Archiven zeigen, und nicht um 13 Prozent, wie jüngst in einer Studie der italienischen Arbeitsrechtsberater behauptet. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass das allgemeine Preisniveau in Südtirol 20 Prozent über dem nationalen Schnitt liegt. Von den Daten zu den Stimmungen: Die knappe Mehrheit (53 Prozent) der Südtiroler Arbeitnehmer findet, dass die Gehälter in Südtirol nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den Lebenshaltungskosten stehen. Allerdings wurde in früheren Barometer-Befragungen diesbezüglich auch schon eine höhere Unzufriedenheit gemessen. Vergleiche man die Einschätzungen im langen Zeitverlauf, sei jedoch kein eindeutiger Trend weder in die eine noch in die andere Richtung erkennbar, heißt es aus dem AFI.
Ungleiche Einkommen: Südtirol ist Mittelmaß mit Ansätzen zur Verbesserung
Es gelte zwischen der gefühlten und der aus Verwaltungsquellen belegbaren Einkommensungleichheit zu unterscheiden, schickt AFI-Direktor Perini voraus. Ihrer persönlichen Einschätzung nach stufen 83 Prozent der Befragten im AFI-Barometer die bestehende Ungleichheit zwischen Arm und Reich in Südtirol als „sehr groß“ (32 Prozent) oder „groß“ (51 Prozent) ein. In den AFI-Barometer-Befragungen der Vorjahre waren die Werte ähnlich hoch und zum Teil auch höher, so Perini. Auch hier sei kein Trend in die eine oder andere Richtung erkennbar. Mit Zahlen des ASTAT aus dem Jahr 2013 lasse sich belegen, dass die Haushaltseinkommen in Südtirol zwar gleichmäßiger verteilt sind als in den USA oder Italien, aber ungleicher als in Österreich, der Schweiz und Deutschland. Ein Grund hierfür sei die Spreizung zwischen „Gut-“ und „Schlechtverdienern“, weiß Perini. Diese sei in Südtirol zwar kleiner als in Griechenland oder Italien, jedoch größer als in den deutschsprachigen Nachbarländern. „Zahlen aus den Einkommenserklärungen deuten wiederum darauf hin, dass sich die Verteilung der Individualeinkommen zwischen 2011 und 2015 in Südtirol tendenziell im Sinn größerer Ausgewogenheit entwickelt hat“, stellt AFI-Direktor Stefan Perini mit Blick auf entsprechende Veröffentlichungen des Instituts fest.
Stellungnahme von AFI-Präsidentin Christine Pichler
„Man soll das Eisen schmieden, solange es heiß ist. In einer noch guten Wirtschaftslage ist es für die Südtiroler Arbeitnehmer und ihre Vertretungen an der Zeit, Betriebsabkommen mit höheren Löhnen heimzubringen, welche zu den Lebenshaltungskosten in Südtirol passen.“
Stellungnahme von Landesrätin Martha Stocker
„Südtirols Wirtschaft läuft gut und das lässt uns zuversichtlich sein. Arbeitslosigkeit ist heute kein Thema mehr, im Gegenteil, wir konfrontieren uns zunehmend mit einem leergefegten Arbeitsmarkt und die neue Herausforderung für die Zukunft heißt „Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel“. Wir müssen heute an neuen Modellen für die Zukunft arbeiten: an der ständigen Qualifizierung der Arbeitskräfte auch im fortgeschrittenen Alter, an generationenübergreifenden Lebensarbeitszeitmodellen, an der Beteiligung am wirtschaftlichen Aufschwung für die gesamte Gesellschaft.“
Christanell: “Gute Stimmung – aber nicht bei allen”
Wie sich schon in der Frühjahrsumfrage angedeutet hat, so ist auch das AFI-Barometer für den bisherigen Sommerverlauf positiv. „Die Sonne lacht am Südtiroler Wirtschaftshimmel aber nicht für alle“, warnt Arbeitnehmervertreter Zeno Christanell. „Die Südtiroler Wirtschaft brummt und das ist auch gut so. Der Erfolg muss aber gleichmäßiger verteilt werden. Es kann nicht sein, dass Menschen in Vollzeit nicht mit ihren Löhnen auskommen. Vor allem Familien sind gefährdet in relative Armut zu geraten“, unterstreicht Arbeitnehmervertreter Zeno Christanell.
Das habe mit den zu geringen Löhnen zu tun. Auch wenn aus der aktuellen Erhebung des Beobachtungszentrums der Beschäftigungsberater hervor geht, dass in Südtirol im italienweiten Vergleich die höchsten Gehälter ausgezahlt werden, bleibe davon kaum etwas übrig, da die Lebenshaltungskosten deutlich über dem staatlichen Durchschnitt liegen. „Heute schon sind die Lebenshaltungskosten um rund 20 Prozent höher als im restlichen Italien. Die Löhne aber nur um rund sieben Prozent. Die Kluft geht dabei sogar noch auseinander: In Bozen sind die Verbraucherpreise innerhalb eines Jahres um 2,1 Prozent angestiegen, die Löhne im Südtirol-Durchschnitt aber nur um 1,6 Prozent“, rechnet Christanell vor.
Auch wenn es in den letzten Jahren gelungen sei, die Wirtschaft durch gezielte Maßnahmen zu stabilisieren und auch die Steuerbelastung für viele Familien zu senken, müsse man darauf achten, dass von der positiven Stimmung alle profitieren und es keine Verlierer gibt, die sich abgehängt fühlen. „So sollte man etwa mit regionalen Zusatzabkommen zu den Kollektivverträgen gezielt das Lohnniveau erhöhen und gewisse Berufe durch mehr Elternzeit auch familienfreundlicher machen. Vorbildliche Initiativen sollte das Land auch fördern. Im Haushalt stehen fast 90 Millionen Euro an IRAP-Reduzierungen zur Verfügung, die nun nicht mehr zielführend sind und entsprechend besser verwendet werden könnten“, meint Christanell. Aufgabe der Politik sei es, dafür zu sorgen, dass bei allem Sonnenschein am Wirtschaftshimmel niemand im Schatten allein gelassen wird.