YoungHANDS über den Druck auf die Jugend

“Frustration muss man aushalten lernen”

Dienstag, 12. August 2025 | 07:17 Uhr

Von: mk

Bozen – Viele Jugendliche wissen, wie man googelt, aber nicht, wie mit einem Nein umgehen. Zum Welttag der Jugend am 12. August warnt Psychotherapeut Oskar Giovanelli, Koordinator des Ambulatoriums YoungHANDS des Vereins HANDS Onlus, vor den Folgen digitaler Überlastung, schwindender Frustrationstoleranz und suchtähnlichen Verhaltensmustern. Oskar Giovanelli fordert eine klare Haltung von Eltern, Schulen und Politik und konkrete Maßnahmen, um junge Menschen psychisch zu stärken. Und er begrüßt das neue Handyverbot im Schulunterricht.

Die digitale Beschleunigung hat den Alltag von Jugendlichen verdichtet. Zeit ist knapp, Kommunikation schnell, Reaktionen werden sofort erwartet. Oskar Giovanelli beobachtet, dass sich dadurch eine doppelte Belastung aufgebaut hat: Es gibt nicht nur den klassischen Stress in Schule, Familie und Freizeit, sondern auch den digitalen Stress in sozialen Netzwerken. Junge Menschen müssen lernen, zwischen digitalem Leben und analogem Dasein ein Gleichgewicht zu finden. Zugleich wird es schwieriger, die Herkunft und Glaubwürdigkeit von Informationen zu beurteilen. Inhalte vermischen sich, Quellen sind oft unklar. Deshalb gehört für den Psychotherapeuten von YoungHANDS die Fähigkeit, Informationen selbst zu recherchieren, kritisch zu bewerten und falsche Inhalte zu erkennen, zu den entscheidenden Zukunftskompetenzen.

Auch das Verhalten gegenüber Frustrationen habe sich verändert. Wer jederzeit Inhalte streamen, Produkte bestellen und Kontakte digital herstellen kann, verliert die Fähigkeit zu warten. Oskar Giovanelli stellt fest: „Frustration muss man aushalten lernen, sonst bleibt man in einer gefährlichen Scheinwelt hängen.“ Viele Jugendliche lernen nicht mehr, mit einem Nein umzugehen. Diese mangelnde Frustrationstoleranz kann im späteren Leben zu impulsivem Verhalten und aggressiven Reaktionen führen. Eine weitere wichtige Kompetenz, die Oskar Giovanelli betont, ist die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen. In einer Welt voller Möglichkeiten wird es leicht, Dinge aufzuschieben. Doch Prokrastination blockiert persönliche Entwicklung. „Wer nicht lernt, Entscheidungen bewusst und eigenständig zu treffen, bleibt stehen“, sagt der Koordinator des Ambulatoriums YoungHANDS.

Suchtverhalten verhindert Reifung

Bei der Arbeit erlebt Oskar Giovanelli regelmäßig, wie Suchtprozesse die Entwicklung dieser zentralen Kompetenzen behindern. Wer etwa durch exzessiven Medienkonsum eine unangenehme Situation vermeidet, löst das zugrunde liegende Problem nicht. Substanzunabhängige Suchtformen wie Smartphone- oder Gaming-Abhängigkeit führen dazu, dass Jugendliche in einem Zustand verharren, den sie eigentlich überwinden müssten. Sucht sei immer auch ein Versuch, mit ungelösten Emotionen umzugehen. Oskar Giovanelli erklärt: „Wer früh in ein suchtartiges Verhalten rutscht, entwickelt keine Problemlösungsstrategien und vermeidet Verantwortung.“ In der Folge bleiben Betroffene passiv und übernehmen kaum Kontrolle über ihr Leben.

Die Warnzeichen sind für den Psychotherapeuten deutlich: Wenn Jugendliche frühere Hobbys vernachlässigen, schulisch abrutschen oder ihre körperliche und psychische Gesundheit leidet, ohne dass ihr Verhalten sich ändert, ist das ein Alarmzeichen. Auch soziale Isolation, Rückzug oder plötzliche Stimmungsschwankungen können darauf hinweisen, dass ein suchtartiges Verhalten die Kontrolle übernommen hat.

Prävention braucht Beziehung, nicht Moral

YoungHANDS setzt auf präventive Arbeit direkt in den Schulen. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Aufklärung über Substanzen oder Symptome. Vielmehr lernen Jugendliche, mit ihren Emotionen umzugehen, sie auszudrücken, auszuhalten und konstruktiv zu verarbeiten. Oskar Giovanelli betont: “Nur wer weiß, wie sich Trauer, Wut oder Angst anfühlen, kann gesunde Bewältigungsstrategien entwickeln.” Er hält wenig von Präventionsmodellen, die auf geläuterte Ex-Konsument:innen setzen. Diese Ansätze greifen in vielen Fällen nicht, weil die Biografien und inneren Motive dieser Menschen oft zu weit von der Lebensrealität junger Menschen entfernt sind. Effektiver wären stabile Peergruppen, die Jugendlichen ein sicheres soziales Netz bieten. Allerdings ist das besonders im Bereich digitaler Medien eher schwierig. Viele Cliquen im digitalen Raum funktionieren nicht unterstützend, sondern verstärken problematische Verhaltensweisen.

Umso wichtiger sind analoge Erfahrungen. Oskar Giovanelli sieht im Sport, in realen Erlebnissen und im persönlichen Gespräch Schlüssel zur Stärkung der psychischen Gesundheit. Kommunikation sei zentral: „Wer Probleme nicht ausspricht, sondern allein im Internet nach Lösungen sucht, bleibt in der Isolation. Wer sie mitteilt, öffnet die Tür zur Unterstützung“, erklärt der Psychotherapeut.

Auch die familiären Strukturen haben sich verändert. Viele Eltern scheuen heute die klare Auseinandersetzung und geben erzieherische Verantwortung an externe Stellen ab. Wenn Eltern Hausregeln nicht durchsetzen, sondern professionelle Hilfe einfordern, sinkt ihre Autorität. Kinder spüren, dass ihre Eltern sich nicht mehr sicher sind und vertrauen ihnen weniger.

Schulen, Politik, Gesellschaft: Verantwortung teilen

Oskar Giovanelli begrüßt politische Maßnahmen wie das neue Handyverbot im Schulunterricht in Italien. Es sei ein gutes Beispiel dafür, dass externe Regelsetzung nötig ist, wenn sich Eltern und Lehrkräfte nicht mehr durchsetzen oder einigen können. Er betont aber auch, dass Prävention nicht bei Verboten enden darf. Es brauche Programme, die Lebenskompetenzen wie Selbstwahrnehmung, Stressbewältigung, Konfliktlösung und Kommunikationsfähigkeit gezielt fördern. Konsumkompetenz bedeutet für Oskar Giovanelli nicht nur, Risiken zu vermeiden, sondern sie zu erkennen, zu reflektieren und verantwortlich mit ihnen umzugehen. Jugendliche sollen verstehen, welche Bedürfnisse hinter ihrem Verhalten stehen, welche Emotionen sie antreiben und welche Auswirkungen ihr Konsum auf sie selbst und ihr Umfeld hat. Diese Reflexion muss in Handlungsfähigkeit münden. Nur dann entsteht echte Kompetenz.

Damit das gelingt, müssen Eltern, Schulen und politische Institutionen als gemeinsame Verantwortungsgemeinschaft agieren. Besonders benachteiligte Gruppen brauchen gezielte Förderung. Auch gesellschaftlich müssen klare Rahmenbedingungen geschaffen werden, etwa durch die Regulierung von Angeboten, die hohe Suchtrisiken bergen, oder durch die Stärkung gesundheitsfördernder Lebenswelten.

Oskar Giovanelli fordert, dass Jugendliche nicht nur als Zielgruppe von Maßnahmen ernst genommen werden, sondern als Menschen mit Rechten, Bedürfnissen und der Fähigkeit zur Veränderung. Wer mit Jugendlichen arbeiten will, darf nicht belehren, sondern muss zuhören; nicht steuern, sondern begleiten und vor allem da sein.

Kontakt und Information

Young Hands befindet sich am Hauptsitz von HANDS in der Duca d’Aosta-Allee 100 in Bozen, telefonisch erreichbar unter Tel. +39 0471 270 924 oder der Grünen Nummer 800720762, Mail: info@hands-bz.it

Bezirk: Bozen

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