Von: mk
Bozen – Der Winter 2022/23 steht im Zeichen einer Dreifach-Epidemie: Die Grippesaison hat vorzeitig begonnen, die Infektionen mit dem RS-Virus haben explosionsartig zugenommen und COVID-19 lebt wieder auf. Prof. Dr. Christian Wiedermann, Koordinator der Forschungsprojekte am Institut für Allgemeinmedizin und Public Health Bozen, bietet einen Überblick über das derzeitige Infektionsgeschehen und warnt zugleich vor dem vorschnellen Verkünden eines Endes der Pandemie.
Corona ist nicht vorbei
In den USA breitet sich seit Dezember 2022 die Corona-Variante XBB.1.5 (auch „Kraken“ genannt) mit rasanter Geschwindigkeit aus. „Allein in der Silvesterwoche machte diese Variante 44 Prozent der Corona-Fallzahlen in den USA aus. Eine Woche davor betrug der Anteil an den Gesamtinfektionen noch 26 Prozent“, erklärt Prof. Dr. Christian Wiedermann, Koordinator der Forschungsprojekte des Instituts für Allgemeinmedizin und Public Health am Universitären Ausbildungszentrum für Gesundheitsberufe Claudiana Bozen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die Variante XBB.1.5 nicht nur in den USA, sondern auch in 28 weiteren Ländern nachgewiesen.
„Von den derzeit zirkulierenden Corona-Varianten ist XBB.1.5 der übertragbarste Omikron-Subtyp, der bislang entdeckt wurde. Die enthaltenen Mutationen ermöglichen es dem Virus, sich wirksamer an den Zellen anzuheften. Dadurch vermehrt sich das Virus leichter und es breitet sich auch schneller aus“, sagt Prof. Wiedermann. Ob diese Variante gefährlicher ist als die anderen Omikron-Subtypen, wird derzeit untersucht.
„Auch bei uns in Südtirol könnte es einen weiteren Anstieg der COVID-19-Infektionen geben. Die Auswirkungen dieses Anstiegs dürften zwar nicht so schwer sein, wie wir es bei früheren Coronawellen erlebt haben, aber für Senioren könnten sie dennoch spürbar sein. Und dafür verantwortlich müssen nicht unbedingt die neuesten Varianten sein, als vielmehr das geänderte Verhalten in unserer Gesellschaft. Viele Menschen haben wieder gemeinsam Weihnachten und Silvester gefeiert. Hinzu kommt, dass die Zunahme nicht nur Corona, sondern auch die Grippe und besonders bei Kindern das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) betrifft“, betont Prof. Wiedermann. Gerade die Rückkehr zur Vor-Corona-Normalität führe in der Wissenschaft zur Sorge, dass nun vornehmlich bei den Risikogruppen ein Anstieg der Atemwegsinfektionen zu erwarten sei, so der frühere Primar für Innere Medizin am Zentralkrankenhaus Bozen.
Die Impfung schützt auch vor den neuen Corona-Varianten
Die Wirkung der sogenannten bivalenten COVID-Impfstoffe, die seit Herbst 2022 auch in Südtirol verimpft werden, ist auch gegen die Omikron-Untervarianten gerichtet. „Diese Impfstoffe lösen eine stärkere Antikörperreaktion aus und wirken daher nicht nur gegen das ursprüngliche Coronavirus“, unterstreicht Prof. Christian Wiedermann. „Eine Studie, die nur Erwachsene ab 65 Jahren untersuchte, ergab, dass die bivalente Auffrischungsimpfung das Risiko eines Krankenhausaufenthalts um 84 Prozent im Vergleich zu nicht geimpften Personen und um 73 Prozent im Vergleich zu Personen, die nur den monovalenten Impfstoff erhalten hatten, senkte“, erläutert Prof. Wiedermann. „Eine weitere Studie hat festgestellt, dass Menschen mit bivalentem Impfschutz seltener wegen einer COVID-19-Infektion in der Notaufnahme oder stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen“, so Wiedermann.
Er empfiehlt allen Bürgerinnen und Bürgern ab dem zwölften Lebensjahr eine bivalente Auffrischungsimpfung, vor allem den Menschen über 60, fragilen Personen, Schwangeren und dem Gesundheitspersonal. „Für Menschen über 80, Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen und für gebrechliche Personen über 60 ist sogar die Verabreichung der dritten Booster-Impfung angesagt. Jeder, der über 60 ist und sie möchte, kann diese Impfung bekommen“, informiert Prof. Wiedermann. Für den Zugang zum dritten Booster gilt, dass seit der letzten Auffrischung oder der letzten Corona-Infektion mindestens 120 Tage vergangen sind.
Die Lehren aus der Corona-Lage in China
China kämpft seit Wochen gegen einen massiven COVID-19-Ausbruch an. Verursacht wurde er von den Omikron-Varianten BA.5.2 und BF.7, die mehr als 97 Prozent aller Corona-Infektionen im bevölkerungsreichsten Land der Welt ausmachen. „Von den derzeit in China zirkulierenden Varianten sollte für Südtirol keine große Gefahr ausgehen“, unterstreicht Prof. Wiedermann. „Die Durchschnittsperson bei uns dürfte auch im Fall neuer Varianten durch die aufgebaute T- und B-Zellen-Immunität nicht ernsthaft erkranken“, sagt Prof. Wiedermann. Sorgen bereiten ihm jedoch die Risikogruppen und die Krankenhäuser, die auch in Südtirol überlastungsgefährdet seien.
„Die Corona-Lage in China zeigt uns, dass die Pandemie noch nicht vorbei ist und weltweit einen zusätzlichen Unsicherheitsfaktor darstellt“, analysiert Prof. Christian Wiedermann. Die Mehrheit der Bevölkerung könne sich unter einer „endemischen Phase der Pandemie“ wenig vorstellen, die von einigen Experten ausgerufen wurde. Doch dadurch wird der Ruf nach der Abschaffung sämtlicher Corona-Einschränkungen bei vielen Bürgern lauter, „und zwar genau in dem Augenblick, in dem sich die Spitäler wegen der Dreifach-Epidemie von Corona, Grippe und RSV wieder einmal in einer beunruhigenden Situation befinden“, sagt Prof. Wiedermann. Der Dreifach-Epidemie müsse mit den AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltag mit Maske), aber auch mit neuen Impf- und Präventionsmaßnahmen begegnet werden. „In Wien muss in öffentlichen Verkehrsmitteln noch immer eine FFP2-Maske getragen werden und in den USA wird aktuell über eine Rückkehr zur Maskenpflicht in öffentlichen Räumen diskutiert“, erinnert Prof. Wiedermann, der einen Appell an die Politik und die Medien richtet: „Aus Sicht der öffentlichen Gesundheit sollte auf die Diskussion über ein Ende der Pandemie derzeit besser verzichtet werden.“
Faustregeln für den Winter mit der Dreifach-Epidemie
Neben dem Aktualisieren der Corona- und Grippeschutzimpfung empfiehlt Prof. Christian Wiedermann den Bürgerinnen und Bürgern für die kommenden Winterwochen das Beachten der AHA-Regeln. „Amüsieren Sie sich, aber eher vorsichtig als sorglos. Wenn Sie älter als 65 Jahre sind, eine Grunderkrankung haben, immungeschwächt oder schwanger sind, setzen Sie bitte Ihre Maske wieder öfter auf. Und denken Sie über Abstandhalten nach. Wenn Sie eine Einladung erhalten oder eine Veranstaltung organisieren, dann denken Sie an die Personen mit dem höchsten Risiko. Planen Sie Vorsichtsmaßnahmen für diese Personen“, so die Empfehlungen von Prof. Dr. Christian Wiedermann.